Rund 3,8 Millionen Menschen sind in Deutschland an Lipödem erkrankt, doch nur wenige wissen etwas darüber. Die Fotografin Melanie Grabowski will das ändern und holt Betroffene vor ihre Kamera. Sieben Frauen stehen mit dem Rücken zur Kamera. Sie tragen alle schwarze Badehosen, die Füße stecken im Matsch. Alle sieben halten Regenschirme, von denen ein ausgestreckter Mittelfinger prangt. Den strecken sie symbolisch nicht unbedingt der Fotografin oder den Betrachter*innen entgegegen, sondern viel mehr dem, das sie über das Schwarz-Weiß-Foto hinaus vereint: der Krankheit Lipödem.

Manche schreiben mir nach den Shootings, dass sie etwa zum ersten Mal den Mut gefasst haben, in kurzer Hose auf die Straße zu gehen.
Fotografin Melanie Grabowski

Bei Lipödem handelt es sich um eine Fettverteilungsstörung. Das Fett setzt sich vermehrt an Beinen, Hüfte, Gesäß und manchmal auch an den Armen ab – anstatt gleichmäßig am ganzen Körper. Rund 3,8 Millionen Menschen in Deutschland sind betroffen. Sie leiden gerade im Sommer an Spannungen und starken Schmerzen. Die Fotografin Melanie Grabowski möchte ihnen ein Gesicht geben und ihre Körper in Szene setzen: "Für die Frauen ist es eine überwältigende Erfahrung", sagt die 28-Jährige aus Westerstede in Niedersachsen zu ze.tt , "denn während sie etwa im Schwimmbad unangenehm angestarrt werden, sind sie beim Shooting unter sich." Das dadurch neu gewonnene Körpergefühl würden sie auch in den folgenden Monaten mit sich tragen. "Manche schreiben mir danach, dass sie etwa zum ersten Mal den Mut gefasst haben, in kurzer Hose auf die Straße zu gehen."

Auf die Idee, Lipödem-Betroffene zu fotografieren, kam Melanie gemeinsam mit ihrer guten Freundin Janina, die selbst betroffen ist. Vor einer Lipödem-Operation habe diese gefragt, ob Melanie ein Vorher-Nachher-Shooting mit ihr machen könne. "Wir sind einfach gemeinsam losgezogen und haben dieses Foto mit dem Regenschirm auf der Schaukel geschossen. Das fanden wir so toll, dass ich Janina darum gebeten habe, das Bild in einer Facebook-Gruppe für Betroffene zu teilen und eine Rückmeldung von anderen Frauen einzuholen." Die Resonanz sei überwältigend gewesen. "Wir wurden überrannt von Anfragen. Die Frauen sagten: Solche Bilder will ich auch."

"Ich möchte vor der Kamera Menschen haben, die sich sonst nicht trauen"

Melanie und Janina hätten daraufhin eine Kampagne ins Leben gerufen, auch um Aufklärungsarbeit zu leisten. Denn Lipödem ist eine Krankheit, die den wenigsten bekannt ist. Auch in der Medizin ist sie erst seit knapp 20 Jahren ins Bewusstsein gerückt. Die beiden Freundinnen gründeten eine Gruppe auf Facebook, wo sich innerhalb von 24 Stunden 300 bis 400 Frauen angemeldet hätten. Dort planen sie gemeinsam Shootings in verschiedenen Städten, in Dangast, Hannover und zuletzt mit rund 50 Frauen in Köln. "Damit wollen wir erreichen, dass es für alle Frauen möglich ist, an den Shootings teilzunehmen – trotz Krankheit oder finanzieller Probleme. Denn viele Frauen sind aufgrund der Krankheit schon sehr in ihrer Mobilität eingeschränkt", erklärt Melanie.

In ihrer Arbeit widme sie sich grundsätzlich gerne den Dingen, die versteckt würden, sagt die Fotografin. "Ich habe mit dem Fotografieren als Hobby angefangen und habe dann gemerkt: Ich möchte vor der Kamera Menschen haben, die sich sonst nicht trauen. Ich sehe diese Menschen anders, als sie sich sehen. Ich habe dicke Frauen vor der Kamera, Frauen, die stark untergewichtig sind oder Narben haben – oder eben Lipödem."

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