20 Tage. So hoch oder niedrig ist bei einer Fünf-Tage-Woche der gesetzliche Anspruch auf Erholungsurlaub. Je nach Alter, Betriebsvereinbarung und Tarifvertrag sind es auch ein paar Tage mehr. Doch viel mehr als bezahlte 28 Urlaubstage haben die meisten Arbeitnehmer*innen nicht, das ist der Durchschnitt. 28 Tage, die sorgfältig geplant, mit den Kolleg*innen abgestimmt und ordnungsgemäß beantragt werden müssen.

Schluss damit, denken sich immer mehr Unternehmen. Das Berliner Matratzen-Start-up Casper zum Beispiel. Es setzt auf sogenannten Vertrauensurlaub. Das bedeutet: Die Mitarbeiter*innen müssen keine Urlaubsanträge mehr ausfüllen und ihren Vorgesetzten vorlegen. Ihr Urlaubsanspruch ist unbegrenzt.

Das Konzept kommt vor allem aus den USA. Bei Netflix etwa gehört der Vertrauensurlaub lange zur Arbeitskultur. Jetzt ist der Trend auch in Deutschland angekommen. Nach einer Untersuchung der Jobplattform Joblift hat sich die Zahl der Stellenanzeigen, in denen mit unbegrenztem Urlaub geworben wird, im vergangenen Jahr mehr als verdoppelt.

Das Modell soll das Unternehmen für Mitarbeiter*innen attraktiver machen

Casper-Mitgründer Constantin Eis erklärt, wie das Modell in seinem Unternehmen funktioniert: "Grundsätzlich gibt es keine Restriktionen und wir kontrollieren nicht, wie viel Urlaub unsere Mitarbeiter einreichen." Natürlich geschehe die Urlaubsplanung immer in Absprache mit dem Team, sagt er. Aber in der Regel seien das verlängerte Wochenende und der Jahresurlaub auch spontan kein Problem.

Der Grund, warum Casper dieses Modell eingeführt hat, sei ganz einfach. Das Unternehmen wollte ein attraktiveres Arbeitsumfeld bieten, als man es sonst in Konzernen findet, erklärt Constantin Eis. Eine freie Urlaubsgestaltung gehöre für ihn genauso zu einer modernen Unternehmenskultur wie flache Hierarchien und viel Gestaltungsfreiraum. "Menschen möchten heutzutage vor allem ein selbstbestimmtes Leben führen und dazu gehört auch eine flexible Urlaubsplanung", findet Eis.

Ein unglaubliches Freiheitsgefühl" – Casper-Mitarbeiterin Elisa Naranjo

Der Vertrauensurlaub genieße großen Rückhalt im Unternehmen, sagt er. Die Mitarbeiter*innen schätzen das Vertrauen, das ihnen entgegengebracht wird, aber auch diese Form der Wertschätzung. Doch birgt ein solches Modell nicht auch die Gefahr, dass Mitarbeiter*innen – aus Pflichtbewusstsein oder auch aus sozialen Gründen – eher weniger Urlaub nehmen statt zu viel? "Diese Erfahrung haben wir bisher noch nicht gemacht und wir ermuntern unsere Mitarbeiter dazu, sich ihren wohlverdienten Urlaub auch zu nehmen", sagt Constantin Eis. Dass jemand zu viel Urlaub macht, ist ebenfalls eine große Ausnahme, wie Eis sagt.

Auch das Social-Start-up Einhorn hat das System frühzeitig eingeführt. "Da wir versuchen, eine Unternehmenskultur von Augenhöhe, Vertrauen und Verantwortung aufzubauen, war das auch ohne Probleme möglich", sagt Mitarbeiterin Elisa Naranjo. "Man muss sagen: Es klappt einfach." Und es habe positive Folgen für jede*n Einzelne*n: "Für mich persönlich führt diese Regelung zu einem unglaublichen Freiheitsgefühl. Ich muss nicht mehr rechnen, ob ich am Ende des Jahres noch genug Urlaubstage für Weihnachten übrig habe, wenn ich mir mal einen Freitag frei nehme", sagt sie.

Wenn Teams ineinandergreifen, stößt das Modell an Grenzen

Etwas anders gestaltet sich das bei eShot. Die Agentur hat den Vertrauensurlaub von Anfang an eingeführt. Sechs Jahre habe das auch gut geklappt, erklärt Mitgründer Christian Thum. Er konnte aber auch beobachten, dass einige Mitarbeiter*innen vorsichtiger sind und eher weniger Urlaub nehmen. Andere hingegen machen bis zu 50 Tage Urlaub. Die Teams managen das unter sich. Es so zu gestalten, dass alle zufrieden sind, setzt eine hohe soziale Kompetenz im Team voraus, sagt Thum.

Inzwischen ist die Zahl der Angestellten so groß – rund 100 sind es aktuell –, dass das System nicht mehr reibungslos funktioniert. Weil die einzelnen Teams bei eShot nicht unabhängig agieren, sondern stark ineinander greifen, ist der Aufwand, der mit dem Modell des unbegrenzten Urlaubs verbunden ist, zu groß geworden. Thum nennt es auch einen nicht unwesentlichen wirtschaftlichen Faktor, wenn Mitarbeiter*innen mehr Urlaub nehmen als üblich. Ab Januar kehrt die Agentur daher wahrscheinlich in ein klassisches Modell zurück. Er selbst bedaure das, auch für viele Mitarbeiter*innen sei das ein Rückschritt, sagt Thum. Doch andererseits biete eine feste Zahl an Urlaubstagen auch Sicherheit und Struktur.

Führungskräfte müssen vorleben, wie man mit dem Modell umgeht

Birgit Wintermann ist Projektmanagerin im Programm Unternehmen in der Gesellschaft der Bertelsmann-Stiftung. Das Modell des Vertrauensurlaubs bewertet sie positiv. "Aber unter der Voraussetzung, dass die Unternehmensführung das auch begleitet und die Mitarbeiter dabei nicht nur sich selbst überlässt." Sie beobachte, dass sich die Arbeitsorganisation in Unternehmen gerade grundlegend verändert, sagt sie. Firmen lassen ihren Mitarbeiter*innen mehr Raum und übertragen ihnen eine höhere Selbstverantwortung. Beschäftigte müssen sich stärker selbst organisieren. Man werde nicht mehr dafür bezahlt, acht Stunden am Arbeitsplatz präsent und verfügbar zu sein. "Entscheidend ist, dass die Ergebnisse stimmen."

Wenn Mitarbeiter*innen auch bei der Regelung des Urlaubs keine klaren Grenzen mehr haben, brauche es Führungskräfte, die vorleben, wie man mit diesem Modell umgeht, sagt Wintermann. Man müsse ständig über diese Dinge reden. "Ergebnisse kann man nur bringen, wenn man für sich selbst die Grenzen findet", sagt die Expertin der Bertelsmann-Stiftung.

Das Modell könnte auch in Konzernen funktionieren

Dass die Idee des Vertrauensurlaubs irgendwann auch in großen Unternehmen und Konzernen Normalität wird, hält Birgit Wintermann für durchaus denkbar. Solche Strukturen müssten nämlich nicht immer an oberster Stelle organisiert werden. "Umgesetzt werden muss das in den einzelnen Teams", sagt sie.

Aber auch das kann immer noch schwierig genug sein, wie das Beispiel eShot zeigt, wo die Arbeit der einzelnen Teams stark miteinander verzahnt ist. Daher sind es bisher vor allem kleinere Unternehmen und Start-ups, die den Vertrauensurlaub einführen. Sie nutzen das Modell auch, um als moderne und attraktive Arbeitgeber an gutes Personal zu kommen. "Wir hatten dadurch von Anfang an Zugang zu Leuten, denen diese Freiheiten für ihr persönliches Leben wichtig sind und die dafür möglicherweise andere Dinge in Kauf nehmen – wie das berühmte Start-up-Chaos, das am Anfang nun mal herrscht", sagt Constantin Eis.

Casper ist das Unternehmen, das in Deutschland die meisten Stellen mit unbegrenzten Urlaubstagen anbietet. Und man wird daran auch weiter festhalten. "Wir werden das Modell definitiv beibehalten und können es anderen Unternehmen ohne Einschränkungen empfehlen. In jedem Fall ist es wichtig, dass man dieses Modell so früh wie möglich einführt und das Verantwortungsbewusstsein seiner Mitarbeiter nicht unterschätzt", sagt Firmengründer Constantin Eis.