Auf dem Instagram-Weihnachtsmarkt, der Clubtoilette oder im Gemüseladen ‒ die Bauchtasche ist überall. Eine Glosse
Es kommt alles wieder, hat Muddi immer gesagt. Angesichts katastrophaler Fehlentwicklungen in der Vergangenheit – ich sage nur Cordschlaghosen, Plateausneaker und Krepphaare – konnte die Menschheit nur inständig beten, dass sich dieses Sprichwort nicht allzu oft bewahrheitet.
Doch die urbane Bohème hat vermutlich ein altes Bravo-Heft mit einer Tattooketten-Extrabeilage gefunden, und nun ist ein vergessen gehofftes Accessoire wieder zurück: die Bauchtasche; je nach Breitengrad auch Bauchbeutel, Gürteltasche, Fanny Pack oder Wimmerl genannt. Es folgt eine Typologie, die versucht, Interessierten eine Übersicht über die Bauchtaschenszene zu verschaffen.
Der*die Blogger*in
Natürlicher Lebensraum: Instagram-Weihnachtsmärkte
Hobbys: jeden Tag ein Foto für Insti mit neuen Nike-Schuhen schießen
Beruf: stellt Fotos von sich ins Internet und nennt es Beruf
Trägt den Bauchbeutel, weil: alle auf Instagram das machen
Bauchbeutel-Tragetechnik: hoch um die Hüfte geschnallt, wie eine Art Gürtel
Immer im Bauchbeutel mit dabei: Detox-Chai-Smoothie-irgendwas-Hauptsache-Teuer, Papas Kreditkarte
Kombiniert den Bauchbeutel mit: einem Outfit, mit dem er*sie es hoffentlich unter der Rubrik Street Style in die Brigitte schafft
Sagt Sätze wie: "Meinst du, es ist okay, wenn ich heute mehr als zwei Fotos poste?"
Der*die Raver*in
Natürlicher Lebensraum: Toiletten-nah in der elektronischen Clublandschaft
Hobbys: Kaugummi kauen
Beruf: Künstler*in (Codewort für arbeitslos), was mit Medien oder Junior Creative Assistant bei Zalando
Trägt den Bauchbeutel, weil: Hände frei zum Lines bauen
Bauchbeutel-Tragetechnik: quer über die Brust, Tasche nach vorn
Immer im Bauchbeutel mit dabei: Drogen, angeranzte Karte, iPhone X mit weißen Pulverresten auf dem Bildschirm, Glitzer
Kombiniert den Bauchbeutel mit: Sporthosen, Nasenpiercing, weißblondierten Haaren, Cap
Sagt Sätze wie: "Lass ballern heute."
Der*die Drogendealer*in
Natürlicher Lebensraum: Toiletten-nah in der elektronischen Clublandschaft
Hobbys: Fifa, Kopfrechnen
Beruf: verkauft Drogen, um sich das Taschengeld ein bisschen aufzubessern (Job mit guter Schule-Work-Balance)
Trägt den Bauchbeutel, weil: man ihn*sie dadurch als Drogendealer*in erkennt. Der Drogendealer*innen-Bauchbeutel könnte jedoch bald aussterben. Grund dafür ist die gefährliche Entwicklung des männlichen Raver-Modegeschmacks. Vielleicht gibt es schon den ersten Ratgeber
Drogendealer*innen-Style for Dummies. Jedenfalls verschwimmen die optischen Grenzen zwischen Drogenverkäufer*innen und -konsument*innen zunehmend. Das Erkennungszeichen (Bauchbeutel = Ich verkaufe Drogen) ist nicht mehr universell gültig. Vielleicht gehen die Drogendealer*innen
back to the roots und laufen demnächst mit Fjällräven-Rucksäcken im Club rum (Anm. d. Autorin: Eine ausführliche theoretische Abhandlung dazu folgt).
Bauchbeutel-Tragetechnik: quer über die Brust
Immer im Bauchbeutel mit dabei: Drogen, Präzisionswaage, Nokia 3310
Kombiniert den Bauchbeutel mit: Caps, Sporthosen
Sagt Sätze wie: "Zehn Euro ein Teil."
Der*die Linksradikale
Natürlicher Lebensraum: besetzte Gebäude, Universitäten, Demos
Hobbys: G20, Plenum
Beruf: Student*in oder Punkmusiker*in
Trägt den Bauchbeutel, weil: Mülltonnen teilweise recht schwer umzukippen sind, häufig werden beide Hände benötigt
Bauchbeutel-Tragetechnik: tief um die Hüfte geschnallt, der Beutel sitzt über der rechten Pobacke. Angst, dass was geklaut wird, muss er*sie aus Mangel an Klaubarem nicht haben.
Immer im Bauchbeutel mit dabei: Karl Marx als Taschenbuch, Flyer für irgendeine Demo
Kombiniert den Bauchbeutel mit: North-Face-Jacke, Karabinerhaken mit Schlüsselkette
Sagt Sätze wie: "Wie, du weißt nicht, was eine doppelt quotierte Redner-[Kunstpause] INNEN-Liste ist?"
Hippie
Natürlicher Lebensraum: draußen
Hobbys: Diabolo, Hoola Hoop, Vollmondzeremonien
Beruf: Beruf?
Trägt den Bauchbeutel, weil: man dann die Hände frei hat, um zu jonglieren, die Vibes zu spüren oder so richtig auf den Goa-Rave abzugehen
Bauchbeutel-Tragetechnik: Hauptsache locker um die Hüfte geschnallt, die Position des Bauchbeutels kann von Hippie zu Hippie variieren
Immer im Bauchbeutel mit dabei: diverse rauchbare Konsumgüter, Energiestein
Kombiniert den Bauchbeutel mit: Reiserucksäcken, Pluderhosen, Rastas
Sagt Sätze wie: "Das ist ein Energiebild, das ich letzten Vollmond mit meinem Menstruationsblut gemalt habe."
Sabine und Heinz im Urlaub
Natürlicher Lebensraum: Kleingartenverein
Hobbys: Bierbauch sonnen, Kreuzworträtsel
Beruf: Fischwarenfachverkaufende
Tragen den Bauchbeutel, weil: man so direkt als deutsche*r Tourist*in erkannt wird und es Einwohner*innen leichter macht, zu erkennen, bei wem sich Taschendiebstahl rentiert
Bauchbeutel-Tragetechnik: vorne um den Bauch
Immer im Bauchbeutel mit dabei: Postkarten für Oma, Sandra und Sebastian
Kombinieren den Bauchbeutel mit: Socken, Sandalen, Sonnenbrand
Sagen Sätze wie: "Sabine, kannst du mir noch ein Bier mitbringen?"
Die Mutti
Natürlicher Lebensraum: Supermarkt
Hobbys: Tatort, Bücher von Caroline Link, mittags Kuchen
Beruf: variiert
Trägt den Bauchbeutel, weil: man beim Einkaufen so schnell ans Geld kommt und nicht erst aufwändig in Taschen oder Rucksäcken rumkramen muss
Bauchbeutel-Tragetechnik: vorne um den Bauch
Immer im Bauchbeutel mit dabei: Taschentücher, Labello
Kombiniert den Bauchbeutel mit: Funktionskleidung
Sagt Sätze wie: "Und noch fünf Tomaten bitte."
Gemüsehändler*in
Natürlicher Lebensraum: Gemüsehandel
Hobbys: Hierzu liegen nur wenige empirische Kenntnisse vor
Beruf: Gemüsehändler*in
Trägt den Bauchbeutel, weil: man so die Hände frei hat, um Gemüse abzuwiegen
Bauchbeutel-Tragetechnik: vorne um den Bauch
Kombiniert den Bauchbeutel mit: dicken Socken und Wollpullis
Sagt Sätze wie: "Drei fuffzich bidde."
Auf dem Instagram-Weihnachtsmarkt, der Clubtoilette oder im Gemüseladen ‒ die Bauchtasche ist überall. Eine Glosse
Es kommt alles wieder, hat Muddi immer gesagt. Angesichts katastrophaler Fehlentwicklungen in der Vergangenheit – ich sage nur Cordschlaghosen, Plateausneaker und Krepphaare – konnte die Menschheit nur inständig beten, dass sich dieses Sprichwort nicht allzu oft bewahrheitet.
Doch die urbane Bohème hat vermutlich ein altes Bravo-Heft mit einer Tattooketten-Extrabeilage gefunden, und nun ist ein vergessen gehofftes Accessoire wieder zurück: die Bauchtasche; je nach Breitengrad auch Bauchbeutel, Gürteltasche, Fanny Pack oder Wimmerl genannt. Es folgt eine Typologie, die versucht, Interessierten eine Übersicht über die Bauchtaschenszene zu verschaffen.