Lasst uns doch gemeinsam allein sein.

Dieser Satz klang in Heike Paulus noch lange nach. Ein Freund hatte ihr das so gesagt. Es war das Angebot, gemeinsam Weihnachten zu feiern. Heike hatte gerade einen Trauerfall hinter sich. Sie fühlte sich allein in diesem November 2017, das Gefühl niemanden zu haben, sie wusste nichts mit sich anzufangen. Der Vorschlag kam also zur richtigen Zeit – und brachte Heike auf eine Idee.

Die gebürtige Kölnerin wusste, mit diesen Gefühlen ist sie nicht allein. Sie überlegte sich ein Konzept, mit dem sie diese Menschen an Weihnachten zusammenbringen könnte und startete eine Facebookgruppe mit dem Namen Weihnachten (nicht) allein. Daraufhin meldete sich Sarah Blaschke aus Welzheim, eine der Gastgeberinnen, bei ihr, sie wollte Heike bei ihrem Vorhaben unterstützen. Gesagt getan: Die beiden verbreiteten die Idee weiter und organisierten acht Veranstaltungen. Sie brachten an Heiligabend etwa 30 Menschen im Raum Stuttgart zusammen, die sonst alleine gewesen wären.

2018 organisieren sie deutschlandweit Zusammentreffen

In diesem Jahr dachten die 31-jährige Heike und 28-jährige Sarah größer, deutschlandweit. Denn was in Stuttgart funktioniert, funktioniert überall: Sie öffneten die Gruppe und suchten sich mit dem Projekt #Keine(r)bleibtallein, das Einsamkeit bekämpfen will und ganzjährig Menschen im deutschsprachigen Raum zusammenbringt, einen Kooperationspartner und ein Netzwerk.

Anfang November warben sie intensiv für ihre Gruppe. So wurden auch regionale Medien auf sie aufmerksam: Seit Kurzem führen die beiden regelmäßig Interviews, der SWR besuchte sie etwa und drehte einen Beitrag mit Sarah.

Die öffentliche Aufmerksamkeit führte dazu, dass die Gruppe innerhalb der vergangenen Monate von wenigen Hundert auf über 2.100 Menschen angewachsen ist. Täglich kommen neue dazu. Mittlerweile haben Heike und Sarah so in ganz Deutschland an die 70 Veranstaltungen mit Gastgeber*innen organisieren können. Hunderte Menschen werden an ihnen teilnehmen.

Für die beiden und das Projekt ist das ein großer Erfolg – der aber auch mit so einigen Tücken und Anstrengungen verbunden ist.

Heike und Sarah arbeiten mit System – und sprechen mit jeder*m einzelnen

Damit alles reibungslos abläuft, haben sich die 31-jährige Heike und Sarah ein System ausgearbeitet – sie sind die Vermittlerinnen zwischen den Gastgeber*innen und Gästen und behalten mit Listen und Kalendern einen Überblick, nicht nur über die Größe der Veranstaltungen, sondern auch, was dabei geplant ist und ob sie etwa barrierefrei sind. Denn die Menschen, die teilnehmen wollen, sind sehr divers und haben die unterschiedlichsten Vorgeschichten.

Es gelte außerdem, sehr sensibel auf ihre Bedürfnisse zu reagieren, sagt Heike. Sie hätten da eine gewisse moralische Verantwortung, weshalb es Regeln für den Gruppeneintritt und die Vorstellungsrunden gibt. Viele haben Trauerfälle hinter sich, sind Witwer*innen, oder Arbeitsnomad*innen, die in dieser Zeit des Jahres psychisch besonders belastet sind.

Wieder andere jedoch nehmen aus ganz anderen Gründen teil. "Eine Frau meldete sich etwa, weil ihre Familie es alleine nie schaffe, das Gekochte aufzuessen. Ein paar hungrige Münder mehr würden da eben helfen", erzählt Heike und lacht. Das jüngste Mitglied ist fünf, der Junge hatte vom Projekt gehört und seine alleinerziehende Mutter gefragt, ob sie nicht teilnehmen möchten – das älteste Mitglied ist ein 86-jähriger Senior.

Es ist diese Mischung, die das Projekt so besonders macht. Und dass die Menschen sich nicht etwa in in einer Sporthalle zu einem Großevent treffen, sondern ein heimeliges, intimes Weihnachten zusammen feiern könnten, sagt Heike. Sarah und sie fungieren am Ende aber nur als Schnittstelle und moderieren: Die Planung des Heiligabend sprechen die Gastgeber*innen und Gäste unter sich ab, von Aktivitäten tagsüber, über das Essen bis hin zu möglichen Schlafplätzen. Unter einigen Planungspostings in der Gruppe finden sich Tausende Kommentare – die Menschen dort zeigen beachtlich viel Einsatz und Kreativität.

Wenn nur ein Mensch sich meldet und uns sagt, er oder sie hatte einen schönen Abend, dann hat sich der ganze Aufwand für uns schon gelohnt.
Heike

In der Gruppe sollen an Heiligabend nach Möglichkeit Fotos und Berichte geteilt werden – damit die Menschen, die aufgrund Entfernungen oder anderen Gründen nicht an einer der Veranstaltungen teilnehmen können, irgendwie doch dabei sind.

Heike und Sarah macht es glücklich zu sehen, was passiert, wenn die Leute erst einmal eine Brücke zueinander gefunden haben. Denn darum gehe es doch: Brücken zu bauen, persönlich, vielleicht sogar politisch. Sie wissen, dass der erste Schritt, sich einzugestehen, dass man sich alleine nicht gut fühlt und dann etwas dagegen zu unternehmen, der schwerste ist. Doch sie treibt der Gedanke an, dass niemand nur mit sich sein muss – und manche vielleicht nur einen kleinen Schubser brauchen, den inneren Schweinehund zu überwinden.

Sie beide machen das unentgeltlich, neben ihren Vollzeitberufen, Heike arbeitet als Rechtsanwaltsfachangestellte, Sarah als Heilerziehungspflegerin. Für ihre Arbeit in der Gruppe möchten sie keine finanzielle Entlohnung. Ganz im Gegenteil: Wenn nur ein Mensch sich meldet und ihnen sagt, er oder sie hatte einen schönen Abend, dann habe sich der ganze Aufwand für sie gelohnt. Denn dann ist die Welt zumindest für einen Menschen und einen Abend eine bessere geworden.

Möchtet ihr bei "Weihnachten (nicht) allein 2018" als Gastgeber*in oder Gast mitmachen? Tretet über diesen Link der Facebook-Gruppe bei. Kennt ihr weitere Projekte dieser Art, womöglich regionale in eurem Ort? Schreibt sie doch gerne in die Kommentare!