Über Jahrzehnte rekrutierten die Kreiswehrersatzämter des Landes junge Männer, um ihnen, nachdem ihre Hodensäcke ausgiebig geprüft wurden, ihre Personenkennziffer, einen alphanumerischen Code zuzuweisen, unter dem sie fortan "ihrem Staat dienen" sollten. Sie wurden ungefragt in Uniform gesteckt und an schwere Maschinengewehre gesetzt. Der deutsche Staat pfuschte dadurch dutzenden Generationen in ihre Zukunft. Er hinderte die Menschen daran, ihr Leben zu leben, wie sie es wollten. Weil sie gezwungen waren, eine nicht unerhebliche Zeit im Militärdienst zu verbringen – oder sich durch Trickserei ausmustern zu lassen.

Jetzt prüft die Bundesregierung für ihren Zivilschutzplan die Wiedereinführung der Wehrpflicht. Die ist seit dem 1. Juli 2011 ausgesetzt, da sie aus Sicht der Regierung ihre sicherheitspolitische und militärische Bedeutung verloren hatte. Der Pflichtdienst ist aber weiterhin im Grundgesetz verankert und könnte mit einem einfachen Gesetz wieder eingeführt werden. Sollte es tatsächlich soweit kommen, käme das in mehrerlei Hinsicht einer Katastrophe gleich.

Heute müssen sich junge Männer nämlich glücklicherweise nicht mehr unter Zwang zwischen Wehr- oder Zivildienst entscheiden, während sie noch zur Schule gehen. Sie müssen vor allem kein erniedrigendes Pamphlet an die Kreiswehrersatzämter schicken, in dem sie präzise zu erklären haben, warum sie keinen "Dienst an der Waffe" leisten möchten. Im 21. Jahrhundert sollte jeder Mensch frei darüber entscheiden dürfen, ob er ein Militär für gerechtfertigt hält oder im Grundsatz ablehnt. Dafür sollte er doch bitte dem Staat keine Rechenschaft schuldig sein. Würde der Grundwehrdienst wieder Pflicht, katapultierten wir uns zurück ins Jahr 1956.

Auch das häufig von den Großeltern hervorgebrachte und von Eltern nachgeplapperte Argument "das tut denen schon ganz gut, da lernen sie Zucht und Anstand" ist freilich großer Humbug: "Zucht und Anstand" sind Attribute, die der "Kreativität und Kritikfähigkeit" nachstehen sollten, und zwar immer und zu jeder Zeit. Wie sonst soll eine Gesellschaft an sich wachsen? Indem sie sich tumbe Befehlsempfänger großzieht? Sie wird spätestens dann scheitern, wenn Probleme gelöst werden sollen, deren Lösung eine menschliche sein muss.

Ein Symbol für Krieg

Die "Kameradschaft" innerhalb der Bundeswehr soll ein Gefühl der Zugehörigkeit vermitteln, hört man ehemalige und aktive Soldaten häufig berichten. Das Gegenteil ist der Fall: Die Gleichschaltung junger Menschen durch Barett und Marschschritt entfremdet sie von der Gesellschaft. Der "Staatsbürger in Uniform" ist ein Hirngespinst – noch heute werden junge Menschen in Armee-Uniform im Supermarkt so angestarrt, als wären sie Außerirdische.

Beim morgendlichen Einfahren in die Kaserne sind Soldatinnen und Soldaten um Punkt 6.30 Uhr dazu angehalten, aus dem Wagen zu steigen und der deutschen Flagge zu salutieren – ob sie nun in Uniform oder Zivilkleidung anreisen. Das soll ein Symbol sein, dafür, die "deutschen Werte" anzunehmen und zu verteidigen. Aber wer einer Flagge salutiert, der salutiert nunmal keinen Werten – er salutiert nichts weiter als einer Flagge. Gerade Menschen in Deutschland täten gut daran, sich über Taten zu definieren, statt drei übereinander liegender Farben.

Der letzte und wichtigste Punkt, den man in Zeiten, in der die Bundeswehr so offensiv mit Werbung um neue Soldaten buhlt und die Armee auch schon für Einsätze im Inneren übt, nicht oft genug aussprechen kann: Ein Militär ist immer ein sehr sichtbares Symbol für Krieg. Immer. Und Krieg ist nichts, über das in einer aufgeklärten Welt noch ernsthaft nachgedacht werden sollte – allein schon der Menschen wegen, die irgendwann noch in sie hineingeboren werden.

Die Bundesregierung täte gut daran, die Wiedereinführung der Wehrpflicht schnellstens wieder zu verwerfen. Selbst der Gedanke daran ist Gift.