Seit 21 Jahren leitet Christian Koch die Krimibuchhandlung Hammett in Berlin-Kreuzberg. Rund 7.000 Bücher hat er in seinem 35 Quadratmeter großen Laden stehen. Natürlich hat er nicht alle gelesen – aber viele. "Ich lese pro Woche zwei Krimis", sagt er. Für ze.tt stellt er einmal im Monat seine drei liebsten Neuerscheinungen vor.

Romy Hausmann: Marta schläft

Worum geht es?

Nadja hat eine lange Gefängnisstrafe wegen Mordes verbüßt. All die Jahre hat sie sich für unschuldig erklärt. Ausgerechnet sie wird von einer alten Freundin um Hilfe bei der Vertuschung eines Verbrechens angefleht. Polen, der mystische Spreewald und Berlin bilden die Kulisse des Psychothrillers. Kann Schuld je beglichen werden?

Wer hat es geschrieben?

Romy Hausmann, Jahrgang 1981, hat Anfang 2019 mit Liebes Kind den Überraschungscoup für das erfolgreichste Debüt abgeliefert. Bis heute mehr als 200.000 verkaufte Bücher, die Verfilmung steht an, die Buchrechte sind in 15 Länder verkauft und ihr Erstling ist in mehrere Sprachen übersetzt. So etwas passiert weniger als einmal pro Jahr auf dem deutschen Buchmarkt.

Wie hab ich mich beim Lesen gefühlt?

Beim Lesen rebelliert dein Verstand und das Gefühl eines abstürzenden Fahrstuhls kriegst du gratis dazu. Pageturner pur! Marta schläft ist so intensiv wie die gerade beste Serie auf Netflix, nur eben mit mehr Thrill und Wendungen gesegnet.

Warum dieses Buch in diesen besonderen Zeiten?

Jetzt gerade ist noch die Zeit für: Lesen in einem langen Rutsch. Die vielen Figuren sind, genauso wie die Anzahl von Handlungssträngen, nichts für am Abend mal eben 20 Seiten lesen.

Wie viele Punkte?

8 von 10.

Sara Paretsky: Altlasten

Worum geht es?

Nahe der Collegestadt Lawrence erinnert ein alter Raketensilo an die Zeit des Kalten Kriegs. Früher gab es dagegen heftige Proteste, heute ist das alles längst vergessen. Aber warum gibt es plötzlich Vermisste und sogar Tote, als jemand eine Doku drehen will?

Wer hat es geschrieben?

Seit 38 Jahren schickt Sara Paretsky ihre Detektivin V. I. Warshawski bereits ins Rennen – aber hier ist nix mit angestaubter Routine oder müdem Lächeln über das übliche Seriengedudel. Politisch, kämpferisch und zutiefst menschlich bildet V. I. Warshawski einen Kontrapunkt zum so oft gelesenen männlichen, einsamen Wolf. Definitiv die empathischste Ermittlerin im Genre.

Wie habe ich mich beim Lesen gefühlt?

Altlasten ist auch eine kleine Zeitreise in die 80er. Die Ära der Cruise-Missiles und der Proteste dagegen. Aber eben auch zeitlos aufgrund des versteinerten Rassismus, der bis heute vorhanden ist.

Warum dieses Buch in diesen besonderen Zeiten?

Die Story, die Personen, die politische Aktualität, der Humor – hier stimmt exakt alles. Vom Genrehandwerk her einer der besten Kriminalromane des Jahres.

Wie viele Punkte?

9 von 10 Punkten.

Katherine Faw: Young God

Worum geht es?

Durch einen Unfall verliert Nikki ihre Mutter, verbringt kurze Zeit mit deren dealendem Freund und sucht schließlich ihren gerade aus dem Gefängnis entlassenen Vater auf. Territorien müssen neu abgesteckt, Machtverhältnisse geklärt werden. Nikki ist 13, tough und so ziemlich alles, nur kein Opfer.

Wer hat es geschrieben?

Katherine Faw lebt in New York, ist 36 Jahre jung und hat nach Young God mit Ultraluminous ihren zweiten Roman herausgebracht. Der New Yorker hält sie für eine der wichtigsten neuen Autorinnen. Sie verfasst bisher vor allem Kurzgeschichten und legt sich sehr bewusst auf kein Genre fest.

Wie hab ich mich beim Lesen gefühlt?

Ein Roman wie ein guter Punksong! Laut, rau, schnell. Nikkis ungezügelte Wut haut dich um und lässt dich plötzlich wieder ganz jung aussehen.

Warum dieses Buch in diesen besonderen Zeiten?

Nikki fegt mit irrwitzigem Tempo durch Young God und kickt die Opferrolle des jungen Mädchens ganz weit weg. Young God macht auf jeder der kurzen 230 Seiten Mut. Zeit zum Denken ist etwas für Verlierer*innen. Du hast keine Chance, also nutze sie!

Wie viele Punkte?

7 von 10.