Durch Instagram zum Star, das ist mittlerweile keine Seltenheit mehr. Für Modeblogger*innen bis Lifestyle-Sternchen gilt das soziale Medium als Einstiegsplattform. Auch Rupi Kaur, 24, in Indien geboren und in Kanada aufgewachsen, ist durch Instagram berühmt geworden. Dabei geht es auf ihrem Kanal nicht um Fashion- oder Beauty-Themen. Es geht noch nicht einmal um Fotos. Rupi Kaur schreibt Gedichte.

Damit gehört sie zu einer neuen Gruppe sogenannter Instapoets: Dichter*innen, die ihre Werke als Fotos bei Instagram teilen und sich so im Laufe der Zeit eine große Community aufbauen. Zu ihnen zählen auch die beiden Autorinnen Ruby Dhal, UK, und Alison A. Malee aus den USA. Tatsächlich sind deren Texte denen von Rupi Kaur auf den ersten Blick sehr ähnlich. Doch während die beiden gerade einmal um die 100.000 Follower*innen haben, folgen dem Profil von Rupi Kaur mittlerweile 1,5 Millionen Menschen. Sogar Prominente wie Miley Cyrus und Ariana Grande haben schon Gedichte von ihr geteilt. Doch was macht gerade sie so erfolgreich?

Persönlich, ehrlich, stark

Rupi Kaurs Texte sind schmerzlich persönlich, ehrlich und stark. Darin verarbeitet sie immer wieder eigene Erlebnisse, so auch die Einwanderung ihrer Familie von Indien nach Kanada, als sie vier Jahre alt war. Diese Erfahrung prägte sie damals wie heute stark, sie ist mit zwei Kulturen aufgewachsen. In ihren Texte spricht sie darüber und bietet so auch Menschen mit ähnlichen Erfahrungen die Möglichkeit zur Verarbeitung. [Außerdem bei ze.tt: Popkultur oder Weltliteratur: Woher stammen diese Zitate?]

Zu einer intensiveren Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte inspirierte Rupi Kaur Alice Walker, die Autorin des Romans Die Farbe Lila. Doch Kaurs Arbeiten drehen sich nicht nur um ihre Herkunft. Sie schreibt viel über andere persönliche Themen wie Liebe, Verlust und Gewalt. Eines ihrer Vorbilder: der libanesisch-US-amerikanische Poet Khalil Gibran, der in seinen Werken ebenfalls offen über Liebe oder Angst spricht. Viele von Rupi Kaurs Follower*innen können sich mit genau diesen Themen identifizieren, finden Halt und Bestätigung in ihren Worten, denn es ist nicht einfach, hier die richtigen Formulierungen zu finden. Doch Rupi Kaur kann es.

Dabei verliert sie sich nicht in komplexen Sätzen und Ausdrucksweisen, sondern bleibt in ihrer Sprache stets schlicht. Ihr Schreibstil ist von der Gurmukhi-Schrift geprägt, einer Schriftart, die in ihrer Muttersprache Punjabi verwendet wird. Hier gibt es weder Groß- noch Kleinschreibung, und einzig der Punkt wird als Satzzeichen verwendet. Für ihre Gedichte hat Rupi Kaur diese Regeln übernommen.

Ihre Worte bebildert sie mit zarten Illustrationen. Gerade der Kontrast zwischen den schweren Themen und den einfachen, schwarzweißen Zeichnungen macht ihre Arbeit zu etwas Besonderem.

Erfolgreich durch Instagram

Schon an der Highschool begann Rupi Kaur, Gedichte zu schreiben. Erst 2013 aber wagte sie den Schritt, diese auf Tumblr unter ihrem echten Namen zu veröffentlichen. Ein Jahr später wechselte sie schließlich zu Instagram und baute sich hier innerhalb kürzester Zeit eine riesige Fangemeinde auf.

Gleichzeitig veröffentlichte sie ihre Gedichte bei Amazon, wodurch ein Verlag auf sie aufmerksam wurde. Mittlerweile hat sich ihr Gedichtband Milk & Honey über 1,4 Millionen mal verkauft und stand über ein Jahr lang auf der Bestsellerliste der New York Times. Seit April gibt es auch eine deutsche Übersetzung.

Feministische Text- und Tabubrüche

Ein Thema, das in ihren Texten immer wieder zur Sprache kommt: ihre Erlebnisse und Erfahrungen als Frau. Ihr Schreibstil ist sensibel, manchmal schwermütig, aber durchaus doch mit einem Selbstvertrauen, das vielen Frauen Mut macht. Das zieht an. Denn egal, ob sie über traumatische Erlebnisse, Liebeskummer oder Selbstzweifel schreibt, die Botschaft ist immer: Du bist mit deinen Gefühlen nicht allein. Gerade in diesem Verständnis liegt die Stärke ihrer Texte.

Großes Aufsehen erregte Rupi Kaur 2015 mit einem Foto, auf dem sie im Bett liegend während ihrer Periode zu sehen ist. Durch die Schlafanzughose zeichnet sich ein roter Blutfleck ab, der schon auf das Bettlaken abgefärbt hat. Die Fotografie ist Teil der Serie period., die Rupi Kaur für ein Seminar der visuellen Rhetorik an der University of Waterloo kreierte. Ihr Ziel: ein Zeichen setzen gegen die Tabuisierung der weiblichen Periode. Doch Instagram löschte das Bild zweimal von ihrem Profil und bekräftigte damit Rupi Kaurs These. Die Aufregung in den sozialen Netzwerken war groß, sodass Instagram das gelöschte Bild schließlich wieder online stellte. Für Rupi Kaur ein kleiner Sieg, der international zum Nachdenken anregte.

Wie Milch und Honig – so sind auch ihre Worte

Rupi Kaur nimmt mit ihren Gedichten und Fotografien kein Blatt vor den Mund. Gerade das macht sie so einzigartig. Im Oktober 2017 erscheint endlich ihr zweites Buch The sun and her flowers. Bis zur Veröffentlichung der deutschen Ausgabe wird es aber voraussichtlich noch etwas dauern. Wie gut, dass wir auf Instagram immer etwas von ihr mitbekommen.