"Hörst du das? Wie der Wald uns begrüßt?", fragt mich Sebastian Polmans. Er hat mich mitgenommen auf einen Spaziergang durch den Groenewoud, einen Wald in Swalmen direkt hinter der deutschen Grenze. Der Schriftsteller wohnt in einem Dorf am linken Niederrhein in unmittelbarer Nähe zu den Niederlanden. Ich schaue mich um und meine hier und da menschliche Züge in den Bäumen erkennen zu können: Baumrinde, die Augen formt, Ästchen, die wie Wimpern wirken, oder Äste, die sich wie Arme zu einer Umarmung öffnen. Aber ich muss zugeben, hören tue ich nichts. Polmans hingegen hört eine innere Stimme, die sagt: "Hey, toll, dass du wieder da bist." Er hört die Stimme des Waldes. Polmans sei einige Zeit nicht mehr hier gewesen. Deswegen freue sich der Wald. Das Wiedersehen mit dem Wald fühle sich wie das Wiedersehen mit einem*r guten alten Freund*in an, erklärt er mir. Er habe ein kribbelndes Gefühl im Magen: "Ich spüre diese gegenseitige Freude." In seinen Gummistiefeln stapft der große, dünne Mann euphorisch los.

Polmans empfindet die gesamte Natur als beseelt

Es ist ein wunderschöner Wintertag im Dezember. Die Sonne strahlt durch die nackten Baumwipfel. Wir gehen einen matschigen Pfad entlang, der uns entlang führt am Ufer der Schwalm, einem Fluss, der sich hier durch den Wald und die wilden Wiesen schlängelt. Polmans ist sichtbar glücklich. Die Sonnenstrahlen reflektieren auf dem Wasser des Flusses, das an einigen Stellen zu wirbeln beginnt. "Hier sind viele Elfen, weil das Wasser hier so etwas Tänzerisches hat", erzählt Polmans. Für den Schriftsteller ist die gesamte Natur beseelt. Überall im Wald nimmt er Naturwesen wie Elfen wahr, die ihm anzeigen, wie es dem Wald und der Natur geht. Denn Orte, wo der Mensch die Natur zerstöre, würden von den Elfen gemieden. "Dann gehen die wirklich weg", erzählt er mir. Aber hier über dem Wasser der Schwalm sieht Polmans die Elfen fröhlich tanzen.

Die Erde und die Natur haben auch Schmerzen.
Sebastian Polmans

Wir setzen unseren Spaziergang fort und gelangen schließlich an einen Ort im Groenewoud, der für Polmans eine besondere Bedeutung hat – einer kleinen Lichtung, auf der drei alte dicke Bäume ein Dreieck bilden. "Hier ist eine richtig schöne Stelle. Hier ist nochmal eine spezielle Power. Ich kriege Gänsehaut, wenn ich hier stehe", sagt Polmans. Aber irgendetwas stimmt heute nicht und ist anders als an anderen Tagen: Die Elfen sind weg. Polmans entdeckt zwischen dem nassen Laub einige Abfälle: Ein Taschentuch, eine Plastikflasche und einige vorzeitig abgeschossene Silvesterknaller samt Verpackungsmüll. Polmans wird traurig: "Der Wald verstopft mit solchem Müll. Die Natur ist total verwundbar." Polmans bückt sich und sammelt den Müll ein. Es sieht fast aus, als ob er die Wunde eines Menschen versorgen würde.

Haben wir das Mitgefühl mit der Erde und der Natur verlernt?

"Die Erde hat auch ein Bewusstsein und Gefühle", erklärt mir der Schriftsteller, als wir weitergehen. Er ist nachdenklich geworden. "Die Erde und die Natur haben auch Schmerzen", sagt er. Wann immer die Natur kaputt gemacht und zerstört wird, tut Polmans das weh. Ihm kommt als Beispiel der Braunkohletagebau Hambach, der einige Kilometer entfernt stattfindet, in den Sinn: "Wenn ich sehe, wie die Erde so aufgerissen wird, dann muss ich weinen. Dann wird mir auch schlecht. Ich kann das gar nicht aushalten." Das erinnert an die Klimaaktivistin Greta Thunberg aus Schweden, die über ihren Besuch des Braunkohletagebaus Hambach sagte: "Es war so gewaltig, so verheerend und es macht mich irgendwie traurig." Dieses Mitgefühl mit der Erde und der Natur hätten viele Menschen verlernt oder vergessen, findet Polmans.

Alle Menschen sind Teil der Natur

Er ist auch schon bei den Fridays-for-Future-Protesten in der Nachbargemeinde Brüggen mitgelaufen und schätzt, wie sehr sich Greta Thunberg und andere Jugendliche von den Notständen der Umwelt berühren lassen. Allerdings findet Polmans, dass es im Engagement für unseren Planeten neben klarer Kritik und Forderungen an Wirtschaft und Politik auch einer Ansprache ans Herz der Menschen bedürfe. Denn schließlich seien ja alle Menschen, auch die sogenannten Kilmasünder*innen, Teil der Natur: "Wenn ein Mensch die Natur zerstört, dann ist er für mich immer noch Teil der Natur. Dann ist es nur so, dass dieser Mensch dieses Einheitsgefühl verloren hat."

Liebesbriefe an die Erde

Die Menschen daran zu erinnern, dass sie alle Teil der Natur sind, und wieder in Verbindung mit der Natur zu bringen, ist ein zentrales Anliegen Polmans. Denn er ist sich sicher: "Wenn die Menschen wieder fühlen würden, dass sie Teil der Natur sind, würden sie freundschaftlich mit ihrer Umwelt leben." Ein Schlüssel zur besseren Umweltpolitik liegt für Polmans im Mitgefühl mit Erde und Natur – mit Pflanzen, Tieren und Menschen. Sein jüngstes Werk ist der Gedichtband Die Tulpe lädt zum Riechen ein mit Illustrationen und Gedichten zur Natur.

Wie der Autor mich auf einen Spaziergang durch den Groenewoud mitnimmt, lädt er auch seine Leser*innen zu einem Streifzug durch die Natur ein, der im Garten zu Hause und im Wald vor der Haustür beginnt, sich zu einer Weltreise durch die Ozeane und Regenwälder unseres Planeten entwickelt und am Südpol bei den Pinguinen endet. Das letzte Gedicht im Buch ist ein Liebesgedicht an die Erde. Auch die Leser*innen werden eingeladen, einen Liebesbrief an die Erde zu schreiben. So haben sie die Möglichkeit, eine emotionale Verbindung zur Erde und zur Natur einzugehen. Polmans Buch ist eine Einladung zur Empathie mit der Umwelt.

Ich mache den Menschen keinen Vorwurf.
Sebastian Polmans

Sein Weg ist nicht der Weg der Kritik: "Ich mache den Menschen keinen Vorwurf." Ein Verleger habe ihm mal gesagt, er sei auf dem Holzweg. Seine Worte und seine Arbeit seien viel zu versöhnlich, habe dieser gemeint. Polmans lacht: "Ich bin gerne auf dem Holzweg." Zwar sei Kritik an den Zuständen wichtig, aber das könne nicht der einzige Weg sein, findet Polmans. Er will die Menschen daran erinnern, wie viel sich Mensch und Natur gegenseitig geben könnten.

"Ich glaube wirklich, dass sich die Natur und die Menschen gegenseitig unterstützen können", sagt Polmans. Er holt aus seiner Umhängetasche eine Holzflöte heraus und improvisiert eine Melodie für den Wald. Es gäbe natürlich auch Stellen im Wald, wo es nicht angebracht sei zu flöten, da dort Vögel brüten würden. "Aber an vielen Stellen, wo ich dann spiele, merke ich richtig, wie der Wald sich freut." Polmans Melodie erklingt im Groenewoud, das Wasser der Schwalm plätschert wie eine zweite Stimme im Hintergrund und auf einer Wiese einige hundert Meter entfernt muht eine Kuh.