"Sie mag Musik nur, wenn sie laut ist,
das ist alles, was sie hört,
sie mag Musik nur, wenn sie laut ist,
wenn sie ihr in den Magen fährt.
Sie mag Musik nur, wenn sie laut ist,
wenn der Boden unter den Füßen bebt, ..."

Wenn es nach diesem Lied von Herbert Grönemeyer ginge, müssten taube Menschen Fans von Dubstep und Drum'n'Bass sein. Laura Schwengber sorgt dafür, dass auch andere Musikrichtungen offen für Gehörlose sind. Sie übersetzt Musik in Gebärdensprache.

Dafür passt sie die Gebärden den Songs an: Sie bewegt sich im Rhythmus der Musik, hebt die Hände nach oben, wenn die Töne hoch klingen, gebärdet mal schnell und abgehackt oder langsam und fließend. Das geht aber nicht immer: "Es gibt Zeichen wie Mama", Schwengber hält den Zeigefinger an ihren Mundwinkel, "das muss hier neben der Lippe sein. Da kann ich nicht plötzlich, wenn der Ton hoch ist, Mama machen", sie hebt den Zeigefinger zur Stirn, "dann versteht das keiner mehr."

Nackt auf der Bühne

Doch Schwengber ist kreativ. Selbst wenn ein Lied keinen Text hat, dolmetscht sie. Wenn sie vom Komponisten etwas über die Entstehungsgeschichte des Songs erfahren hat, dann erzählt sie eben die. Wenn sie auch darüber nichts weiß, dann zeigt sie einzelne Instrumente an, spielt mit den Fingern in der Luft wie auf einer Flöte oder lässt sie über die Saiten einer Luftgitarre gleiten. Und an ihrer Mimik können auch Menschen, die von Gebärdensprache keine Ahnung haben, die Stimmung des Songs ablesen.

Dabei braucht die Dolmetscherin auch ein gutes Selbstbewusstsein: "Ich habe manchmal das Gefühl, ich muss mich ganz schön nackig machen auf der Bühne. Aber ich glaube, nur dadurch kann es gut werden. Ich muss zeigen, was Musik mit mir selber macht. Sonst ist das gestelzt."

Jedes Konzert ist für sie eine kleine Premiere, denn sie versucht, in den Proben so wenig zu gebärden wie möglich: "Ich bewahre mir die erste Übersetzung für die Bühne, weil die oft am schönsten ist. Wenn sie einmal gemacht ist, habe ich das Gefühl, sie ist wie verbraucht, weg."

Von Revolverheld bis zum ESC macht Schwengber alles

Sie habe schon immer ein Faible für Musik gehabt, erzählt sie. 2011 suchte der NDR nach einem*r Gebärdensprachdolmetscher*in für ein Musikprojekt im Netz. "Ich war die erste, die gesagt hat: 'Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, dass das funktioniert, aber lass uns das probieren!'" Und es klappte wirklich: Innerhalb von kürzester Zeit hatten die Videos zehntausende Klicks.

Auf die ersten Konzerte bereitete Schwengber sich minutiös vor. Und war dann ganz perplex, wenn ein*e Sänger*in plötzlich die erste Strophe einfach wiederholte. "Darauf zu reagieren, fiel mir am Anfang brutal schwer." Inzwischen ist sie routiniert: Schwengber stand mit Revolverheld und AnnenMayKantereit auf der Bühne, war auf Tour mit Keimzeit und hat beim Eurovision Song Contest 2016 alle Songs übersetzt. Auch dieses Jahr ist sie wieder dabei.

Frühstückt nicht mit mir, wenn ich davor ein Konzert gedolmetscht habe."

Stundenlang übersetzen ist anstrengend, normalerweise machen Dolmetscher*innen so etwas nicht. Bei allem, was länger als eine Stunde dauert, teilen sie sich die Arbeit. Doch bei Konzerten ist es für Schwengber anders. "Bei Musik bin ich so im Flow, dass selbst ein Drei-Stunden-Konzert gut funktioniert. Und ich störe mich auch an dem Bruch, wenn der Dolmetscher wechselt." Denn jede*r übersetzt ein wenig anders, bringt sich selbst mehr oder weniger ein. Übersetzungen sind immer auch Interpretationen – bei Musik erst recht.

Nach einem langen Konzert sollte man sie aber besser in Ruhe lassen: "Der nächste Morgen ist nicht schön. Frühstückt nicht mit mir, wenn ich davor ein Konzert gedolmetscht habe", sagt sie und lacht.

Es gibt viele Dolmetscher*innen, die ab und zu mal Lieder dolmetschen, zum Beispiel bei Aufführungen von Kindern in der Schule. Doch so viel Erfahrung wie Schwengber haben nur wenige. Anfragen lehnt sie fast nie ab, selbst wenn es um ein Genre geht, mit dem sie wenig anfangen kann: "Ich will mich nicht auf einen Thron setzen und entscheiden, was barrierefrei ist und was nicht." Sie will vielmehr eins: beweisen, dass Musik für alle Menschen offen ist.