Seit 21 Jahren leitet Christian Koch die Krimibuchhandlung Hammett in Berlin-Kreuzberg. Rund 7.000 Bücher hat er in seinem 35 Quadratmeter großen Laden stehen. Natürlich hat er nicht alle gelesen – aber viele. "Ich lese pro Woche zwei Krimis", sagt er. Für ze.tt stellt er einmal im Monat seine drei liebsten Neuerscheinungen vor.

Marcie Randon: Stadt, Land, Raub

Worum geht es?

Fargo, Anfang der 1970er-Jahre: Die junge Native-American-Landarbeiterin Cash geht jetzt aufs College – und dann auf die Suche nach mehreren verschwundenen Mädchen, deren Spur in die Stadt Minneapolis führt. Dort, wo das Verbrechen andere Züge trägt als bei ihr zu Hause im Red River Valley. Cash ist eine traumhafte Hardboiled-Protagonistin: einfach cool, meist wortkarg, schlicht, tough und absolut instinktsicher.

Wer hat es geschrieben?

Marcie Rendon, 1952 geboren, ist Stammesangehörige der Anishinabe White Earth Nation, Dichterin, Stückeschreiberin und Performancekünstlerin, engagiert sich als kulturpolitische Aktivistin, kuratiert indigene Künstler*innenförderung, schreibt Sach- und Geschichtsbücher für Kinder, hält Schreibkurse in Gefängnissen ab und unterstützt indigene und mexikanische Nachwuchskunst. Sie hat bisher zwei Kriminalromane um de Protagonistin Cash geschrieben.

Wie habe ich mich beim Lesen gefühlt?

Dieser, der der zweite Roman um Cash ist, war mein erster. Das Debüt Am roten Fluss ist mir bisher durch die Lappen gegangen. Macht aber nix, ich habe nur manchmal Hinweise auf einen Vorgängerroman bemerkt, dies aber nicht wirklich entscheidend. Mit Cash möchte man einfach mehr Zeit verbringen, mit ihr Pool spielen, ihr zuhören und mehr über sie erfahren.

Die Geschichte der Native-American-Frauen in den USA und Kanada wird neben dem Krimiplot ausgebreitet und sie sind verdammt ernst und nahegehend. Mehr dazu gibt es im Anhang der Autorin am Ende des Buches.

Was macht dieses Buch besonders?

Das Porträt der USA aus Sicht einer einzelgängerischen jungen Native American ist historisch dicht, so lakonisch wie illusionslos, mit einem leisen und doch extrem rebellischen Humor. Mehr davon!

Wie viele Punkte?

9 von 10.

Emma Flint: In der Hitze eines Sommers

Worum geht es?

Sommer 1965, in den Straßen New Yorks flimmert die Hitze. Eines Morgens findet die alleinerziehende Ruth Malone das Zimmer ihrer beiden kleinen Kinder leer vor, das Fenster steht offen. Schnell wird Ruths eigenwilliger Lebensstil – die provokante Kleidung, das stets perfekt geschminkte Gesicht, diverse Kontakte zu Männern – ihr zum Verhängnis. Angeheizt durch Gerüchte aus der Nachbarschaft, ermittelt die Polizei von Beginn an nur in eine Richtung.

Auch der Reporter Pete Wonicke, für den der Fall die erste große Story ist, verurteilt Ruth zunächst. Doch je länger er recherchiert, desto klarer sieht er die Manipulation vonseiten der Presse und vor allem die frauenverachtenden Machenschaften der durchgehend männlich besetzten Polizei.

Wer hat es geschrieben?

Die in England geborene und auch heute dort lebende Autorin hat sich bereits als Kind fürs Schreiben begeistert. Seitdem liest Emma Flint auch Berichte über reale Verbrechen; so entstand ihr enormes Wissen über True Crime verschiedenster Epochen. Sie selbst sagt, dass sie dabei eine Faszination für unkonventionelle Frauen – vergangene, gegenwärtige und sogar fiktive – entwickelte.

Wie habe ich mich beim Lesen gefühlt?

Die 1960er-Jahre gelten als eine Zeit des Aufbruchs, sie waren aber eben auch eine Dekade durchsetzt von Spießertum und verlogener Moral. Auch wenn diese Zeitspanne ein Jahrzehnt vor meiner eigenen Jugend stand, ich fühlte mich beim Lesen in das New York beziehungsweise Amerika dieser Zeit versetzt. Und natürlich zog ich beim Lesen Vergleiche: Ist es heutzutage so viel einfacher, sein Leben zu leben?

Was macht dieses Buch besonders?

Eine Zeitreise in eine andere Welt, auch wenn die Story vor nur gut 50 Jahren spielt. Dazu ein beeindruckendes Debüt und zudem noch auf einer wahren Geschichte basierend. Famos!

Wie viele Punkte?

8 von 10 Punkten.

Un-Su Kim: Heißes Blut

Worum geht es?

In der südkoreanischen Hafenstadt Busan herrscht das Verbrechen. Auch Huisu gehört zu dieser besonderen Welt. Seit zwanzig Jahren erledigt er für Vater Son, den Kopf von Busans Unterwelt, die Drecksarbeit. Von Bestechung über Schmuggelei bis hin zum Auftragsmord – Huisu hat fast alles in seinem Repertoire. Doch seine Loyalität wird nicht wirklich belohnt, und so fristet Huisu ein eher trostloses Leben im Schatten des übermächtigen Vaters Son. Sein Traum von einem bürgerlichen Leben zusammen mit der Prostituierten Insuk scheint unerreichbar, aber dann kommt das reizvolle Angebot eines aufstrebenden Gangsters, ein eigenes großes Glücksspielgeschäft aufzuziehen.

Wer hat es geschrieben?

Un-Su Kim kam 1972 auf diese Welt. Er hat vier Romane veröffentlicht, zwei davon gibt es bisher in deutscher Übersetzung. In Südkorea und Frankreich ist er ein Star der Krimiszene, hier eher noch ein Geheimtipp. Ansonsten ist über sein privates Leben angenehm wenig bekannt.

Wie habe ich mich beim Lesen gefühlt?

Ich habe viel Neues über ein mir ziemlich unbekanntes Land erfahren, gleichzeitig aber auch viele Parallelen zum Gangsterkrimi aus den USA oder Europa gefunden. Das Eintauchen in diesen Kosmos des Verbrechens hat mir Un-Su Kim mit seinem filmischen Schreibstil ziemlich einfach gemacht. So dominant die Figur von Huisu im Roman auch ist, die Vielschichtigkeit seiner Figur macht das Lesen zum Reiseführer in eine andere Welt.

Was macht dieses Buch besonders?

Genreliteratur aus Südkorea ist schon mal selten in deutscher Übersetzung zu finden. Auch wenn Heißes Blut vom Plot her oft an die frühen und überdrehten Filme von Tarantino erinnert, werden fast nebenbei die letzten 100 Jahre Geschichte Südkoreas mit in die Story eingewoben. Eine rasante Art, um Vergangenheit fernab von langweiligen Schulbüchern zu erzählen.

Wie viele Punkte?

8 von 10.