Wiens Prunkbauten erleuchten mal in Rot, mal in Rosa, mal in Blau. Tausende Menschen drängen sich durch die Gassen der Innenstadt. Der Bass von lautem Techno hallt durch die historischen Straßen Wiens. Der Demozug beginnt beim Juridikum, der Fakultät für Rechtswissenschaften im ersten Wiener Gemeindebezirk. Der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz studierte dort einst Rechtswissenschaften an der gleichnamigen Fakultät. Heute treffen sich dort die Demonstrierenden unter dem Motto: "Kurze Demo!" Sie wollen den Weg des ÖVP-Politikers vom Studenten zum Bundeskanzler symbolisch durch die Stadt ablaufen.

Über die Hälfte der österreichischen Bevölkerung (57,5 Prozent) stimmten bei der Nationalratswahl 2017 – der Nationalrat ist die Abgeordnetenkammer des österreichischen Parlaments – für eine rechtskonservative (ÖVP 31,5 Prozent) bis rechtsextreme Partei (FPÖ 26 Prozent). Seitdem regiert Sebastian Kurz das Land gemeinsam mit der FPÖ. Und seit dem 4. Oktober vergangenen Jahres demonstrieren Wiener*innen immer donnerstags unter dem Motto "Es ist wieder Donnerstag!" jede Woche mit einer anderen Route und neuem Programm.

Vom Juridikum geht's an diesem Abend im Februar entlang der berühmten Herrengasse zum Innen- und Außenministerium am Minoritenplatz, wo Kurz einst Außenminister war, weiter zum Bundeskanzleramt am Ballhausplatz, über den Universitätsring vorbei am Burgtheater und am Parlament, wo die Demonstration vor der ÖVP-Zentrale beim Rathaus endet. Mit dabei sind auch Alisa Vengerova und Laura Fellerer. Sie sind gemeinsam mit anderen die Mitinitiator*innen der sogenannten Donnerstagsdemos in Wien.

Wir protestieren nicht nur gegen das Wahlergebnis, sondern gegen den Rechtsruck, Sexismus und Rassismus in der Gesellschaft.
Alisa

Der Protest gegen die Regierung entstand aus einer Gruppe von Freund*innen. Im Kernteam sind in etwa 20 Menschen. Keine Partei, kein Verein steht dahinter– Unabhängigkeit ist ihnen wichtig. Als in Österreich nach der Nationalratswahl die Regierung zwischen der rechtskonservativen ÖVP und der rechtsextremen FPÖ angelobt wurde, wünschte sich Alisa, dass die Donnerstagsdemos wieder aufgeweckt werden. "Ich hab damals darauf gewartet, dass es jemand gründet und ich mitdemonstrieren kann", erklärt die 21-jährige Physikstudentin und lacht. Doch dann fragte Laura, ob sie nicht mitorganisieren wolle.

"Wir protestieren nicht nur gegen das Wahlergebnis, sondern gegen den Rechtsruck, Sexismus und Rassismus in der Gesellschaft", erklärt Alisa. Wenn sie die Regierung kritisiert, erzählt sie automatisch auch ihre persönliche Geschichte. Mit 12 Jahren kam Alisa mit ihrer Familie aus Russland nach Österreich. Sie konnte kein Wort Deutsch, kam in eine Klasse, die sie willkommenhieß. "Ich hatte wahnsinniges Glück, ich wurde nicht diskriminiert und lernte schnell gemeinsam mit meinen Mitschüler*innen Deutsch." Die Regierung hat unter anderem isolierte Deutschklassen in Österreich eingeführt, in denen nur Geflüchtete und Menschen mit Migrationsgeschichte sitzen. "In so einer Klasse hätte ich nie Deutsch gelernt!"

Tradition der Donnerstagsdemo

Diese Art der Demonstration hat in Österreich Tradition. Ab Februar 2000 gingen die Menschen wöchentlich für Protestkundgebungen gegen die ÖVP-FPÖ-Regierung auf die Straße. Bei der Nationalratswahl 1999 hatte die FPÖ unter Jörg Haider den zweiten Platz erreicht, die drittplatzierte ÖVP stellte mit Wolfgang Schüssel den Kanzler. Anfangs wurde täglich demonstriert, später dann immer donnerstags, mit Tausenden Teilnehmer*innen. Ganz Europa war damals vom Rechtsruck geschockt und blickte besorgt auf das kleine Land der Alpen. Das sei mitunter auch der größte Unterschied zwischen den Donnerstagsdemos damals und heute, sagt die 22-jährige Laura, die Umwelt- und Bioressourcenmanagement studiert: "Es gibt keine Empörung mehr, weil in vielen europäischen Ländern Rechtspopulist*innen an die Macht kommen." Das ist für die beiden aber kein Grund, den Rechtsruck zu akzeptieren. Sie waren damals bei den ersten Donnerstagsdemos gerade mal drei und vier Jahre alt, heute stehen sie selbst auf der Straße.

Die Donnerstagsdemo bringt den Menschen Hoffnung. Das brauchen wir in den heutigen Zeiten des Rechtspopulismus.
Alisa

Omas und Opas gegen Rechts

Junge und alte Menschen sind gemeinsam auf der Straße. Auch dabei sind die Omas gegen Rechts, eine zivilgesellschaftliche überparteiliche Initiative. "Mit augenfälliger Symbolik erheben ältere Frauen, sogenannte Omas, ihre Stimme zu den gefährlichen Problemen und Fragestellungen der heutigen Zeit", erklären sie auf ihrer Seite. Sie tragen selbstgestrickte Hauben und Schilder. Vereinzelt sind auch Senioren zu sehen, auf deren Schildern "Opa gegen Rechts" geschrieben steht. Die 61-jährige Elisabeth ist eine von den Omas gegen Rechts. Sie sagt zu ze.tt: "Ich halte die Politik der österreichischen Regierung für eine Katastrophe. Man spart bei den Ärmsten, streicht Deutschkurse und Kindergeld. Die einzige Möglichkeit für mich etwas zu ändern, ist auf die Demo zu gehen." Darum demonstriere sie jede Woche gemeinsam mit den Omas gegen Rechts auf den Straßen Wiens. Ja, und sie sei auch wirklich Oma, sagt sie und lacht. Viele junge Menschen, aber auch Familien begleiten die Demo an diesem Tag durch die Innenstadt von Wien. Sie läuten Fahrradglocken, pfeifen in Trillerpfeifen, schwenken Kuhglocken und singen "Basti, ciao, ciao, ciao".

Kritik an der Demo

Der Handelsverband kritisierte die Demonstrationen in Wien mehrmals, sie seien schlecht für die Wirtschaft. Er schlägt eine eigene Schutzzone dafür vor. Der Politikwissenschafter Peter Filzmaier sieht die Herausforderung des Protests in der nötigen Ausdauer und dem fehlenden Ziel: "Die nächste Wahl ist voraussichtlich vier Jahre entfernt." Laura und Alisa sehen die Schwäche der Donnerstagsdemo woanders: "Wir müssen noch besser kommunizieren, um raus aus unserer Bubble zu kommen. Wir wollen Menschen zum Nachdenken bringen, die politisch anders denken", sagt Laura. Zum Teil würde das durch die Aufmerksamkeit auf den Straßen auch funktionieren, da sie immer wieder Menschen ansprechen würden. Laut ihnen müsste aber die Hälfte der Bevölkerung, die ihre Stimme nicht der rechtskonservativen Regierung gegeben hat, hier mit ihnen auf der Straße stehen.

Das gelingt bisher noch nicht. An diesem Donnerstag im Feburar sind laut Veranstalter*innen 3.000 Menschen auf der Straße. Fragt man die Polizei, waren es 1.500. Den Österreicher*innen wird nachgesagt, dass sie demonstrationsfaul seien und sich nicht auf die Straße bewegen würden, außer man nehme ihnen ihr Schnitzel. Die Menschen, die jede Woche am Donnerstag auf die Straße gehen, beweisen das Gegenteil. "Ich bin kein Messias, der Österreich retten will. Die Motivation die Demos zu organisieren kommt daher, dass ich das selbst brauche, weil ich sonst verzweifle. Die Donnerstage geben mir Kraft und Hoffnung", so Alisa.

"Was geht mit Österreich?" Mit dieser Frage beschäftigt sich unsere Korrespondentin und Exil-Österreicherin Eva Reisinger in ihrer Serie. Sie lebt halb in Berlin und halb in Wien und erzählt euch, was ihr jeden Monat über Österreich mitbekommen müsst, worüber das Land streitet oder was typisch österreichisch ist. Wenn du unseren Österreich-Newsletter abonnierst, bekommst du ihn alle zwei Wochen in dein Postfach.