Spiel, Bild und Ton des deutschen Filmdramas Prélude überzeugen. Mit dem Protagonisten David mitzuleiden, fällt jedoch schwer. Eine Kritik

Am spannendsten wird Prélude, wenn der Hauptdarsteller schweigt. Wie der junge Pianist David (Louis Hofmann) die Gesangsstudentin Marie (Liv Lisa Fries) beobachtet – einmal gesehen, gleich verliebt –, wie er sie anlächelt und ohne Worte schwärmt, ist wunderbar zu beobachten. Oder wie er Walter (Johannes Nussbaum), seinen größten Konkurrenten im Musikstudium, anblickt, als die Professorin ihn vor dem Kurs demütigt – mitfühlend und schadenfroh: Das sind starke Bilder.

Mit einem Blick fesseln, das beherrscht Hofmann. Und Prélude schenkt ihm ein paar Szenen, in denen er dieses Talent ausspielen kann. Doch am Ende ist der 95-Minüter mehr ein ausladender Showcase eines talentierten Nachwuchsschauspielers als ein unterhaltsames Drama.

Es soll erzählen, so verkündet es die Synopsis, wie ein junger Mann an dem Leistungsdruck seines Studiums zugrunde geht. Die Regisseurin und Autorin Sabrina Sarabi verpasst es jedoch, abseits von ein paar vielsagenden Blicken diese Leidensgeschichte glaubhaft emotional aufzuladen. Das haben verwandte Filme bereits eindrücklicher hinbekommen.

Für David steht in Prélude nichts auf dem Spiel

Nun mag es zunächst unfair erscheinen, ein deutsches Regiedebüt mit den Hollywood-Produktionen Black Swan und Whiplash zu vergleichen. Doch diesem Wettbewerb muss sich Prélude gezwungenermaßen stellen, immerhin erzählt der Film eine ähnliche Geschichte: den Aufstieg und Fall eines hoffnungsvollen Künstlers.

In Black Swan versucht die Ballerina Nina (Natalie Portman) die Hauptrolle in Schwanensee zu ergattern und opfert dafür ihren Verstand. In Whiplash kämpft der Schlagzeuger Andrew (Miles Teller) um den Platz in einer renommierten Jazzband und opfert sein Privatleben. Und in Prélude versucht David – ja was eigentlich? Schon die Zielsetzung ist unscharf: Wenn David sich am Klavier während des Musikstudiums behauptet, winkt ihm ein Stipendium in den USA. Man kann als Zuschauer*in allerdings nur erahnen, ob David tatsächlich dafür brennt, es zu erhalten. Der Film gibt keine Gelegenheit, dass er seine Leidenschaft zeigt oder zumindest ausdrücklich darüber spricht.

Es fällt schwer, mit jemandem mitzuleiden, der weder Wünsche formuliert, noch großen Gefahren ausgesetzt ist.

Grundsätzlich hält Sabrina Sarabi essenzielle Hintergrundinfos über ihre Hauptfigur zurück, die einen Zugang zu David schaffen würden. Über Nina in Black Swan erfährt das Publikum, dass ihre Mutter schuld ist an den überbordenden Ambitionen: Um geliebt zu werden, soll Nina leben, was für ihre Mutter immer nur ein Traum geblieben ist. Whiplash zeigt, dass Andrew ein Arbeiterkind ist. Sein Ehrgeiz rührt aus der Angst vor dem sozialen Abstieg.

Was für David auf dem Spiel steht, sollte er unter dem Druck im Musikstudium einknicken, lässt Prélude offen. Zum Ende hin stattet der junge Pianist seiner Mutter einen Besuch ab, erst da gibt es einen Einblick in seine Vergangenheit. Doch Davids Mutter ist alleinerziehend, liebevoll, wohlhabend. Wenn David fällt, landet er offenbar sanft. Es fällt schwer, mit jemandem mitzuleiden, der weder Wünsche formuliert, noch großen Gefahren ausgesetzt ist.

Enttäuschte Figuren taugen nicht als Kontrahent*innen

Zudem lässt Prélude einen starken Gegenpart vermissen. Nina ist in Black Swan enormem psychischen Druck durch den Choreografen Thomas Leroy (Vincent Cassel) und ihrer Konkurrentin Lily (Mila Kunis) ausgesetzt. In Whiplash versucht Andrew den Ansprüchen von Terence Fletcher (J. K. Simmons) zu genügen. Wenn Fletcher etwas nicht gefällt, wirft er mit Musikinstrumenten nach Andrew, er schlägt und beschimpft ihn. Er wird nicht nur als mächtiger Professor, sondern auch als körperlich aggressiver Mann inszeniert. Eine Wucht von einem Gegner.

Davids Professorin Katharina Berger (Jenny Schily) ist als Antagonistin hingegen blass. Sie gibt sich zwar oft enttäuscht über Davids Leistung, aber enttäuschte Figuren taugen nur schwer als unsympathische Konterparts. Und so bleibt die Konkurrenz zwischen David und Walter um Maries Liebe und um den Erfolg am Klavier der konfliktreichste Strang des Films. Einmal geraten David und Walter am See aneinander, vordergründig wegen eines Notenhefts, aber eigentlich wegen Marie und des Studiums. Der Streit gerät allerdings enttäuschend kurz. Man wünscht sich mehr Drama in diesem Drama.

Man wünscht sich mehr Drama in diesem Drama.

Visuell und mit dem Ton kann Prélude wiederum überzeugen. Das Klacken eines Metronoms sowie Walters ständiges Tischtennisspiel zu nutzen, um dem Stress in Davids Kopf einen Klang zu geben, ist ein cleverer stilistischer Kniff. Die ruhigen Bilder des biederen Konservatorium-Interieurs vermitteln zudem eine bedrückende Stimmung an dem elitären Ort. Was die Handlung an Spannung vermissen lässt, gelingt dann und wann durch die Regie.

Trotzdem Hoffnung

Am Ende weckt der Film Hoffnung für den deutschen Film: Von Sabrina Sarabi als Regisseurin sowie den Schauspieler*innen Louis Hofmann (auch in Dark zu sehen), Liv Lisa Fries (auch in Babylon Berlin) und Johannes Nussbaum möchte man nach Prélude unbedingt weitere Projekte sehen. In denen ihre Figuren ebenso vielsagende Blicke tauschen – aber auch mehr von sich erzählen dürfen.