In Berlin ticken die Uhren bekanntlich etwas anders als in den restlichen Teilen Deutschlands. Die Hauptstadt scheint oft gar nicht so typisch deutsch zu sein, wie man das von außerhalb denken könnte. Unterschiede gibt es in vielen Bereichen: Deutsche haben den Ruf, ordentlich, pünktlich und übergenau zu sein – in Berlin hingegen geht es eher chaotisch, hektisch und dreckig zu.

Deutschland gilt als einer der wirtschaftlichen Motoren Europas. Der Anteil, den Berlin daran hat, dürfte allerdings überschaubar sein: Das Lohnniveau liegt hier unter dem Bundesdurchschnitt, die Arbeitslosenquote darüber. "Arm, aber sexy" sei Berlin, befand schon vor über 15 Jahren der damalige Bürgermeister Klaus Wowereit und prägte damit das Image der Stadt nachhaltig.

Dafür gibt es nirgends sonst im Land so offen gelebte Zwanglosigkeit, inklusive Darkrooms, Techno-Tempeln und Fetischpartys. Auch mit Regeln und Verboten hält man es hier nicht so streng; sei es bezüglich Drogen, Müll oder Freundlichkeit. Wenn ein Mann in Taucheranzug, Schnorchel und Flossen in die U-Bahn steigt und die anderen Fahrgäste nicht mal mit der Wimper zucken, ist man höchstwahrscheinlich in Berlin.

Ein weiterer Unterschied liegt in der Kleidung. Berliner*innen tragen gerne wirre Garderobe. Alles ist erlaubt, nichts verpönt. Sei es Schwarz in Schwarz in Schwarz oder so knallig bunt, dass die Augen tränen. Transparente werden mit rauen Stoffen gemischt, Seide mit Leder kombiniert, Cocktailkleid zu Militärboots getragen. Die Berliner*innen trauen sich an Kombination, die andernorts vielleicht nicht für möglich gehalten würden. Dass Berlin in Sachen Style etwas Besonderes ist, dokumentiert Björn Akstinat mit seinem Projekt Berlin Street Style. Der Fotograf und Medienberater zieht mit seiner Kamera durch Berlin und lichtet Menschen ab, die mit schlichter Alltagsmode auffallen. "Schlicht" ist in Berlin natürlich Ansichtssache.

Jeder Bezirk hat seinen eigenen Style

Die Menschen auf Akstinats Fotos sind Passant*innen, die er zufällig in der Stadt trifft und die bereit für ein spontanes Fotoshooting sind. Niemand ist gecastet, keine Modefirmen sind involviert. "Überflüssigen Firlefanz versuchen wir zu vermeiden. Hier sollen Menschen statt Marken im Vordergrund stehen", schreibt der Fotograf auf der Website zum Projekt. Es gehe um Straßenmode – Kleidung des alltäglichen Lebens – die sich in Berlin eben ein bisschen anders zeigt.

Berlin erlaubt es mir, wirklich frei darin zu sein, was ich trage, und trotzdem sicher auf den Straßen zu sein.
Macha aus Belgien

Nach Jahren der Street Photography in Berlin kennt Akstinat mittlerweile den spezifischen Style der Bezirke. "Wer Damen in teuer eleganter Markenkleidung international bekannter Designer sehen möchte, sucht am besten in Charlottenburg auf dem Ku'damm und rund um den Savignyplatz oder in Berlin-Mitte auf der Friedrichstraße sowie dem angrenzenden Gendarmenmarkt", sagt er. Die Mode des Prenzlauer Bergs beschreibt der Fotograf als "gehobener individueller Schick junger aufstrebender Modeschöpfer mit außergewöhnlichen Kombinationen und Schnitten, der ohne Bling-Bling auskommt." Friedrichshain, Kreuzberg und Nord-Neukölln seien hingegen die Heimat vieler Student*innen und das Zentrum der Berliner Alternativkultur: "junge Leute in günstigen, aber spannenden und skurrilen Kreationen". Dort würden viele ihre Kleidung selbst schneidern oder aus gebrauchten Stücken Kreatives und elegantes Neues schaffen.

Mit Berlin Street Style hofft Akstinat, ein zeitgeschichtliches Dokument des Berliner Stils der Anfangsjahre des 21. Jahrhunderts geschaffen zu haben. Die Porträtierten selbst hatten zudem die Möglichkeit, einen Kommentar zu ihrem modischen Stil abzugeben. So unterschiedlich sie sich kleiden, eine Sache scheint die meisten zu einen: anziehen zu können, was ihnen gefällt, ohne auf Modetrends Rücksicht nehmen zu müssen. Das ist das Besondere an Berlins Mode. Am besten beschreibt man sie wohl, indem man sie gar nicht beschreibt – denn sie folgt einer Eigenlogik, die nicht zu fassen ist.

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