Der Musiker R. Kelly wurde bereits vielfach wegen sexuellen Missbrauchs an Minderjährigen angeklagt. Verurteilt wurde er bisher nicht, es kam in der Vergangenheit zu außergerichtlichen Einigungen. Die Vorwürfe, die bereits seit den 90er-Jahren bestehen, wurden durch die sechsteilige Dokumentation Surviving R. Kelly, die Anfang des Jahres ausgestrahlt wurde, wieder aufgerollt. Nun wird erneut gegen ihn ermittelt.

Nachdem die Aussagen junger Frauen Kellys Karriere all die Jahre lang nichts anhaben konnten, scheinen sie erstmals Einfluss auf Kellys Position als Künstler zu nehmen. Im Zuge der Ereignisse trennte sich das Plattenlabel RCA, das Teil von Sony Music ist, von dem Sänger, Lady Gaga entschuldigte sich öffentlich für eine frühere Zusammenarbeit. Kellys Tochter Joann nannte ihn ein Monster. Zahlreiche Konzerte in den USA und international wurden abgesagt. Zum aktuellen Zeitpunkt scheint es für R. Kelly schwierig, Veranstalter*innen zu finden, die mit ihm zusammenarbeiten wollen.

Sexualverbrechern keine Bühne geben!
#RKellyStummschalten

Allerdings nicht in Deutschland. Hier kann man R. Kelly im April für jeweils knapp 100 Euro das Ticket in Ludwigsburg und Hamburg sehen. Das möchten die Initiatorinnen der Petition #RKellyStummschalten verhindern. Am Dienstag startete die Moderatorin Salwa Houmsi gemeinsam mit Gizem Adiyaman und Lucia Luciano, bekannt als das feministische DJ-Kollektiv Hoe_mies, die Aktion. Ihre Forderung: "Sexualverbrechern keine Bühne zu geben und alle Konzerttermine R. Kellys in Deutschland abzusagen!"

Um dieses Ziel zu erreichen, nutzen die Frauen ihre Medienreichweite, kontaktieren die Veranstaltungsorte und Veranstalter*innen. ze.tt hat mit Gizem Adiyaman über die Petition gesprochen. 

ze.tt: Das Ziel der Petition ist es, die Auftritte von R. Kelly in Deutschland zu verhindern. Wie hast du davon erfahren, dass R. Kelly hier auftreten soll?

Gizem Adiyaman: Durch Freund*innen habe ich das erste Mal davon gehört. Ich war empört und dachte, dass das nicht sein kann. Die anderen

haben das auch so empfunden. Vor allem Salwa war sehr wütend und hatte das Gefühl, man müsste etwas gegen die Konzerte unternehmen.

Dazu kam, dass wir alle die Doku über R. Kelly gesehen haben. In Zusammenhang damit war es noch viel krasser zu wissen: Der kommt nach Deutschland und macht hier ganz ungehindert seine Shows – und Leute gehen da auch noch hin.

In den USA gibt es viele Proteste gegen R. Kelly, Konzerte wurden abgesagt, Veranstaltungen belagert, sodass er nicht teilnehmen konnte. Wir in Deutschland sind im Vergleich dazu total ahnungslos. Wir kriegen es nicht wirklich mit oder es interessiert die Leute nicht so sehr. Aber es sollte sie interessieren. Deswegen haben wir gedacht, dass wir erstmal Aufmerksamkeit generieren müssen. Und das macht man am besten mit etwas Öffentlichkeitswirksamen wie einer Petition.

Innerhalb kürzester Zeit haben fast 25.000 Menschen unterschrieben. Habt ihr mit diesem Rückhalt gerechnet?

Ehrlich gesagt ja. Man ist natürlich trotzdem überrascht zu sehen, dass innerhalb von zwei Tagen 25.000 Unterschriften zusammenkommen. Aber wir haben uns schon vorher gedacht, dass wir eine gute Position haben, um etwas gegen die Konzerte zu unternehmen. Wir sind alle drei DJs, Salwa ist zudem noch Journalistin und arbeitet viel im Bereich Hip-Hop. Das ist also genau unser Einflussbereich und ein Fall, in dem wir Reichweite haben und etwas bewegen können. Wir erreichen viele Leute, die nicht einfach nur konsumieren, sondern die sich auch hinterfragen und reflektieren.

Der Zuspruch für euren Boykott ist groß. Zum Teil wird allerdings die Kritik geäußert, dass die mediale Aufmerksamkeit in diesem Fall auch mit Kellys Hautfarbe zusammenhängt. Gegen weiße Täter würde für gewöhnlich nicht so entschieden vorgegangen. Wie reagiert ihr auf diese Äußerungen?

Ich finde es ein bisschen schwachsinnig, vor allem weil ich die #Metoo-Bewegung von Anfang an intensiv mitverfolgt habe. Die Täter, auf die sich medial konzentriert wurde, waren vorwiegend weiße Männer: Louis CK, Harvey Weinstein, Kevin Spacey ... Was am R. Kelly-Fall anders ist: Bisher ging es vor allem um weiße Frauen, die geschädigt wurden. Jetzt ist es zum ersten Mal in diesem großen Ausmaß der Fall, dass die Bewegung auch jungen Schwarzen Frauen unter die Arme greift und sie unterstützt.

Die Stimmen dieser betroffenen Schwarzen Frauen zu hören und ernst zu nehmen, nachdem sie jahrelang unter enormem Rechtfertigungsdruck standen, der Lügen beschuldigt wurden oder selbst für ihren Missbrauch verantwortlich gemacht wurden, ist eine wichtige Aufgabe einer Bewegung wie #Metoo und verschafft den Betroffenen Reichweite und Kredibilität.

Ja, es geht in diesem Fall um einen Schwarzen Mann. Aber das sagt natürlich nichts über alle Schwarzen Männer. Es ist auf jeden Fall wichtig, das zu betonen, damit keine rassistische Debatte daraus gemacht wird. Aber so viel Reflexionsvermögen traue ich den Menschen zu.

Vielleicht scheint es – im Vergleich zu Männern wie Weinstein, Spacey oder Woody Allen – in diesem Fall auch sehr naheliegend, wie genau man sich gegen Kelly einsetzen kann?

Genau, ein Konzert ist einfach sehr direkt. Es passiert an einem Tag, danach ist es vorbei. Man kann das Event verhindern. Für uns persönlich kommt noch dazu, dass wir alle in diesem Musikbereich tätig sind. Zum Beispiel im Bereich Film kann ich mit meinen Accounts keine kritische Masse erreichen. Bei Hip-Hop ist das was anderes.

Es ist uns wichtig, Stimmen von Frauen und queeren Personen im Hip-Hop voranzutreiben. Darum macht es für mich Sinn, mich besonders in diesem speziellen Fall einzusetzen und meine Stimme zu nutzen. Plus, R. Kelly soll nach Deutschland kommen. Harvey Weinstein oder Kevin Spacey haben, soweit ich weiß, in nächster Zeit keine Besuche in Deutschland angekündigt, um Promo zu machen. Ich schätze, wenn das der Fall wäre, dann gäbe es auch Boykottaufrufe. Vielleicht schaffen wir auch gerade einen Präzedenzfall und es wird in Zukunft mehr Petitionen und Boykotts geben.

Braucht es noch mehr Petitionen wie die eure?

Darüber würde ich mich sehr freuen. Die Arbeit sollte nicht an einer Person oder einer Gruppe hängenbleiben. Ich finde es ist schwierig, wenn Leute sagen: "Aber was ist denn mit dem und dem Künstler?" Dann denke ich mir: Cool, warum machst du das nicht einfach? Es ist ein legitimer Punkt zu sagen, dass noch viele andere Künstler*innen es verdient haben, boykottiert zu werden. Aber warum soll eine einzige Petition alles abdecken? So ein Aufruf muss möglichst zielgerichtet sein, um Erfolg zu haben.

Apropos zielgerichtet: Habt ihr ein bestimmtes Ziel, was die Reichweite eurer Petition angeht?

Was die Zahlen angeht schauen wir jetzt erstmal, wie sich die Petition entwickelt. Wir wollen vor allem Druck ausüben auf die Entscheidungsträger*innen. Letztendlich versuchen wir, den Menschen so gut es geht Informationen über einen bestimmten Fall zur Verfügung zu stellen, damit sie eine bewusste Entscheidung treffen können. Es ist für uns wichtig zu sagen: Leute, nehmt euch nicht aus der Verantwortung, informiert euch, bildet euch eine Meinung dazu!

Leute, nehmt euch nicht aus der Verantwortung, informiert euch, bildet euch eine Meinung dazu!
Gizem Adiyaman