Wenn es der Anspruch von Trash-TV ist, billig, niveaulos, degradierend und ganz prinzipiell völlig verstörend zu sein, dann ist Naked Attraction die beste Show der Welt. Die Königin, nein, die Göttin des Trash-Fernsehens.

Das neue, aus England importierte Wunderwerk hat seine Heimat auf RTL2 gefunden. Wo auch sonst. Sie nennt sich die ehrlichste Datingshow der Welt, das Konzept ist schnell erklärt: Ein datingwilliger Mensch darf Schritt für Schritt die nackten Körper von sechs feedbackwütigen Kandidat*innen bewerten. Die stehen nackt in bunten Boxen und warten begierig darauf, dass die Datingwilligen ihre Penisse, Vulven, später dann ihre Hintern und Oberkörper, ganz zuletzt ihre Gesichter und Stimmen bewerten. Als Zuschauer*in lernt man die Kandidat*innen genau in dieser Reihenfolge kennen, von unten nach oben, in dermaßen nahen Nahaufnahmen, die einen in kindischer Unreife zusammenzucken lässt.

Die Teilnehmer*innen sollen nach ihren persönlichen Vorlieben auswählen und jede Runde eine*n Nackte*n aus der Show werfen. Bevor sie ihre endgültige Wahl treffen und mit dem*der Gewinner*in auf ein Date gehen, müssen sie sich selbst nackt ausziehen und herzeigen. Wegen der Gleichberechtigung und so. Durch dieses Genitalienkarussell führt die ehemalige Viva-Moderatorin Milka Loff Fernandes, die als einzige während der ganzen Sendung angezogen bleibt.

Wer Trash gut findet, hat damit wahrscheinlich seine*ihre neue Lieblingsshow gefunden, herzliche Gratulation. Und alle anderen bleiben womöglich auch hängen, zumindest für ein paar Momente: Die Show ist der sprichwörtliche Autounfall, bei dem man nicht wegsehen kann. Genau das ist wohl auch der Punkt der Showmacher*innen: Lasst uns etwas so Schreckliches kreieren, dass es sich die Zuschauer*innen nicht ansehen können. Und seien wir mal ehrlich: Habt ihr nicht nach diesen paar Zeilen schon Lust, einen Blick in diese Show zu werfen? Sei es aus bloßer Neugier, aus Wut oder aus dem masochistischen Verlangen heraus, sich fremdschämen zu wollen?

"Schau mal, der zittert ein bisschen"

In der ersten Folge geht Jennifer auf Körperschau. Sie ist 24 Jahre alt und Erzieherin in Ausbildung. Hip-Hop sei das, was sie wirklich ausmache. Nach einem kurzen Hallo-wie-geht's-ich-bin-aufgeregt-Gelaber fahren die Wände der Boxen langsam hoch und Jennifer wird sogleich vor sechs Penisse gestellt.

Was folgt, ist ein schwer erträglicher Gedankenaustausch zwischen Jennifer und der Moderatorin über die Dicke, Länge, Behaarung und Beschnittenheit des männlichen Penisses an sich. Die geschulte Moderatorin hilft mit nützlichen Kommentaren wie "Also meine Hand reicht da wahrscheinlich nicht" oder "Schau mal! Der zittert ein bisschen. Süß". Jennifer merkt allerdings an, dass man ja Penisse im schlaffen Zustand gar nicht bewerten könne, da hätte sie schon einige Überraschungen erlebt. Hihihihihi.

Nachdem Jennifer die Penisse sicher im Gedächtnis verstaut hat, werden die Kandidaten angehalten, sich umzudrehen. Jetzt werden Ärsche bewertet. Die Moderatorin befragt Jennifer erneut nach ihren Vorlieben bezüglich der Haarmenge am Hintern, Form und Abstand der Pobacken und betont selbst, wie sehr es ihr Spaß mache, wenn man durch den Spalt zwischen den Oberschenkeln bis nach vorne zum Penis gucken könnte. Die angezogene Jennifer beantwortet seelenruhig alle Fragen und kickt schließlich den sehr, sehr langen 23-jährigen André aus Saarbrücken aus dem Wettbewerb.

Jede Runde fahren die Wände der Boxen ein wenig weiter hoch, jede Runde wirft Jennifer einen Kandidaten aus der Sendung. Untermauert wir das Spektakel von semi-informativen Aufklärungssequenzen, die beispielsweise den Unterschied zwischen einem Blut- und einem Fleischpenis erklären. Ersteren hätten laut RTL2 79 Prozent aller Männer. Wieder was gelernt.

Der Auswahlprozess geht weiter: Über Oberkörper, die eher der gemütlichen Variante angehörten und Gesichter, die ihr nicht ganz so zusprechen würden und Stimmlagen, die nicht ganz so ihre seien. Am Ende entscheidet sich die mittlerweile selbst nackte Jennifer für den nackten KFZ-Mechaniker Michael, der sich doch tatsächlich geil über die Lippen leckt und ein bisschen Blut in seinen Penis pumpt. Charaktereigenschaften? Hobbys? Politische Einstellung? Haustiere? Allergien? Alles egal. Mit Halb-Ständer bewundert Michael Jennifers hammermäßige Augen, bis die beiden schließlich aus dem Bild verschwinden und ein Date miteinander verbringen.

In der nächsten Runde darf Rob aus Berlin ran, 26 Jahre, Gitarrenlehrer und Mitglied in einer Metallica-Tribute-Band. Er besitzt mehrere Nacktkatzen, das passt also. Mit einer erstaunlichen Genauigkeit und einer allwissenden Gelassenheit bewertet er die nackten Körperteile von sechs Frauen. Er vergegenständlicht die Frauen in den Boxen, als gäbe es kein Morgen. Er spricht von Apfel-, Birnen-, Tropfen- und Vasenformen. Speit einen Facepalm-würdigen Satz nach dem anderen aus – "Auch nicht zu zart gebaut im Genitalbereich", "Ich bin ein Kenner, oder?", "Sieht nach fertiger Frau aus" – und bleibt von anderen "nicht weiter auffälligen" Vulven unbeeindruckt. Am Ende entscheidet sich Rob für Model Lina aus Österreich. Viel Glück für eure Zukunft.

Voyeurismus deluxe

Nach dem ersten Schock über das Sendungskonzept und den anfänglichen Ist-das-ihr-ernst-Gedanken wird die Show dann auch sehr schnell sehr langweilig. Der Schockmoment ist nach einer Folge ausgelutscht, nackte Körper sind eben doch nicht so empörend wie anfangs angenommen. Das Konzept der Sendung ist eine offen gelebte Fleischbeschau, die ultimative Reduzierung auf den nackten Körper, der pure Voyeurismus. Um die Ecke gedacht wird hier nicht.

Wir erinnern uns an früher: Denselben Reiz übten schon die zwei Nackten in der Mitte der Bravo aus. Nur war die Bravo für pubertierende Jugendliche gemacht, die wahrscheinlich noch nicht viele nackte Menschen gesehen hat. Da war das hemmungslose Glotzen noch okay. Bei Naked Attraction wird es einfach nur peinlich.

Die Show erfüllt ihren Anspruch. Auch wenn dieser kein sehr hoher ist. Wenn Adam sucht Eva und ähnliche Nackt-Datingshows ihren Reiz verlieren, muss eben etwas noch Krasseres her. Der Zuschauer muss umstandslos unterhalten werden und das geht am besten durch die Senkung des Niveaus, in jeder neuen Show ein bisschen mehr.

In der kommenden Folge dürfen Pansexuelle und Transsexuelle ins Unterschichten-Fernsehen. Man könnte denken: Oh, RTL2 erlaubt auch Kandidat*innen die Teilnahme, die sich nicht im Raum der binären Geschlechteridentitäten bewegen. Mit Gleichberechtigung hat das aber wenig zu tun. Eher wird dadurch der Voyeurismus auf die Spitze getrieben.