Wer schon einmal versucht hat, einen Urlaub mit mehr als drei Personen zu organisieren, der weiß, wie kompliziert Kompromissfindung sein kann. Bei großen Behörden ist das ganz ähnlich.

Ich war drei Jahre lang Leiterin des Regionalbüros einer Europaabgeordneten. Die meisten Parlamentarier*innen, Parlaments- und Kommissionsmitarbeiter*innen, die ich während meiner Arbeit kennenlernte, arbeiten viel und hart und können über eine 60 Stunden Woche meistens nur müde lächeln. Neben zahllosen Sitzungen und Verhandlungsrunden müssen noch mehr Anträge ausgearbeitet beziehungsweise durchgelesen werden.

In Europa müssen nicht nur unterschiedlichste Interessen, sondern auch unterschiedliche Kulturen, unterschiedliche Geschichten der Mitgliedsländer und nicht zuletzt ihre finanziellen Möglichkeiten zu einer Lösung zusammengebunden werden.

Aber ich schweife ab. Die Meisten fallen eh schon in den Tiefschlaf, wenn das Wort "Kommissionsmitarbeiter*in" fällt. Ich nehme das niemandem übel. Das politische Tagesgeschäft ist langatmig und für Außenstehende oft langweilig. Das Einzige, was noch zielsicherer zum Gähnen führt, ist die Schilderung verschiedener Verwaltungsabläufe. Dummerweise besteht die Arbeit in großen Behörden, und die EU-Kommission ist nun mal eine besonders große Behörde, vor allem aus solchen Abläufen. 

Das ist das große Dilemma der Europäischen Union: Ihre praktische Arbeitsweise ist so langwierig, dass sie eigentlich nur dann öffentlichkeitswirksam zu vermarkten ist, wenn irgendetwas gewaltig schief läuft. Wenn also beispielsweise Gurken normiert werden sollen. Die Vereinbarungstexte lesen sich dann so absurd, dass die Medien der Mitgliedsstaaten darüber berichten. Schließlich kann sich da am Ende jeder über den angeblichen Bürokratisierungswahn der Europäischen Union aufregen. 99% der Entscheidungen haben keine so eindeutig zu transportierende Botschaft und die Bedeutung für unser Leben ist nicht immer sofort ersichtlich. Das macht Europa schwer zu greifen.

Parlamentarier sind auch nur Menschen

Als ich vor nunmehr fünf Jahren das erste Mal vor dem Europäischen Parlament in Straßburg stand, war ich in erster Linie aufgeregt. Im Parlament angekommen, war ich überrascht, dass es dort eine Raucherterrasse gibt, dass das grimmige Sicherheitspersonal auch mal zu Scherzen aufgelegt ist und man im Parlament sogar Tischtennis spielen kann. Und darüber, dass auch diese Behörde klein genug ist, dass man irgendwann vom Kantinenpersonal erkannt wird. Man stelle sich vor, selbst in den EU-Institutionen gehen nicht alle zum Lachen in den Keller.

Was immer gerne vergessen wird: Im Europäischen Parlament, in der Verwaltung, in der Kommission, beim Gerichtshof arbeiten ganz normale Menschen. Viele von ihnen sind jung, die meisten idealistisch und sie bemühen sich in aller Regel sehr, ihre Sache so gut wie möglich zu machen. Sie kommen aus allen Mitgliedsländern der Europäischen Union, sie kaufen sich mittags ihre Pommes am Büdchen und stehen abends auf einem der zahlreichen Plätze in Brüssel, Straßburg oder Luxemburg zusammen, um den Tag bei einem Bier ausklingen lassen.

Internationales Kultur-Wirrwarr

Ich habe bereits bei einer meiner ersten Dienstreisen nach Brüssel im Kleinen erkannt, dass im Konstrukt Europäische Union permanent Welten zusammenprallen: Deutsche geben einander die Hand, Franzosen begrüßen sich mit drei Küsschen, einige sind eher reserviert, andere sprechen in großen Gesten. Es dauert ein Weilchen, bis sich bei mir das unangenehme Gefühl legt, schon bei der Begrüßung alles falsch gemacht und irgendjemandem auf den Schlips getreten zu haben.

Nach dem Abendessen kommt es zur nächsten Irritation: Einige bestehen auf getrennte Rechnungen, für andere am Tisch ist das völlig unverständlich. Es ist ein buntes Sprachwirrwarr und gäbe es Englisch als gemeinsame Sprache nicht, man könnte sich kaum verständigen. Trotzdem wird gelacht und irgendwie schafft man es, eine Lösung zu finden, mit der alle zufrieden sind, auch wenn wir ein wenig länger diskutieren und hin und her übersetzen müssen. Ohne gegenseitiges Verständnis und ein bisschen Geduld wäre das Projekt Europa schon an unserem Abendbrottisch gescheitert.

In diesem Sinne – es dauert zwar, aber es wird gut.