Kosaken, Soldaten, Oligarchen: Wer an die Ukraine denkt, denkt oft an Männer. Dabei sind Frauen dort mindestens genauso einflussreich – und mit Julia Timoschenko hat eine von ihnen die Chance, bei den Wahlen am kommenden Sonntag die erste Präsidentin des Landes zu werden. Wir stellen fünf Ukrainerinnen in Schlüsselpositionen in Politik, Medien und Kultur vor:

Maruv, verhinderte Teilnehmerin beim ESC

Die Sängerin, mit bürgerlichem Namen Ganna Korsun, hätte eigentlich die Ukraine beim Eurovision Song Contest 2019 in Israel vertreten sollen – stattdessen wurde ihre Nominierung zum Politikum: Maruv hatte sich geweigert, einen Vertrag zu unterschreiben, der ihr Auftritte in Russland vor und kurz nach dem Musikwettbewerb untersagt und eine Rolle als "kulturelle Botschafterin" der Ukraine zugedacht hätte. Doch Maruv sagte, sie sei "Musikerin, kein Werkzeug für die politische Arena."Schon während des nationalen Vorentscheids war die Haltung der 27-Jährigen vielen zu kompromissbereit gewesen: Russland habe "einen schlimmen Präsidenten, aber das heißt nicht, dass alle Menschen, die dort leben, böse sind". Über den Krieg im Donbass zu reden, falle ihr schwer, da Verwandte von dort ihr Zuhause verloren hätten.

Ihr Zusatz "Konzerte sind meine Art, Frieden zu bringen" rettete nichts mehr: Wer die territoriale Integrität der Ukraine in Frage stelle, dürfe nicht zum ESC, erklärte das ukrainische Kulturministerium. Nun tritt die Ukraine dieses Jahr gar nicht an. 

Iwanna Klympusch-Zynzadse, Ministerin für euroatlantische Integration

Die Vizepremierministerin mit dem kosakisch-georgischen Doppelnamen hat zwei wichtige außenpolitische Ziele: Als Ministerin für europäische und euroatlantische Integration soll sie den Anschluss des Landes an die EU und den Nordatlantikpakt voranbringen. In ihrer knapp zweijährigen Amtszeit wurde die Ukraine als NATO-Beitrittskandidatin nominiert und ukrainische Staatsbürger*innen erhielten Visafreiheit im Schengen-Raum. Grund zum Feiern sieht Klympusch-Zynzadse darin nicht: "Wir Ukrainer sind wie Gäste, die zu spät zu einer Hochzeit kommen", sagte sie der Wiener Zeitung einmal. "All die zentraleuropäischen Länder sind in die EU gekommen, als die Party gerade voll im Gange war. (...) Jetzt sind die Zeiten viel schwieriger."

Klympusch-Zynzadse, die ein Grundstudium als Logopädin abschloss und ihre Berufslaufbahn als Projektmanagerin verschiedener Nichtregierungsorganisationen begann, stieg nach der Maidan-Revolution 2014 in die Politik ein und ist eine Befürworterin der Frauenquote in der Politik. Wenn es um ihre Sache geht, hat sie jedoch keine Scheu, sich mit anderen Politikerinnen anzulegen: 2018 ging sie Österreichs Außenministerin Karin Kneissl via Twitter an, nachdem die sich darüber beschwert hatte, dass ein ORF-Korrespondent in der Ukraine keine Akkreditierung für den Donbass erhielt. In Österreich wurde das als Affront gewertet.

Natalia Gumenjuk, Chefin des Senders "Hromadske"

"The revolution is not being televised?" Und ob: Als im November 2013 die Maidan-Demonstrationen in Kiew begannen und regierungsnahe Sender sie wochenlang ignorierten, gründete Gumenjuk mit 14 anderen ukrainischen Journalist*innen kurzerhand ihren eigenen. Hromadske.tv sendet heute im Internet rund um die Uhr Reportagen, Interviews und Nachrichten, auf Ukrainisch und Englisch. Gumenjuk ist seit 2015 Chefin des Senders und leitet auch das Auslandsressort. Zuvor hatte sie sich als freie Journalistin mit Berichten über den Arabischen Frühling einen Namen gemacht.

Über ihre Erfahrungen hat sie das Buch Maidan Tahrir. In Search Of A Lost Revolution geschrieben, das beide Protestbewegungen miteinander vergleicht. Sich selbst beschreibt die 35-Jährige als "ein bisschen Fotografin, ein bisschen Autorin, ein bisschen Aktivistin" – genau diese Vermischung werfen Kritiker*innen dem Sender Hromadske vor: Etwa, als 2014 ein Moderator das Interview mit einer russischen Menschenrechtlerin abbrach, weil diese Russland nicht als alleinigen Verursacher der Kämpfe in der Ostukraine bezeichnen wollte. Gumenjuk hat nach eigener Aussage "das Glück, nicht zwischen Job und Lifestyle zu unterscheiden" – da passt es, dass sie privat mit einem Journalisten des russischen regierungskritischen Internetsenders Doschd verheiratet ist.

Ruslana Panukhnyk, Direktorin des Kyiv Pride

Unter Panukhnyks Leitung findet im Juni wieder eine der kontroversesten Veranstaltungen der Ukraine statt: Der Kyiv Pride, ein Demonstrationsmarsch für Schwule, Lesben, bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Menschen. Sexuelle Minderheiten sind in der ukrainischen Gesellschaft den meisten nicht willkommen: Christlichen Fundamentalisten gelten sie als Bedrohung traditioneller Familienwerte, für rechtsextreme Gruppen sind sie Zielscheibe gewaltsamer Übergriffe.

Panukhnyk muss sich als leitende Organisatorin des Kyiv Pride insbesondere um die Sicherheit der Teilnehmer*innen kümmern – denn bis heute ist die Veranstaltung in der ukrainischen Hauptstadt nur unter dem Schutz von Polizei-Hundertschaften und auf Druck zahlreicher Botschafter*innen und Unterstützer*innen aus dem Ausland möglich. "Freiheit hat immer ihren Preis" ist das Motto der Menschenrechtsaktivistin, die nach ihrem Politikstudium an der Taras-Schewtschenko-Universität unter anderem bei Amnesty International und der Heinrich-Böll-Stiftung gearbeitet hat und Russisch, Ukrainisch, Englisch und Deutsch spricht. An Drohungen wegen ihrer Identität und ihrer Arbeit habe sie sich längst gewöhnt, sagt sie. Für die Teilnehmer*innen am Kyiv Pride sei es schon ein Fest, einmal im Jahr für 20 Minuten sie selbst sein zu können.

Julia Timoschenko, Präsidentschaftskandidatin

Wer wie Timoschenko zwei Revolutionen erlebt hat und zweimal in Haft saß, hat gelernt, wie schnell sich das Blatt in der Ukraine wenden kann und auch, wie sich das nutzen lässt. Die 58-Jährige ist bekannt für ihre flammenden Reden, in denen sie unter anderem höhere Sozialleistungen und einen Kampf gegen die Oligarchen verspricht – dabei ist sie selbst Teil davon.

Im Energiesektor machte sie Anfang der 1990er Jahre ein Milliardenvermögen, wurde Vize-Ministerpräsidentin, fiel in Ungnade, kehrte nach der Orangenen Revolution 2004 als Regierungschefin zurück, fiel erneut in Ungnade, wurde nach einem Intermezzo als Oppositionsführerin im Parlament erneut Ministerpräsidentin, kam nach einem Schauprozess um ihre Gasgeschäfte mit Russland ins Gefängnis und erst mit der Maidan-Revolution 2014 wieder frei. Nur zur Präsidentin hat sie es in zwei Jahrzehnten und zwei Kandidaturen noch nicht gebracht. Mit ihr als Staatschefin werde "eine Epoche des Glücks" anbrechen, kündigte sie an – doch das scheinen nur wenige Ukrainer*innen zu glauben: Zuletzt führte der Komiker Wolodymyr Selenskij die Umfragen an. 

Von Eva Steinlein auf Deine Korrespondentin.

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