"Wir bekommen ein Baby", ist in dem Chatverlauf zu lesen. Eine aufregende Nachricht, ein emotionaler Moment. Doch sollten wir ihn überhaupt zu sehen bekommen? Der US-Fotograf Jeff Mermelstein ist davon überzeugt: Seit ein paar Jahren fotografiert er heimlich die Handybildschirme anderer Leute. Jetzt ist sogar ein Buch mit einer Auswahl seiner Bilder erschienen. Damit stellt sich auch die Frage, wo die Grenze zwischen Kunstfreiheit und Persönlichkeitsrechten verläuft.

Mehr als 1.200 Fotos dieser Art hat Mermelstein seit Oktober 2017 aufgenommen. Laut eigener Aussage sind die meisten von ihnen nicht – wie man zunächst vermuten könnte – in der U-Bahn, sondern auf der Straße entstanden. Dort, wo er, ein New Yorker Straßenfotograf mit jahrzehntelanger Erfahrung, sich am wohlsten fühlt. Auf Instagram lud er die Aufnahmen hoch, darunter Chatverläufe mit leidenschaftlichen Liebesbekundungen genauso wie belanglose Alltagsgespräche. Eine Person hat sich ein neues Küchengerät gekauft, eine andere schwört dem Dating ab, doch auch aufbauende Worte an eine*n Krebspatient*in sind darunter zu finden.

Unangenehm nah dran

Obwohl wahrscheinlich jede*r schon mal bewusst oder unbewusst auf den Smartphonebildschirm einer anderen Person geschaut hat, hebt Mermelstein diesen Voyeurismus auf eine neue Ebene. Schließlich sind die Nachrichten nicht für die Öffentlichkeit gedacht. Es fühlt sich unweigerlich falsch an, diese Gespräche mitzulesen, die teilweise extrem intim und emotional sind. Eine Erlaubnis der Smartphonebesitzer*innen, ihre Bildschirme abzufotografieren, hatte Mermelstein nicht: "Nein, das ist einfach nicht meine Methodik. Ich bin am Realen interessiert", erklärte er der New York Post. Um die Identität der Fotografierten zu schützen, sind auf den Aufnahmen aber keine Gesichter oder Namen zu erkennen.

Trotzdem ist der Gedanke, dass sich jemand heimlich mit einer Kamera hinter Nachrichtenschreiber*innen stellt, ein beunruhigender. Sollten wir uns diese Fotos ansehen? Diese Frage stellt auch Artnet-Redakteur Taylor Dafoe in seiner Rezension des Mermelstein-Buches #nyc: "Die Nachrichtenverfasser*innen mögen sich zwar in der Öffentlichkeit befunden haben, aber wie steht es um den Inhalt ihrer Bildschirme?" Damit schließen Mermelsteins Aufnahmen an eine die Street-Photography stets begleitende Kontroverse an: Wie weit geht die Kunstfreiheit und wo greift das Persönlichkeitsrecht? Anders als bei der Straßenfotografie von Personen gibt es hier noch keinen juristischen Präzedenzfall – die Debatte darüber dürfte aber spannend werden.