Menschen, die im Laufe ihres Lebens keine Kinder bekommen, sind in Deutschland keine Seltenheit. Laut Mikrozensus 2016 bleibt etwa jede fünfte Frau hierzulande "endgültig kinderlos". Männer wurden bei der Datenerhebung leider nicht danach gefragt, wie viele Kinder sie gezeugt haben. Klar ist dennoch, dass es ganz unterschiedliche Gründe gibt, warum sich jemand – sofern hinter der Kinderlosigkeit eine freiwillige Entscheidung steckt – gegen Nachwuchs entscheidet.

Bei einer repräsentativen Umfrage der BAT-Stiftung für Zukunftsfragen erklärten 63 Prozent der Deutschen, sie hätten Angst vor den finanziellen Belastungen. Auch die eigenen Freiheiten einzubüßen und die Karriere als oberste Priorität wiegen schwer. Eine unsichere Zukunft für die eigenen Kinder spielt immerhin noch für knapp die Hälfte der Befragten eine ausschlaggebende Rolle. Doch die Beweggründe können noch viel weiter reichen: Manche Menschen entscheiden sich gegen den eigenen Nachwuchs, um unseren Planeten zu schützen.

"Der Klimawandel passiert jetzt gerade"

So wie Katie Rose Levin, die vor etwa einem Jahr ein sehr persönliches Video von sich online stellte. Darin spricht sie etwas aus, was nicht viele Menschen über sich sagen würden. Etwas, das in unserer Gesellschaft – gerade bei Frauen – immer noch als etwas Unnatürliches, dem Wesen widersprechendes, angesehen wird: "Ich könnte Kinder haben", erklärt sie lächelnd, "meine Entscheidung ist es aber, meine Zeit und Energie dafür zu verwenden, etwas für die Gemeinschaft zu tun." Für die damals 32-Jährige aus North Carolina ist vor allem eines ausschlaggebend für diese Aussage: unsere Umwelt. "Der Klimawandel ist jetzt, er passiert bereits und ich denke, dass wir ihn nicht als etwas sehen sollten, dass erst unsere Zukunft betrifft. Und ja, das beeinflusst meine Entscheidung, ob ich Kinder haben möchte oder nicht und die Art, wie ich mein Leben lebe."

Das Video von Katie Rose ist eines von mehreren Testimonial-Clips auf der Webseite von Conceivable Future, einer Organisation aus dem US-amerikanischen New Hampshire, die versucht, "ein Bewusstsein für die Bedrohung zu schaffen, die der Klimawandel für unsere reproduktive Gerechtigkeit darstellt." Die Gründerinnen von Conceivable Future, die Klimaaktivistinnen Meghan Kallman und Josephine Ferorelli, rufen zwar nicht direkt dazu auf, auf den eigenen Nachwuchs zu verzichten, fordern aber, die eigene Fortpflanzung zu überdenken. Sie würden nicht eine bestimmte Haltung propagieren, schreiben sie, sondern einfach darauf aufmerksam machen, dass die Klimakrise einen großen, negativen Raum dabei einnimmt, wie unsere Generation in die Zukunft blickt. Indem sie das Thema "Kinder bekommen oder nicht" direkt an ökologische Entwicklungen koppeln, hoffen sie vor allem auf eine verstärkte Auseinandersetzung mit der Klima-Problematik. "Wir glauben daran, dass sich – indem wir Geschichten über die Auswirkungen erzählen, die der Klimawandel auf unsere Fortpflanzung hat – die öffentliche Wahrnehmung weg vom ‘da drüben’ der Wissenschaft, Wirtschaft oder Politik hin zum Mittelpunkt unseres Alltags verschiebt", heißt es auf der Webseite. Um ihre Botschaft zu verbreiten, organisiert Conceivable Future überall in den USA Hauspartys, bei denen die Leute sich treffen, diskutieren und ihr Statement abgeben können.

Energie lieber in die Umwelt statt in ein Kind stecken

Katie, heute 34 Jahre alt, ist durch eine befreundete Journalistin, die über Klimawandel und die Frage des Kinderkriegens schreibt, auf die Organisation aufmerksam geworden. Sie hatte vorher noch nicht davon gehört, ihr gefiel aber auf Anhieb, was sie machten. Katie selbst dachte lange, sie wüsste, wie ihr Leben ablaufen würde: erwachsen werden, einen Job haben, heiraten, Kinder bekommen. "Ich war jetzt nicht total aufgeregt, was das angeht, aber ich habe es auch nicht wirklich in Frage gestellt", erzählt sie im Interview. Doch je mehr sie über die Umwelt und die Bevölkerung gelernt habe, desto unsicherer sei sie sich geworden. Sie fragte sich, ob es nicht besser wäre, dafür zu arbeiten, die Welt in einen besseren Ort für andere zu verwandeln, statt ihre Energie für ein Kind aufzuwenden. Als sie 2010 schließlich ihren heutigen Ehemann kennenlernte, der bereits für sich entschieden hatte, dass er keine Kinder haben will, festigte sich auch bei ihr der Gedanke. In ihrem Job als Baumpflegerin erlebt sie zudem jeden Tag, wie krank die Natur ist, wie sie stirbt. "Der Grund dafür, dass ich den Planeten retten will, ist, dass ich daran glaube, dass alle Lebewesen ein glückliches, gesundes Leben leben sollten. Egal, ob du ein Baum, ein Tier, meine Familie oder ganz woanders auf der Welt bist." Sie habe kein persönliches Interesse daran, dass ausgerechnet ihr Kind in einer weniger schlechten Welt aufwächst, sondern findet, dass jedes Kind in einer Welt aufwachsen sollte, die schön und gesund ist.

Ginge es nach einer schwedischen Studie aus dem vergangenen Jahr, die herauszufinden versuchte, wie wir Menschen unseren Kohlendioxidausstoß am effektivsten reduzieren könnten, sollten wir alle weniger Kinder bekommen. Während ein Mensch bei einer fleischfreien Ernährung 0,8 Tonnen CO2 pro Jahr und mit dem Verzicht auf ein Auto jährlich 2,4 Tonnen CO2 einsparen kann, ist der Verzicht auf Nachwuchs bei Weitem die wirksamste Klimaschutzmaßnahme: Jedes nicht in die Welt gesetzte Kind bedeute eine Kohlendioxideinsparung von 58,6 Tonnen im Jahr, fanden die Forscher*innen heraus. Natürlich, so räumten sie damals schon ein, seien das sehr persönliche Entscheidungen – der Effekt, den unser Lebensstil aufs Klima hätte, wäre aber nicht von der Hand zu weisen.

Sollten wir die Menschheit nicht lieber aussterben lassen?

Tatsächlich deutet der Trend aber in eine andere Richtung. Wir werden immer mehr Menschen auf der Erde. Noch vor 500 Jahren lebten lediglich 500 Millionen Menschen auf unserem Planeten, mittlerweile sind es etwa 7,5 Milliarden. Bevölkerungsprognosen der UN rechnen damit, dass wir – abhängig davon, wie viele Kinder pro Frau dazu kommen –bis zum Jahr 2100 zwischen 7,3 und 16,6 Milliarden Menschen auf der Erde sein könnten. Diese Entwicklung entscheidet auch darüber, wie früh sich die Menschheit den Grenzen der natürlichen Ressourcen nähert.

Das freiwillige Aussterben der Menschheit ist die menschliche Alternative zu unmenschlichen Katastrophen." – Voluntary Human Extinction Movement

Eine rasant ansteigende Bevölkerungszahl wollen die Anhänger*innen des Voluntary Human Extinction Movement (abgekürzt VHEMT, ausgesprochen vehement) unbedingt verhindern. Die Bewegung, die 1992 von Ökoaktivist Les U. Knight in den USA so betitelt wurde, sorgt sich nach eigener Aussage um das Leben auf dem Planeten – und sieht nur eine Möglichkeit, um eben diesen zu retten: "Das freiwillige Aussterben der Menschheit ist die menschliche Alternative zu unmenschlichen Katastrophen", heißt es auf der deutschen Homepage. Die Tonalität, mit der VHEMT sich selbst vorstellt, klingt fast ein bisschen sarkastisch, gar zynisch: "Wir sind nicht nur ein Haufen Menschenhasser und Asozialer, die morbide Freude empfinden, wann immer ein Unglück passiert." Die Botschaft ist jedoch klar: Jedes Mal, wenn sich jemand dagegen entscheidet, ein Kind in die Welt zu setzen, hilft das dem Planeten. Der Erde, so lässt sich aus der Beschreibung herauslesen, würde es ohne den Menschen am besten gehen.

Auf Facebook folgen fast 9.000 Personen der internationalen Seite. Vor etwa drei Jahren stolperte auch Pedro Hafermann, 28, Philosophiestudent aus Gießen, über die Bewegung, deren Grundidee ihn direkt ansprach: "Mir fiel auf, dass es vielleicht sinnvoller ist, keine eigenen Kinder in die Welt zu setzen." Wenn man sich die Erde angucken würde, gäbe es dort sehr viele Menschen, denen es nicht gut gehe, meint er. "Es gibt eine hohe Kindersterblichkeit in ärmeren Ländern und wir merken auch, dass wir auf eine Art mit unserem Planeten umgehen, der für spätere Generationen eher nachteilig sein dürfte." In seinen Augen müsste er einem Kind gute Voraussetzungen für den Start ins Leben bieten können.

Die Art meiner Lebensführung ist nicht mit jeder [Frau] kompatibel." – Pedro Hafermann

In unserer Gesellschaft hält er es aber für schwierig, das Wohl eines Menschen halbwegs garantieren zu können: "Kein Kind in die Welt zu setzen ist moralisch hingegen immer unbedenklich. Ein Mensch, der nicht existiert, hat auch keine moralischen Rechte und kann demzufolge keine Ansprüche an die Welt stellen." Einen besonders großen Kinderwunsch habe er sowieso nie verspürt. Gleichzeitig verurteilt er niemanden, der*die sich doch dafür entscheidet, eine Familie zu gründen: "Wenn jemand Kinder haben möchte, kann ich nicht sagen, es ist per se moralisch falsch, das zu tun."

Unter den Anhänger*innern von VHEMT beobachtet er zwei unterschiedliche Gruppen, die durch Kinderlosigkeit unterschiedliche Ziele verfolgen. Zum einen die Sympathisant*innen, zum anderen die Freiwilligen. "Die Freiwilligen sind der Meinung, dass es gut sei, dass die Menschheit ausstirbt, für die Biosphäre. Die Sympathisanten sagen, es sollte schon Menschen geben, aber es ist besser, keine Kinder zu bekommen. Denn wenn weniger Menschen da sind, können die ein besseres Leben führen." Er selbst sieht sich eher als Sympathisant, die andere Idee hält er für übertrieben. "Wenn niemand mehr auf der Welt lebt, kann schließlich auch niemand mehr sagen, dass sie gut ist."

Wenn er Frauen kennenlerne, sei das Kinderkriegen schon Thema, meint Pedro. Nach einer zehnjährigen Beziehung ist er gerade single. Man rede schließlich auch mit potenziellen Partnerinnen darüber, die das vielleicht schade fänden – aber das könne nicht in Bezug auf Kinderwünsche der Fall sein, auch andere Lebensvorstellungen würden bestimmte Leute ausschließen. "Die Art meiner Lebensführung ist nicht mit jeder kompatibel. Natürlich kann die sich auch ändern, aber nicht wegen jemand anderem."

Kinderlosigkeit an sich keine Seltenheit

Ebenso wie in Deutschland bekommt auch in den USA etwa jede fünfte Frau kein Kind. Trotzdem würden wir zu wenig über unsere reproduktiven Wahlmöglichkeiten reden, findet Katie. Sie weiß, dass sie privilegiert ist, sich überhaupt gegen ein Baby entscheiden zu können. Manche Frauen hätten schließlich gar keinen Zugang zu Verhütungsmitteln oder seien unfruchtbar. Mit dem Video, in dem sie ihre Beweggründe erklärt, will sie dem Thema der Entscheidungsfreiheit allgemein mehr Präsenz verleihen: "Für mich ist es wichtig, meine Geschichte zu erzählen, damit andere merken, dass sie nicht allein sind, dass sie ein Gesicht dazu haben und wissen, dass sie mich theoretisch kontaktieren können, wenn sie mehr wissen wollen." Gleichzeitig, räumt sie ein, verleihe das Video ihrer Einstellung mehr Gewicht und diene ihr selbst auch als Anhaltspunkt. Viele Leuten würden ihr als Frau, im Gegensatz zu ihrem Mann, sowieso nicht glauben, dass sie es ernst meint. Sie sieht das eher nüchtern: "Ich kann mir kein Szenario vorstellen, in dem ein Kind das Beste für mich sein würde. Aber ich weiß noch nicht, wie ich mit 40 bin. Das kann ich dir dann erst sagen."

Es ist ja keine aktive Tätigkeit, auf etwas zu verzichten." – Pedro Hafermann

Doch wie ist es, zu wissen, durch den Verzicht auf ein Kind – zumindest theoretisch – bereits das Bestmögliche fürs Klima zu tun? Müssen diese Menschen überhaupt noch etwas anderes für die Umwelt leisten? Pedro findet den Gedanken nicht nachvollziehbar: "Es ist ja keine aktive Tätigkeit, auf etwas zu verzichten." Katie glaubt daran, dass es viele unterschiedliche Wege gibt, den Planeten zu retten und räumt ein, dass auch sie manche Sachen gut mache, andere nicht. Sie esse zwar hauptsächlich vegetarisch, manchmal aber auch Fleisch von lokalen Produzenten – allein das zeige aber ihren hohen ökologischen Anspruch an sich selbst. Ein Freifahrtschein ist die Kinderlosigkeit für sie nicht, eher im Gegenteil. Sie pflanzt Bäume und engagiert sich auch politisch für die Umwelt, kauft Second-Hand-Kleidung und baut ihr eigenes Gemüse an. Hat sie denn das Gefühl, mit dem Verzicht auf ein Kind etwas für die Natur zu opfern? "Nein", sagt sie. "Wenn du dich dazu entscheidest, keine Kinder zu bekommen, wirst du definitiv etwas verpassen. Aber auch, wenn du welche hast, wirst du Sachen aufgeben müssen. Es sind einfach zwei Arten, das Leben zu leben."