"Ich habe beschlossen, in den Hafen von Lampedusa einzufahren. Ich weiß, was ich riskiere, aber die 42 Geretteten sind erschöpft. Ich bringe sie jetzt in Sicherheit." 14 Tage lang hatten Sea-Watch-Kapitänin Carola Rackete, die restliche Besatzung und die 42 Geflüchteten an Bord vor der italienischen Küste ausgeharrt. Nur zwei Stunden Fahrt trennen sie vom Festland. Zwei Stunden Fahrt bis Lampedusa.

Doch für die Sea-Watch 3 war es nicht möglich, diese Strecke legal zu überqueren. Denn Italiens Innenminister und Lega-Chef Matteo Salvini hatte kurz zuvor per Dekret veranlasst, dass private Rettungsschiffe mit einer Geldstrafe in Höhe von bis zu 50.000 Euro rechnen müssen, wenn sie unerlaubt in italienische Gewässer einlaufen. Dadurch machen sich Seenotretter*innen strafbar, wenn sie ohne Erlaubnis die Häfen anlaufen, um Geflüchtete an Land zu bringen.

"Das ist gegen das Seevölkerrecht", erklärte Rackete vergangene Woche in einem Videostatement auf Facebook. Einzig elf der ursprünglich 53 Geflüchteten, die die Besatzung aus Schlauchbooten gerettet hatte, hatte die Regierung an Land gelassen, darunter Kinder, Schwangere und erkrankte Menschen. Mit ihrer Entscheidung, Lampedusa nun auch gegen die Weisung der italienischen Regierung anzulaufen, hat Rackete die Wut von Innenminister Salvini auf sich gezogen: "Holländisches Schiff, deutsche Hilfsorganisation – also die Hälfte der Migranten nach Amsterdam, die andere Hälfte nach Berlin. Und dann Beschlagnahmung des Piratenschiffs. Punkt", schrieb er auf Twitter und beschuldigte NGOs damit, Menschenhandel und Schlepper*innen zu unterstützen.

Ich weiß, was ich riskiere, aber die 42 Geretteten sind erschöpft. Ich bringe sie jetzt in Sicherheit.
Carola Rackete

Inzwischen wurde die Sea-Watch 3 von der italienischen Küstenwache und dem Zoll gestoppt und durchsucht. Weiteres über das Schicksal der Geflüchteten ist bisher nicht bekannt.

Private Seenotrettung wird kriminalisiert

Carola Rackete weiß, dass ihr Entschluss, die Geflüchteten trotz Salvinis Dekret an Land zu bringen, Konsequenzen für sie und den Rest der Besatzung haben kann. Neben der hohen Geldstrafe drohen Anklagen wegen Beihilfe zur illegalen Immigration und die Beschlagnahmung des Schiffs. Doch die Lage auf dem Schiff hatte sich mit der Zeit immer weiter zugespitzt. Geflüchtete litten unter Dehydrierung und Angst. Einige hätten aus Verzweiflung angedroht, sich ins Meer zu stürzen oder sich die Pulsadern aufzuschneiden, berichtet Rackete gegenüber La Repubblica. Nun hofft Rackete auf das Verständnis der italienischen Justiz. Die Besatzung der Sea-Watch 3 seien weder Schlepper*innen noch eine Bedrohung der nationalen Sicherheit. Doch Innenminister Salvini sieht das anders.

Es wäre nicht das erste Mal, dass Seenotretter*innen wegen ihrer freiwilligen Arbeit angeklagt oder verurteilt würden. Doch da die EU aktuell keine eigenen Schiffe zur Seenotrettung einsetzt, sehen sich die NGOs gezwungen, weiterhin hinauszufahren und Menschen das Leben zu retten. Selbst, wenn sie sich dadurch strafbar machen.

Carola Rackete ist seit Jahren für NGOs auf den Meeren unterwegs: Sie fuhr für Greenpeace und nahm an Polarexpeditionen teil. Im Gespräch mit der italienischen Zeitung La Repubblica erklärte die Kielerin, dass sie mit vielen Privilegien zur Welt gekommen sei und dadurch ein leichtes Leben gehabt habe. "Ich habe eine weiße Hautfarbe, ich bin in ein reiches Land geboren worden, ich habe den richtigen Reisepass, ich durfte drei Universitäten besuchen und hatte mit 23 Jahren meinen Abschluss." Sie verspüre eine moralische Verpflichtung gegenüber denjenigen, die nicht diese Voraussetzungen hätten.