Wer an der Zukunft der Energieversorgung arbeitet, braucht einen langen Atem – und viel Geld. Seit 19 Jahren arbeitet das Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP) in Greifswald an dem Fusionsreaktor mit dem klangvollen Namen Wendelstein 7-X. 1,06 Milliarden Euro sind bislang in das Projekt geflossen. Bisherige Betriebsstunden: Null. Jetzt steht der große Moment bevor.

Die Kraft der Sonne

Ein Fusionsreaktor imitiert vereinfacht gesagt das Innere der Sonne. Dort herrschen Bedingungen, unter denen sich Wasserstoffatome in ihre Einzelbestandteile trennen: Atomkerne und Elektronen. Dieser Zustand nennt sich Plasma. Die Atomkerne verschmelzen (fusionieren) und setzen dabei große Mengen an Energie frei.

An diese Energie versuchen Forscher seit den 1950er Jahren zu kommen. Ein Gramm Brennstoff setzt soviel Energie wie 11 Tonnen Kohle frei. Die Grundstoffe, Abwandlungen des Wasserstoffs, sind auf der Erde in nahezu unerschöpflicher Menge vorhanden.

Technisch höchst anspruchsvoll

Ein Fusionsreaktor verlangt Forschern und dem verwendeten Material viel ab. Damit die Kerne verschmelzen, sind Temperaturen von 100 Millionen Grad nötig. Weil die Außenwände des Reaktors das Gas sofort herunter kühlen würden, versuchen die Wissenschaftler, es in einem ringförmigen Reaktor, ähnlich einem Donut, kreisen zu lassen. Dafür sind wiederum Magneten notwendig, die auf Minus 270 Grad Celsius gekühlt werden müssen.

Bislang bremsen vor allem zwei technische Probleme eine industrielle Nutzung aus:

  1. Testreaktoren laufen bislang nicht länger als ein paar Sekunden.
  2. Um die Reaktion in Gang zu bekommen, muss mehr Energie aufgewandt werden, als am Ende produziert wird.

Das Greifswalder Projekt mit dem Namen "Wendelstein 7-X" soll vor allem Problem Nummer 1 beheben. Das Ziel ist eine durchgehende Laufzeit von 30 Minuten. "Das wäre ein Durchbruch", sagt der Leiter des Projektes Thomas Klinger. "Es würde zeigen, dass ein Dauerbetrieb möglich ist." Damit rechnet er jedoch frühestens in fünf bis sechs Jahren.

Möglich werden soll der Dauerbetrieb durch eine spezielle Bauweise. Mit einem Supercomputer errechneten Wissenschaftler den bestmöglichen "Käfig" aus Magneten. Daraus resultiert die seltsame Geometrie des Wendelstein 7-X. Sie soll sicherstellen, dass das Gas nicht an die Wände des Plasmagefässes stößt.

Energie wird der Reaktor jedoch nicht erzeugen. "Dafür ist er zu klein", sagt Klinger. Er hat ein Volumen von 30 Kubikmetern und enthält gerade mal 0,1 Gramm Gas. Reaktoren, die tatsächlich Energie liefern, müssen nach Angaben Klingers Volumina von 500 bis 1000 Kubikmetern haben.

Ein Reaktor dieser Größe soll in Cadarache im Süden Frankreichs entstehen. Bislang sind allerdings gerade mal die Betonsockel der Anlage fertig. Es dürften noch Jahre vergehen, bis der Reaktor steht. Generell brauchen Kernfusions-Forscher viel Geduld. Die Zeithorizonte sind riesig. Vor 2050 rechnet kaum jemand mit möglichen kommerziellen Fusionsreaktoren – wenn überhaupt.

Und es gibt auch Kritik: Die Summen, welche die Forschung verschlingt, sollten lieber in Erneuerbare Energien fließen. Zudem entstehen radioaktive Abfälle, allerdings nur etwa die Hälfte dessen, was bei vergleichbaren Atomkraftwerken anfällt. Ein Vorteil gegenüber Atomkraftwerken: Fusionsreaktoren können nicht explodieren. Eine Katastrophe wie es in Tschernobyl kann nicht passieren.

Dass der Wendelstein 7-X nach 19 Jahren Entwicklungszeit nicht laufen könnte, befürchtet Klinger nicht. "Ich bin kein ängstlicher Mensch", sagt er. Etliche Tests hätten gezeigt, dass der Reaktor arbeitet – wenn auch zunächst nur für Sekunden und erst in Jahren für mehrere Minuten am Stück. Klinger ist sich sicher: "Er wird funktionieren."

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Dieser Text erschien in einer ersten Version am 3. Dezember 2015 und wurde am 10. Dezember aktualisiert.