Die Fotografin Roxy Herve zeigt in ihrer Fotoserie Lovers, wie Liebende Zärtlichkeiten und Intimität austauschen, und versucht, Liebe in Bildern einzufangen. Ein Interview

Nackte Haut, verschlungene Beine, gebeugte Oberkörper, ineinander verhakte Füße, nacheinander greifende Hände, sich verzehrende Münder, zärtliche Küsse, sanfte Berührungen: Die Fotos von Roxy Herve zeigen Menschen, die Intimität und Zärtlichkeit miteinander austauschen. Menschen, die sich berühren, liebkosen, einander begehren.

In ihrer fortlaufenden Fotoserie Lovers, also Liebende, porträtiert die Londoner Fotografin jeweils zwei oder mehr Menschen in sehr intimen, privaten Situationen, ohne dass die Bilder zu viel verraten oder preisgeben. Roxy möchte mit dem Projekt die Liebe ergründen und zeigen, wie ungreifbar und wunderschön das Gefühl ist. Im Interview erzählt sie, wie sie auf die Idee zu Lovers kam und was sie bei der Arbeit daran gelernt hat.

ze.tt: Roxy, was inspiriert dich?

Roxy Herve: Ehrlich gesagt inspiriert alles meine Arbeit. Jeder Mensch inspiriert mich. Von ihren Körperformen, über ihre Vorlieben, über die Art und Weise, wie sie sprechen, wie sie ihr Leben führen oder auch, wenn sie nur eine Straße entlanglaufen, kann das sehr inspirierend sein. Aber vielleicht kommt der wichtigste Teil meiner Inspiration von ihren Bewegungen und der Art, wie Menschen miteinander oder innerhalb eines Raumes interagieren.

Wie bist du auf die Idee zu deiner Fotoserie Lovers gekommen?

Die Idee kam mir vor etwa zwei Jahren. Ein Typ hat mich kontaktiert, damit ich Fotos von ihm und seinem Partner in ihrem Bett mache. Ich hatte damals gerade erst angefangen, als Fotografin zu arbeiten und so ein Shooting noch nie zuvor gemacht. Ich habe die Gelegenheit sofort genutzt und die beiden auf einen Kaffee getroffen, bevor ich mich in eine Situation begeben würde, in der ich vielleicht nicht unbedingt sein wollte. Letztendlich war das aber eine großartige Erfahrung: Sie fingen sofort an, mir von ihrer Beziehung und ihrem Liebesleben zu erzählen. Ich fühlte mich gleich sehr wohl dabei, mit ihnen über sehr persönliche Themen zu sprechen, obwohl wir uns gerade erst getroffen hatten. Ich entschied mich dann, ihr Angebot anzunehmen und machte das Shooting. Beim Fotografieren wollte ich auf keinen Fall so ein klassisches Schlafzimmer-Fotoshooting machen und habe versucht, diese heimlichen Momente einzufangen, die sich gleichzeitig sehr persönlich anfühlten. Ich habe die Erfahrung geliebt, Fremde kennenzulernen und so schnell miteinander vertraut zu sein. Dann entschied ich mich, dieses Projekt fortzusetzen und so viele Liebende wie möglich auf der ganzen Welt zu fotografieren.

Worum genau geht es dir bei Lovers?

Es geht darum, einen Teil der Definition von Liebe zu finden. Aber gleichzeitig wissen wir alle, dass es genauso schwierig ist, Liebe auf einem Foto festzuhalten, wie sie zu definieren. Was können wir über dieses zeitlose Gefühl, das schon zur Genüge untersucht und ergründet wurde, Neues sagen, zeigen oder erschaffen? Es gibt keine Definition von Liebe. Liebe ist vergänglich, fließend und schwer fassbar. Die Schönheit der Liebe ist das Geheimnis, dass sie gleichzeitig einzigartig und doch allgemeingültig für alle ist, die das Glück haben, sie berührt, gefühlt oder durchlebt zu haben. Liebe ist ein Moment. Ein Blick, eine Geste, eine Haltung, eine Stille oder ein Staunen, die Körper und Geist wie ein kurzes Versprechen von Erhabenheit und Ewigkeit verwirren können. Wörter können oft nicht beschreiben, was Liebe ist. In Bezug auf die Liebe erzählen uns Bewegungen unendlich viel mehr als nur Gesichter. Deshalb konzentriere ich mich auf diese eine Form des Gefühlsausdrucks, die immer noch mit Tabus und negativen Assoziationen behaftet ist: Intimität.

Welche Botschaft möchtest du den Menschen mit Lovers vermitteln?

In meinen Augen ist Intimität das schönste Spielfeld, eine geschützte Blase, in der die Masken fallen, Codes gebrochen und Grenzen geöffnet werden. Der ultimative Raum, in dem Körper sich frei ausdrücken können. Im gedämpften Licht eines zerknitterten Bettlakens offenbart sich Intimität in einer unschuldigen Form der Freude, die ich in meiner fotografischen Herangehensweise erreichen möchte. In diesen Momenten, in denen niemand und nichts stört, sind Gefühle der einzige Antrieb. Diese Verbundenheit und Einzigartigkeit entsteht durch sich beeinflussende, aufeinander einwirkende Sinne und Körper. Dieses Gefühl der Verbundenheit, so unwiederbringlich und schwer fassbar, ist einer der Momente in unserem Leben, in denen wir uns besonders menschlich fühlen. Was ich zu sagen versuche: Wir sind alle in dieser Ekstase gleich. Wir sind alle stark, unschuldig, schwach, ehrlich, verrückt und verwundbar, wenn wir uns der Intimität, der gemeinsamen Liebe hingeben.

Was möchtest du noch über die Arbeit an der Lovers-Reihe loswerden?

Die Anonymität meiner Fotos soll Gleichheit zeigen. Trotz der unendlichen Vielfalt an Formen, Alter, Erfahrungen, Attraktivität, Ursprung und Horizonten machen wir die gleichen eindeutigen Bewegungen, die uns nun mal ausmachen. Aus dieser unorganisierten Sammlung von Einstellungen, Schwellen und Lichtern entsteht eine sehr natürliche und ästhetische Einheit, die sowohl faszinieren als auch tiefe Emotionen erzeugen kann. Es lädt uns ein, uns darauf zu konzentrieren, wer wir eigentlich sind. Menschen mit Poesie, Dialog und Gemeinschaft. Manchmal ist Liebe so einfach wie die Reinheit einer bloßen Bewegung.

Weitere Arbeiten von Roxy Herve findet ihr auf Instagram. Da es sich bei ihrer Fotoserie Lovers um ein fortlaufendes Projekt handelt, ist sie immer offen für Partner*innen, die sich dafür von ihr fotografieren lassen wollen.