Meine Berlin-Auszeit wollte ich an einem exotischen Ort verbringen. Neue Gerüche und Geräusche aufsaugen, eine fremde Kultur kennenlernen, Abenteuer erleben.

Ich habe diesen Ort gefunden. Er liegt tief, tief im Westen. Ein mystischer Ort, der in meinem Kopf nur in Sepiafarben existierte und mit alten Herren à la Konrad Adenauer bespickt war.

Gratis Shabby Shic

In Berlin gehört es zum guten Ton, seine Wohnung mit ausrangierten Möbeln von der Straße zu bestücken. In Szene-Vierteln wie Neukölln oder Kreuzberg besteht ein richtiger Kampf um nicht komplett verschimmelte Straßenfundstücke. Gute Möbel finden Berliner*innen nur noch auf eBay-Kleinanzeigen à la "Shabby Shic 50er 60er 70er 80er Retro Vintage Hipster Stuhl". Damit verdienen sich viele auch noch Geld mit einem alten, abgefuckten Ikeastuhl.

In Bonn ist das anders. Dort scheint der Wert des Ausrangierten noch nicht angekommen zu sein. Aus diesem Grund füllen sich die Straßen am Sperrmülltag mit dem geilsten Scheiß. Alles umsonst und zum Mitnehmen! Wer also Lust auf neue Möbel hat, sollte unbedingt mal vorbei schauen.

Menschen

"I totally love Berlin. The people here are so open-minded and friendly", wenn ich diesen Satz höre, muss ich dem oder der eventuell in die Fresse hauen. Von open-minded Berliner*innen spreche ich spätestens nicht mehr, seitdem ich beobachtete, wie ein Autofahrer einen Fahrradfahrer boxte. Allein aus Selbsterhaltungsgründen lernte ich schnell, beim versehentlichen Kontakt mit fremden Menschen auf der Straße lauthals wüste Beleidigungen zu brüllen.

Ende Gelände mit der 24/7-Mentalität

Berlin befindet sich in einem Zustand der permanenten Verfügbarkeit. Fast alles ist 24/7 zu bekommen. Klopapier, Schokolade, Tiefkühl-Blätterteig – alles das gibt’s auch noch um 3 Uhr morgens.

In Bonn ist das anders. Dort bedarf es ab Einbruch der Nacht genauerer Planung. Supermärkte schließen um 20 Uhr, Spätis – beziehungsweise Kioske – sind rar gesät, Nachtbusse fahren selten. Ich lerne allmählich wieder, wie eine Uhr und Busfahrpläne funktionieren. Bonn macht überlebensfähig.

Kaffee ist Kaffee

Berlin gestaltet den Kaffeekauf sehr herausfordernd. In einigen Läden brauche ich ein umfassendes Erklärwerk für den Kaffeegenuss. Der moderne Berliner Coffeeshop ist ein Dschungel aus verschiedenen Milch- und Bohnensorten, Zusatz-Shots und Anglizismen.

In Bonn ist das bedeutend einfacher. Kaffee ist halt Kaffee. Im Glücksfall gibt es noch Kondensmilch dazu.

Fahrrad-Paradies

In Berlin haben es Fahrradfahrer*innen nicht leicht. Die Distanzen sind immens, Fahrradwege selten und das Fahrverhalten der Autofahrer*innen ist, sagen wir mal, abenteuerlich.

In Bonn aber brauche ich im Grunde gar keine öffentlichen Verkehrsmittel. Die Stadt ist so klein (141,06 km²), dass ich locker überall mit dem Rad hinfahren kann. Und es kommt, soweit ich weiß, auch seltner vor, dass Bonner Autofahrer*innen Fahrradfahrer*innen verprügeln.

Fluss

Ich habe bisher noch keine*n Berliner*in getroffen, die oder der die Spree als ein Highlight der Stadt anpries.

Bonn präsentiert seine Gewässer definitiv besser. Die Rheinländer feiern den Rhein regelrecht. Bei jeder Gelegenheit ziehe ich mit Sack und Pack in die Auen am Rhein, um gepflegt ein Kölsch zu zischen.