Zur Erinnerung an eine geliebte Person, als Zeichen für ein bestimmtes Lebensereignis, zum Beweis einer Freundschaft oder einfach, weil die Zeichnung ansprechend, schön, interessant aussieht: Die Motive, sich ein Tattoo stechen zu lassen, sind so vielfältig und individuell wie die Kunstwerke selbst. Allein in Deutschland trägt jede zehnte Person ein Tattoo am Körper, bei den 18- bis 29-Jährigen ist es sogar jede vierte. Dass Tattoos jedoch keine Frage des Alters sind, wollen die beiden Niederländerinnen Ingrid Meijering und Marion Duimel mit Hilfes ihres Projekt TattooAge zeigen. Die zwei Frauen haben gemeinsam die Stiftung GetOud gegründet, was niederländisch für 'Werde alt' steht. Mit dieser Stiftung, die ihren Hauptsitz in Den Haag hat, wollen die beiden eine positivere Einstellung gegenüber dem Alter und älteren Menschen schaffen.

Außerdem auf ze.tt: 100 Gesichter, 100 Lebensjahre – Ein Fotograf hält fest, wie Menschen altern

Das Projekt TattooAge haben Ingrid und Marion in den letzten drei Jahren gemeinsam umgesetzt: Sie besuchten insgesamt 25 Personen, die alle über 65 Jahre alt waren, fotografierten sie in ihren Wohnzimmern und hörten sich die Geschichten zu den Tattoos an. "Wir werden oft gefragt: Was passiert, wenn tätowierte Menschen alt werden?", erklärt Marion. Die meisten Menschen gingen sofort davon aus, dass die Personen auf den Fotos ihre Tattoos schon lange haben. "Aber die meisten Menschen in unserem Buch haben sich erst innerhalb der letzten zehn Jahre ihre Tattoos stechen lassen", stellt sie richtig. Einige hätten sie sich sogar erst mit 80 Jahren stechen lassen.

Ein Tattoo zum 80. Geburtstag: Versprochen ist versprochen

Marion erinnert sich an Toos, die das Gefühl hatte, mit 70 Jahren langsam zu einer alten Dame zu werden. Deshalb beschloss Toos, sich ihre Haare teilweise abzurasieren und die Arme komplett tätowieren zu lassen. "Dann hatte sie das Gefühl, wieder dazuzugehören. Sie mochte es auch, ein bisschen zu provozieren und saß deshalb oft in einem ärmellosen Shirt draußen. Außerdem wollen die Menschen, die am Projekt teilgenommen haben, zeigen, dass sie nicht angsteinflößend oder aggressiv sind", erklärt Marion und betont: "Wir hoffen, dass Menschen verstehen, dass man nie zu alt für ein Tattoo ist."

Eine weitere Geschichte, an die Marion gern zurückdenkt, ist die von Jeanne: "Ihre Enkelin wollte mit 16 Jahren schon ein Tattoo haben. Jeanne wollte das verhindern und sagte: Wenn ich, deine Großmutter, 80 werde und du noch immer ein Tattoo willst, dann lassen wir uns gemeinsam was stechen", erzählt Marion. Vier Jahre später, einen Tag vor Jeannes Geburtstag, stand dann ihre Enkelin plötzlich vor der Tür und Jeanne musste ihr Versprechen einlösen.

Die Idee zu dem Projekt entstand, als Ingrid Menschen mit Tattoos am Strand beobachtete. Daraufhin fragten sie herum, suchten auf Facebook und riefen in verschiedenen Tattoostudios an. So entstand dann eine Ausstellung, ein Fotobuch und sogar Lehrmaterial für Schüler*innen. "All die Tattoos stehen für eine Lebenserfahrung", erklärt Marion. Das könne man dann im Unterricht besprechen und sich dazu Fragen stellen: "Was würdest du tun? Wie weit würdest du gehen, um ein Versprechen zu halten? Kannst du Toos Handeln nachvollziehen, die sich mit 80 Jahren tätowieren ließ, um cool zu bleiben? Und was würdest du tun, um so zu bleiben, wie du dich gerne siehst?"

Rieks Rose

Das ist Riek. Sie wurde 1942 geboren und ließ sich ihr erstes und letztes Tattoo 2006 stechen.

"Mein Sohn tätowiert. Er hat schon eine Weile in dem Beruf gearbeitet, als ich mir dachte: Ich möchte auch eins. Aber ich lasse es mir nur von ihm stechen. Und das Design soll er auch machen. Weil er weiß, dass ich Rosen liebe, entwarf er eine mit drei Blättern, die für meine drei Kinder stehen, und mit zwei Dornen, die für meine gescheiterten Ehen stehen. Die Rose selbst stellt meine Ehe mit meinem Mann Frans dar. […] Das Stechen hat zwei Stunden gedauert. Mein Sohn hat das am Stück durchgezogen mit kurzen Pausen. Er meinte, dass es besonders schmerzhaft sei, weil ich so dünne Haut habe..."

Jan kam mit 17 auf den Geschmack

Das ist Jan. Er wurde 1954 geboren und ließ sich 1972 sein erstes Tattoo stechen. Es folgten viele weitere.

"Ich begann mit einem kleinen Anker, als ich 17 Jahre alt war. Da kam ich auf den Geschmack. Ich ging nach Amsterdam, zu Tattoo Peter. Dort ließ ich mir ein Herz stechen. Es steht für Glaube, Liebe, Hoffnung und ich bin echt stolz drauf. Dieses Herz und viele weitere meiner alten Tattoos habe ich bezahlt, indem ich Zeug, das ich auf der Straße fand, verkaufte. Ich fand ein altes Schild, Fliesen, Münzen, verkaufte sie und bezahlte mit dem Geld meine Tattoos. Ich habe nicht aufgehört. Es folgte das Cover-up von einem missglückten Tattoo, das ich mir betrunken stechen ließ. Einen Monat später folgte ein Papagei und im selben Jahr auch eine Kuh ..."

Albertina musste kurz nachdenken

Das ist Albertina. Sie wurde 1937 geboren und ließ sich 2007 ihr erstes und einziges Tattoo stechen.

"Ich habe meinen Mann verloren. Als meine Enkel mich fragten: 'Oma, willst du ein Tattoo von uns?', musste ich erst kurz darüber nachdenken, wusste es dann aber schnell. Ich wollte einen Schwan. Denn wenn bei einem Schwanenpaar einer stirbt, dann bleibt der andere Schwan für immer allein. Na klar: Man weiß nie, wem man begegnet, wenn man um die Ecke biegt. Kann sein, dass ich nicht zu Hause bin, wenn ihr nächste Woche kommt. Meine Nachbarin verrät euch dann: 'Die ist auf einem Date!', aber darum geht es jetzt nicht. Im Augenblick bin ich allein."

Weitere Information über "GetOud" findet ihr auf der Website, auf Twitter, auf Facebook und auf Instagram.