Der blaue Virus verbreitet sich in rasantem Tempo. Er ist hoch ansteckend und hat sich in den vergangenen Jahren in die entlegensten Regionen der Erde ausgebreitet: Mehr als zwei Milliarden Menschen sind weltweit infiziert, manche davon sind bereits chronisch krank. Es ist eine Seuche epidemischen Ausmaßes, so gut wie unaufhaltsam und, hat sie sich erst mal eingenistet, ist sie nur noch schwer loszuwerden. Mit hoher Wahrscheinlichkeit trägst auch du, liebe*r Leser*in, den Erreger in dir.

Die Rede ist von Facebook. Die Symptome sind vielfältig und reichen von Zwangsverhalten über psychosoziale Funktionsunfähigkeit und Isolation bis hin zur totalen Abhängigkeit. Einzige halbwegs erfolgreiche Therapiemaßnahme scheint bisher nur der Entzug, und der kann wie bei jedem Suchtmittel mit äußerst unangenehmen Begleiterscheinungen einhergehen.

Zugegeben, das gezeichnete Bild ist überspitzt. Es hat aber einen wahren Kern. Die Art, wie sich Facebook seit der Gründung 2004 über den Globus verbreitete, gleicht einem Virus. "Menschen stecken sich mit Viren oder Bakterien an, wenn andere um sie herum schon krank sind – und ebenso werden Menschen Mitglied in einem sozialen Netzwerk, wenn ihre Freunde es bereits sind", schrieben die damaligen Princeton-Doktoranden John Cannarella und Joshua Spechler in ihrer Studie. Die Art, wie Menschen den Onlinedienst nutzen und wie schwer es ihnen fällt, davon wieder loszukommen, gleicht einer Sucht.

Digitalisierung macht nackig

Das gilt zwar besonders für Facebook und Instagram, aber nicht nur. In abgeschwächter Form gilt das wohl für alle sozialen Netzwerke und, wenn wir den Kreis noch weiter spannen, für die gesamte digitale Welt. Wie man es auch immer umschreiben möchte, Tatsache ist: Die Digitalisierung veränderte die Art und Weise, wie wir leben – zum Positiven wie auch zum Negativen.

In der Hoffnung auf Popularität und Anerkennung machen wir uns freiwillig digital nackig, verdienen mit dieser Blöße teilweise sogar Geld. Influencer*innen verdienen mit ihrem hohen Online-Ansehen viel Geld, aber zahlen dafür meist auch mit dem Preis ihrer Privatsphäre. Was zählt, sind Likes und Herzen, Shares und Mentions, Follower*innen und Fans. Wie moralisch vertretbar oder faktisch richtig weitergegebene Informationen sind? Niemand weiß es. Aber wir sind gut beraten, lieber einmal genauer hinzuhören. Und auf die ohnehin schon besorgniserregende Anzahl an Datenmissbrauchsvorfällen, durch die ganze Präsidentschaftswahlen beeinflusst werden, wollen wir an dieser Stelle gar nicht eingehen.

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Gesellschaftskritik mit Metaphern und schwarzem Humor

Den Thematiken des gläsernen Menschen, des ausartenden Medienkonsums und der daraus resultierenden Nebenwirkungen nimmt sich der Künstler Paweł Kuczyński an. In seinen Comics zeigt er, wie unsere sozialen Kompetenzen durch einen ausufernden Gebrauch digitaler Medien langsam verkümmern. Wie unfähig wir sind, einfach mal ein Buch zur Hand zu nehmen und mit unserem Vorstellungsvermögen in eine Geschichte einzutauchen. Wie wir bei dem Versuch, möglichst individuell zu sein, scheitern und doch nur einer von unzähligen Lemmingen sind.

Der 42-jährige Künstler aus Szczecin in Polen verdient seit 2004, dem Gründungsjahr von Facebook, sein Geld mit satirischen Illustrationen. "Ich bin ein Beobachter", sagt er. "Ich mag es, Menschen und ihre Beziehungen zueinander zu beobachten." Und da diese Beziehung heutzutage überwiegend mit dem eigenen Handy stattfindet, hält Kuczyński, der selbst Facebook-Nutzer ist, mit seiner Kunst der Gesellschaft den Spiegel vor. Dafür arbeitet er gerne mit schwarzem Humor und Metaphern, die er als universale Sprache bezeichnet. "Manchmal kann eine gute Metapher mehr erzählen als hundert Worte. Ich versuche, den Betrachtern ohne Worte etwas über die Welt und Gesellschaft, in der wir leben, mitzuteilen."

Sein gesellschaftskritischer Blick komme laut Kuczyński aus der Kindheit. Aufgewachsen im kommunistischen System Polens, hatte seine Familie kaum Ressourcen oder Freiheiten. "Ich lebte in einer sehr traurigen Zeit in Polen. Meine Erinnerungen daran lassen mich wissen, wie gut es die Menschen heute in der westlichen Welt haben – und dass sie das häufig nicht zu schätzen wissen", sagt er.

Für seine Bilder, die er von Anfang an mit Wasserfarben und Buntstiften anfertigt, erhielt er bis heute mehr als 130 Auszeichnungen. Manche würden seine Arbeit als surrealistische Zeichnungen bezeichnen, sagt der Künstler. Kuczyński selbst bezeichne sich aber lieber als Illustrator realistischer Situationen in einer ohnehin surrealistischen Zeit.