Das menschliche Auge ist ein kleines, komplexes Wunderwerk. Es kann scharf, es kann dreidimensional, es kann hell oder dunkel, und es hat die Fähigkeit, bestimmte Lichtwellen als Farben zu identifizieren. So können wir Ampeln lesen, bunte Blumensträuße zusammenstellen oder auf "den dahinten mit den roten Schuhen" zeigen. Kurz: Wir können die Welt in all ihrer prächtigen Buntheit erleben.

Das glauben wir zumindest. In Wahrheit verpassen wir nämlich eine ganze Menge. So wie wir mit den Ohren nur einen eingeschränkten Bereich der Schallwellen hören, können unsere Augen auch nur bestimmte Lichtwellen verarbeiten. Lichtwellen verarbeiten bedeutet: Farben sehen. Das sind in unserem Fall nicht alle, sondern die des berühmten Regenbogens, von Violett an einem Ende (Wellenlänge von etwa 380 Nanometer) bis Rot am anderen Ende (etwa 780 Nanometer). Das für uns sichtbare Farbspektrum, ein sehr schmaler Wellenlängenbereich, hört dort aber nicht auf. Es geht in ultraviolettes Licht an dem einen Ende und in infrarotes am anderen Ende über.

Das, was für uns unsichtbar bleibt, ist für andere Lebewesen überlebenswichtig. Klapperschlangen können zum Beispiel mit dem sogenannten Grubenorgan Infrarotstrahlen und damit Temperaturunterschiede von weniger als einem Grad Celsius wahrnehmen. Mit diesem Wärmebild finden sie ihre Beute auch in absoluter Dunkelheit. Bienen und Hummeln können hingegen ultraviolettes Licht sehen. Manche Blumen, die für uns einfarbig erscheinen, haben ein Muster aus UV-Farbe, damit die kleinen Flieger leichter an ihr Ziel kommen.

Eine unsichtbare Welt

Wir Menschen können mit Hilfsmitteln ein wenig in eine derartige Welt vordringen. Infrarotfotografie macht das Lichtspektrum über den 780 Nanometern (typischerweise bis 1.200 Nanometer) und damit eine versteckte Welt für das menschliche Auge sichtbar. Mithilfe von Infrarotfilmen oder Digitalkameras lassen sich charakteristische Lichtspielereien erzeugen. Allen voran der sogenannte Wood Effect, bei dem durch reflektiertes Licht zum Beispiel Blätter und Laub grell-weiß erscheinen. So verwandelt sich ein Streifen Natur selbst im heißesten Sommer in eine künstliche Winterlandschaft. Benannt ist dieser Effekt nach dem Fotografen Robert W. Wood, der als Vater der Infrarotfotografie gesehen wird. Viele nutzen den Wood Effect, um surreale Landschaften oder kontraststarke Schwarzweißfotos zu schaffen.

Wie artistisch das Medium der Infrarotfotografie sein kann, beweisen die 493 Fotograf*innen, die dieses Jahr am ersten Infrarotfotowettbewerb teilnahmen. Sie reichten insgesamt 2.750 Fotos in fünf Kategorien ein. "Die Teilnahme ist bei Weitem größer ausgefallen, als wir erwartet hatten. Die Anzahl und die Qualität der Bilder haben uns wirklich umgehauen. Wir hoffen jetzt, den Wettbewerb jährlich austragen zu können", sagt Pat Nadolski, Pressesprecherin des Veranstalters KolariVision. Infrarote Techniken würden noch in ihren Kinderschuhen stecken und seien in der Welt der Fotografie kaum verbreitet. Der Wettbewerb soll daher auf die vielen Möglichkeiten von Infrarotfotografie aufmerksam machen.

Denn mit der richtigen Technik werden dann nicht nur grüne Wiesen weiß. Bäume schimmern knallrot bis giftgelb, der Himmel ist in übertriebenes Blau getaucht und selbst Schwarzweißfotos erhalten einen dramatischen Stich. Gewöhnliches verändert sich zu einer geisterhaften Version seiner selbst, zu der abstrakten Schönheit einer entfernten Welt.

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