Wann Marcella Hansch das erste Mal am Meer war, daran kann sie sich nicht erinnern. So selbstverständlich sind und waren für sie die alljährlichen Sommerurlaube an der holländischen Küste. Die Füße im kristallklaren Wasser inmitten von Fischschwärmen – in vielen Teilen der Erde gibt es dieses Idyll nicht mehr. Wissenschaftler*innen fanden heraus, dass jedes Jahr zwischen 4,8 und 12,7 Millionen Tonnen Plastikmüll ins Meer gelangen. Das macht Marcellas Plan so ambitioniert: Sie will das Meer vom Plastik befreien.

Den Anstoß dafür gab ihr letzter Urlaub vor ihrem Masterabschluss in Architektur: Tauchen in Kapverden. Doch was so malerisch klingt, war für die 32-Jährige eine Schockerfahrung. "Ich bin dort durch Wälder schwebender Plastikteile geschwommen." Das Ausmaß der Verschmutzung ließ sie entsetzt nach Deutschland zurückkehren. "Da muss man doch was tun können, habe ich mir gedacht", erzählt Marcella heute, nach fünf Jahren. Und das hat sie dann auch: in ihrer Masterarbeit. Aus dieser entstand die Idee für ein Projekt, das den Namen Pacific Garbage Screening trägt.

Gewöhnlich entwerfen Architekt*innen in ihrer Abschlussarbeit einen Gebäudekomplex, grübeln über Material- und Bausubstanzen. Marcella wollte stattdessen innerhalb von sechs Monaten eine Lösung für ein globales Problem finden, das bisher nur wenige überhaupt in Angriff genommen haben. Einen Versuch startete der Niederländer Boyan Slat mit dem Ocean Cleanup Project. Sein Modell ist zwar in der Lage, große Plastikteile aufzufangen – nicht aber die kleinen Partikel, die unterhalb der Wasseroberfläche schwimmen. Das soll bei Marcellas Modell gelingen. Sie wälzte Bücher über die Entstehung der Meere, arbeitete sich in Maschinenbau, Kläranlagensysteme und Recycling ein, beschäftigte sich mit Kunststofflegierungen und chemischen Reaktionen im Salzwasser – allesamt Disziplinen, mit denen die Architektin vorab kaum etwas zu tun hatte. "Ich wollte es komplett verstehen!", sagt Marcella.

So funktioniert die Plattform

Meereslebewesen werden durch die Plattform nicht beeinflusst, das war Marcella wichtig. Die 400 Meter lange Plattform hat eine bauchige, fischgrätenartige Form. Sie ragt 15 Meter aus dem Wasser. Unter der Wasseroberfläche geht sie 35 Meter in die Tiefe. Das ist nötig, weil Strömungen Plastikteile bis zu 30 Meter unter die Wasseroberfläche spülen. Durch diese Bauart kann die Meeresströmung punktuell beruhigt werden. So kann das Plastik durch seinen eigenen Auftrieb an die Wasseroberfläche steigen, dort gesammelt und abgeschöpft werden. Der Plastikmüll lässt sich wegen einer chemischen Reaktion mit dem Meereswasser nicht mehr recyceln. Deshalb wird er durch einen Gasprozess zu Kohlendioxid und Wasserstoff umgewandelt. Der Wasserstoff soll die Brennstoffzellen der Anlage versorgen. Mit dem entstandenen Kohlendioxid werden wiederum Algen gezüchtet, aus denen anschließend biologisch abbaubarer Kunststoff hergestellt werden soll.

Kunststoffflasche: 450 Jahre bis zur Zersetzung

Die*der durchschnittliche Deutsche produziert 216 Kilogramm Verpackungsmüll pro Jahr, 37 Kilogramm davon sind Plastikverpackungen. Ein Teil lässt sich wiederverwerten, wie zum Beispiel PET-Flaschen. Anders sieht es bei Folien aus oder wenn bei Verpackungen verschiedene Sorten Plastik miteinander verschweißt sind. Nach Angaben des Entsorgungsverbands BDE exportiert Deutschland rund ein Viertel des Plastikabfalls in Ausland.

Dort werden die Abfälle oft nicht fachgerecht entsorgt, verbrannt oder sie landen im Meer. Darin werden sie zwar kontinuierlich kleiner – vollständig abgebaut allerdings erst nach sehr langer Zeit. Nach Angaben des Bundesumweltamts benötigt beispielsweise eine Kunststoffflasche bis zu 450 Jahre, um sich vollständig zu zersetzen. "Wenn das so weitergeht, gibt es bis 2050 mehr Plastik als Fische in den Ozeanen", sagt Marcella, die Stimme erhoben vor Anspannung. Das Projekt ist für sie längst zur Lebensaufgabe geworden: Sie hielt TED-Talks – innovative, unterhaltsame Kurzvorträge – in Dresden und Aachen. Und obwohl sie das Feedback als überwältigend beschreibt, ist die Finanzierung immer noch das größte Problem.

Marcella braucht Kooperationspartner und Geld

Seit fünf Jahren treibt Marcella das Projekt neben ihrem Vollzeitberuf als Architektin voran. Zwar stehen ihr inzwischen rund 35 Ehrenamtliche zur Seite. "Wir brauchen aber dringend jemanden, der die Koordination übernimmt und Förderungsanträge schreibt", sagt Marcella. 200.000 Euro haben sie jüngst durch ein Crowdfunding zusammenbekommen. Und auch wenn das zunächst nach viel Geld klingt, so ist es nur eine Anschubfinanzierung für das erste halbe Jahr. "Bevor wir das Modell realisieren können, müssen wir erst einmal wissenschaftlich belegen, dass die Plattform auch funktioniert."

Dafür braucht es Machbarkeitsstudien und technische Simulationen, deren Umsetzung kostenintensiv ist. Wie viel eine Plattform letztlich kosten wird, weiß Marcella noch nicht. "Ich hoffe, dass wir in fünf Jahren so weit sind und einen ersten Prototyp bauen können", sagt sie. Dieser soll zunächst an einer Flussmündung eingesetzt werden. Wie viele Plattformen es brauchen würde, um das gesamte Meer zu reinigen, lässt sich noch nicht abschätzen. Aber so könne man dafür sorgen, dass das Plastik gar nicht erst ins Meer gelangt.

Als nächsten Schritt will Marcella Kooperationspartner*innen finden, die den Weg mit ihr weiter gehen. Die Ideen sind da. Menschen, die sich für das Projekt begeistern, auch. Fehlt nur noch eines: finanzielle Unterstützung. Dann kann Marcella das Meer retten.