Mohammed ist 14 Jahre alt, als er unschuldig verhaftet und in das US-Gefangenenlager auf Kuba gebracht wird. Gewalt und Folter prägen den Alltag des Jugendlichen.

Die Sonne knallt über der saudi-arabischen Stadt Medina. "Gebetskette, Pilgerteppiche, Wasserflaschen!", ruft Mohammed durch einen Bus. Nachdem sein Vater erkrankt ist, unterstützt der Zehnjährige seine Familie als Straßenhändler. "Mach schon, Sklave!", raunt ihm der Busfahrer zu. Schon früh bekommt Mohammed als Sohn von tschadischen Migrant*innen in Saudi-Arabien Rassismus zu spüren. Als Nicht-Saudi wird er angefeindet und hat Schwierigkeiten damit, einen Schulplatz zu finden. Auch sein Wunsch, Zahnarzt zu werden, scheint unter diesen Bedingungen nichts weiter als eine unrealistische Träumerei zu sein. Schließlich darf er als nicht-saudischer Staatsbürger keine Universität besuchen.

Mit etwa 14 Jahren entschließt sich Mohammed dazu, das Angebot eines Freundes anzunehmen und für sechs Monate zu dessen Onkel nach Pakistan zu ziehen. Dort will er Englisch- und Informatik-Stunden nehmen, um in Medina einen Reparaturenshop für Computer eröffnen zu können.

"Dieser falsche Name war der Anfang meiner Probleme"

Um als Minderjähriger allein nach Pakistan reisen zu können, benötigt Mohammed einen gefälschten Pass. Gegen Geld stellt ihm die tschadische Botschaft einen aus und macht aus dem 14-jährigen Mohammed el Gharani den 18-jährigen Yousef Abakir Saleh. "Dieser falsche Name war der Anfang meiner Probleme mit den Amerikanern", sagt Mohammed in der Graphic Novel. "Aber in dem Moment konnte ich das noch nicht wissen."

Die Graphic Novel Guantanamo Kid von Jérôme Tubiana und Alexandre Franc basiert auf einer wahren Geschichte. Auf der Geschichte von Mohammed, die zu diesem Zeitpunkt ihren tragischen Lauf nimmt – und ihn in das berüchtigte US-Gefangenenlager Guantanamo Bay auf Kuba bringt. Der französische Journalist Jérôme Tubiana gilt als Spezialist für die Sahararegion um den Tschad und das Horn Afrikas (Sudan, Südsudan). Über mehrere Jahre trifft er sich mit Mohammed, um gemeinsam dessen Erlebnisse in Guantanamo aufzuarbeiten.

In Pakistan lernt er fleißig und besucht als gläubiger Muslim regelmäßig die Moschee. Während seines Aufenthaltes in Pakistan fliegen zwei Flugzeuge in das World Trade Center in New York City. Große Aufmerksamkeit schenkt Mohammed den Terroranschlägen des 11. Septembers 2001 nicht.

Eines Tages wird Mohammed nach dem Freitagsgebet in einer benachbarten Moschee verhaftet. Dem damals 14-Jährigen werden angebliche Verbindungen zu Al-Qaida und einer verborgenen Terrorzelle vorgeworfen.

Gewalt und Folter an der Tagesordnung

Die pakistanische Regierung verkauft Mohammed und andere Häftlinge für 5.000 Dollar pro Kopf an die US-amerikanische Regierung. Über Afghanistan werden die Inhaftierten in das Gefängnis des US-Stützpunktes Guantanamo Bay auf Kuba gebracht.

Obwohl Mohammed erst 14 Jahre alt ist, wird er nicht anders als die volljährigen Insassen des Gefangenenlagers behandelt. Körperliche und psychische Folter bestimmen seinen Alltag. Die Wärter*innen drücken auf seiner Haut Zigarettenstummel aus, schlagen ihn oft brutal zusammen und foltern ihn mit Elektroschocks.

Auch werden die Guantanamo-Insassen ihrer Grundrechte beraubt, indem ihnen der Freigang im Hof sowie der Zugang zu Duschen, Ärzt*innen und Anwält*innen verwehrt wird. Mohammed versucht, sich gegen die Schikanen der Wärter*innen zu wehren. Er wird die treibende Kraft hinter vielen Aufständen. "Wir müssen […] zusammenstehen und kämpfen, wenn auch nur für etwas Freiheit", fordert er von seinen Mitgefangenen. Gemeinsam treten sie in Hungerstreiks, um eine Verbesserung der Haftbedingungen in Guantanamo auszuhandeln. Manchmal haben sie Erfolg, manchmal nicht. Dann werden sie nur härter bestraft.

Acht Jahre sitzt Mohammed im Gefangenenlager auf Kuba ein, bis sein Fall vor einem Gericht verhandelt und seine Unschuld anerkannt wird.

Mohammed ist überrascht vom Unwissen des Autors

Die Graphic Novel und Mohammeds Kampf um Freiheit enden aber nicht mit seiner Entlassung. Saudi-Arabien weigert sich, ihn wieder aufzunehmen. Mohammed bleibt nichts anderes übrig, als in den Tschad zu gehen. Dort wird er wieder unschuldig inhaftiert und verfolgt.

"Es war nicht leicht, den Kontakt zu Mohammed herzustellen, da er unter Beobachtung der tschadischen und der amerikanischen Regierung steht", sagt Jérôme Tubiana, einer der Autoren der Graphic Novel, im Gespräch mit ze.tt. Mohammeds Anwälte halfen Tubiana dabei, Mohammed ausfindig zu machen. Der französische Journalist beschreibt den ehemaligen Guantanamo-Insassen als komplexe Persönlichkeit und ist beeindruckt von seiner Stärke und Entschlossenheit, selbst in aussichtslosen Situationen für seine Rechte zu kämpfen. "Ich wusste nicht viel über Guantanamo, was Mohammed überraschte. Er begriff, dass der Öffentlichkeit gegenüber kaum Informationen über das Gefängnis preisgegeben wurden", sagt Tubiana. 

Mohammed erzählte Tubiana von seinem Schicksal und den menschenrechtsverachtenden Zuständen in Guantanamo. Dabei wäre es ihm

um viel mehr gegangen, als den Menschen lediglich von seinem persönlichen Schicksal zu berichten. "Mohammed wollte seine Geschichte erzählen, um auch den 40 noch in Guantanamo inhaftierten Insassen bei ihrer Freilassung zu helfen", sagt Tubiana.

Die Graphic Novel Guantanamo Kid - Die wahre Geschichte des Mohammed el Gharani erscheint am 28. Mai 2019 im Carlsen-Verlag.