Dieser Tage gibt es viele Initiativen, die Geflohenen helfen, in Deutschland anzukommen. Menschen, die Geld sammeln, freiwillig helfen. Sie denken vorausschauend und praktischer, als viele Politiker es tun. Nicht selten stehen Künstler hinter den Aktionen, häufig Schriftsteller. Sie versuchen, uns mit Literatur mitfühlen zu lassen, an den Strapazen, die Menschen auf der Flucht auf sich genommen haben. Sie wollen die Welt spüren und die Dinge sicht- und erfahrbar machen.

Da die Prozesse im Print eher langsam sind und es dauert, bis das fertige Buch in den Läden liegt, finden sich derzeit vor allem in E-Book-Verlagen wie dem Frohmann Verlag oder mikrotext die interessantesten Texte zum Thema Flucht. Sie reagieren schnell, aber nicht unbedacht. Sie sind flexibel und ihre Bücher sind unabhängiger von Formaten. Beide Verlage machen mit ihrem Programm Stimmen hörbar und die Bücher ihrer AutorInnen Dinge sichtbar, die jenseits unserer eigenen Erfahrungen liegen.

Nächte an der Grenze und auf Zugdächern

Nächte zum Beispiel, in denen sich die immer selben Szenen wiederholen. Menschen, die auf fahrende Züge aufspringen und sich 50 Kilometer lang an ihnen festhalten müssen, ehe sie ihr Ziel erreicht haben. Solche, die sich in Lastwagen schmuggeln und Plastiktüten über ihre Köpfe ziehen, um sich nicht durch ihren Atem zu verraten. Nächte, in denen wir nur 14 Euro für eine Überfahrt im Eurotunnel zahlen müssten, während andere zwischen Hundestaffeln, elektrischen Zäunen und durch den Tunnel rasenden Zügen ihr Leben aufs Spiel setzen.

"I am not animal" von Hammed Khamis geschieht. Ein Augenzeugenbericht, der nicht instrumentalisiert und auch nicht verkitscht, sondern sichtbar macht.

"Dies ist die Keinearztsohnnichtliteraturinstitutsliteratur, die ihr wolltet", schrieb die Verlegerin Christiane Frohmann auf Facebook über das Buch von Khamis, das über das Flüchtlingscamp in Calais berichtet. Khamis' Buch hat sich noch während des Schreibens von einem tagesaktuellen in ein historisches Zeugnis verwandelt. Das Lager wurde im Januar 2016 von der französischen Polizei geräumt.

Umso dringender wird der Text, der jetzt in der Reihe An einem Tisch erschien. Die von Frohmann gemeinsam mit KollegInnen ins Leben gerufene Serie bringt Menschen zusammen, um über Migration, das Ankommen und Leben in Deutschland, über Identität, Heimat und Exil zu sprechen. Die Ergebnisse dieser Abende erschienen danach als Podcast, Blog und (E-)Buch.

Zeitgenossenschaft dokumentieren

"Mein Name ist Bino Byansi Byakuleka" des ugandischen Aktivisten Patras Bwansi deutschen Theaterregisseurin Lydia Ziemke.

Die Texte sind nur über eine gemeinsame Begegnung der Schreibenden mit einander verknüpft. Beide erzählen von den Schwierigkeiten und Problemen, mit denen sich Helfende wie auch Neuankömmlinge konfrontiert sehen. Bwansi erinnert sich, wie er zum Aktivisten wurde, Ziemke muss sich mit dem deutschen Asylsystem auseinandersetzen, als sie einem Geflüchteten helfen will. Während Bwansi schon als Schüler mit Kunst versuchte, die Gesellschaft zu verändern und dieses Anliegen nach zwei Jahren im Flüchtlingsheim in Passau weiter fokussiert, muss sich Ziemke damit auseinandersetzen, wieviel Kraft sie eigentlich hat und wieviel davon sie wirklich geben kann. Es sind starke Bilder, die die beiden Autoren finden, die zwischen den Zeilen aufblitzen und wie Phosphene lange nachleuchten.

Kommunikation ist überlebenswichtig auf der Flucht

Neben Essays und Reportagen finden sich Chatverläufe oder Facebook-Statusmeldungen. Die Verlegerin Nikola Richter publizierte bereits 2013 den inzwischen in Berlin lebenden und aus der Nähe von Aleppo stammenden Syrer Aboud Saeed und engagierte sich für seine Ausreise nach Deutschland, als viele in Deutschland das Thema Syrien-Konflikt noch gar nicht hören wollten. Seine von Sandra Hetzl übersetzten Facebookstatusmeldungen waren die erste eigenständige Veröffentlichung des gelernten Schmiedes. Sie sind inzwischen so etwas wie eine Pflichtlektüre und haben den Autor zu einiger Bekanntheit gebracht.

"Mein Akku ist gleich leer". In eben jenem titelgebenden Chat wird die Autorin Julia Tieke Teil der Flucht des 1987 bei Aleppo geborenen Faiz. Auch hier ging eine Begegnung beider dem Text voraus. Nur wenige Monate vor seiner Flucht lernte Tieke den Medienaktivisten in der Türkei kennen. Vier Jahre zuvor hatte Faiz sich den Protesten für Freiheit, Gerechtigkeit und Würde in Syrien angeschlossen.

Er dokumentierte Proteste und staatliche Repressionen gegen Aktivisten und gründete nach dem Rückzug des Regimes mit anderen Aktivisten ein Zentrum für Zivilgesellschaft. Extremisten des sogenannten "Islamischen Staats" drohten Faiz mit Enthauptung und zwangen ihn ins Exil. In der Türkei kann er seine Arbeit nicht fortsetzen und sieht keine Perspektive. Faiz flieht. Durch die Wälder. Und er schreibt Nachrichten von der Flucht. Tieke liest mit, versucht Antworten zu finden, wo es kaum Antworten gibt, und über Freunde Hilfe zu organisieren. Sie telefoniert mit Botschaften, versucht Geld zu schicken und vor allem die richtigen Worte zu finden. Solche, die ihn ermutigen und nicht dem Zweifel überlassen, überhaupt noch "Mensch zu sein". Immer wieder baut Faiz selbst in diesem unverfälschten Dialog die Freundin in der Ferne auf, sie solle sich keine Sorgen um ihn machen. Doch immer wieder überkommt ihn auch die Mutlosigkeit, die Erschöpfung.

Faiz lebt inzwischen in Schleswig-Holstein. Das Buch veröffentlicht nur einen kurzen Ausschnitt einer überlebenswichtigen Kommunikation. Den Kontext muss der Leser selbst herstellen.

Notiz: Die erste Fassung des Textes lehnte sich stark an die Rezension "Kein Mensch ist illegal" von Caterina Kirsten an. Das entspricht nicht den Standards, nach denen wir bei ze.tt arbeiten wollen. Deshalb haben wir uns entschlossen, den Beitrag zu verändern. Die Redaktion/mh