Der aktuelle Rekordhalter steht in New York. Auf 426 Metern Höhe beherbergt das höchste Wohngebäude der Welt in 88 Stockwerken mehrere Hundert Menschen. Sogenannte Wohnhochhäuser gibt es in unterschiedlichen Ausführungen auf der ganzen Welt, stets geeint durch ein und denselben Zweck: die maximale Ausnutzung von knappem Baugrund.

Während die Bewohner*innen innen ihre Wohnungen nach ihren individuellen Vorlieben und Ansprüchen einrichten, um sich möglichst heimelig zu fühlen, ist außen nur gestapelte Monotonie sichtbar. Ein zur perfekten Einheitlichkeit geformter Quader aus Beton und Glas, eine effiziente wie idente Abfolge von anonymem Wohnraum, in dessen Inneren sich das Leben in all seiner Diversität abspielt. Auch Berlin hat einen prominenten Vertreter dieser Gebäudeart: die Trabantenstadt im Neuköllner Ortsteil Gropiusstadt, bekannt durch das Buch Wir Kinder vom Bahnhof Zoo.

Wohnhochhäuser haben die Fähigkeit, ein teils gewaltiges Aufgebot an Menschen auf geballtem Raum zu versammeln, einen über den anderen über den nächsten. Es sind Wohnmaschinen der Massenmenschhaltung.

Alle zusammen, aber allein

Gustav Willeit fasziniert der Kontrast zwischen Mensch und Architektur. Obwohl Menschen sich zu Hunderten in ein und demselben Gebäude befinden, machen sie oft einen einsamen Eindruck. Schaut man als Passant*in von der Straße auf das Gebäude, sieht man vielleicht jemanden die Wäsche aufhängen oder eine Zigarette rauchen, telefonieren, sich sonnen. Aus der Nähe betrachtet, sind das keine besonderen Tätigkeiten. Zoomt man allerdings heraus, wirkt die monotone Oberfläche des Wohnhochhauses wie ein Megagefängnis einer verlorenen Seele.

Darum geht es bei Gustav Willeits Fotoprojekt Biala. Es zeigt geballte Großstadtarchitektur, so repetitiv, dass sie beinahe hypnotisiert. Der Fotograf aus Italien nennt sie "extreme Gebäude". Er positioniert sich für gewöhnlich mit seiner Kamera auf der Straße vor dem Gebäude oder in dem Gebäude, das gegenüber steht. Doch bevor er den Auslöser drückt, heißt es erst mal warten. Willeit möchte nicht bloß Häuserfronten ablichten, sondern auch das individuelle Leben dahinter. Es können bisweilen Stunden vergehen, bis jemand aus dem Fenster schaut oder den Balkon betritt. Der Mittelpunkt seiner Fotos ist damit oft ein einzelner Mensch, der aus einem Meer urbaner Strukturen hervorzustechen versucht.

"Die Betrachter sollen die Größe und Einsamkeit von so einem riesigen Gebäude hinterfragen. Der Betrachter soll auch irritiert werden", sagt Willeit. Um diesen Effekt zu verstärken, fotografiert der 44-Jährige nie ein gesamtes Gebäude, sondern nur einen Ausschnitt. Wie groß das Gebäude tatsächlich ist, bleibt daher unserer Vorstellungskraft überlassen. Zusätzlich hilft er sich manchmal mit einem Trick aus. "Es kommt vor, dass ich Gebäude erweitere und Stockwerke dazuhänge", sagt er.

Für seine Fotos reiste Willeit um den Erdball, von Indien über Deutschland und Italien bis nach Japan. Auffallend sei, dass große Wohnsilos und Wohnhochhäuser nicht ausschließlich in den Stadtzentren stünden. Schon an den Stadträndern würden sich die Wohnungen türmen. Die Vorstellung, wie oder wo manche Leute leben müssen, mache Willeit traurig, sagt er. Denn derart große Wohnkomplexe würden jede*n Einzelne*n in der Anonymität verschwinden lassen.

Außerdem auf ze.tt: Diese Bilder zeigen, wie schön es ist, alleine zu wohnen