Die Haustür geht auf, raus kommt Big Momma, mit theatralischen Bewegungen und lauten Ausrufen, gespielt von Martin Lawrence. Ein Mann in Fat Suit und Frauenklamotten. Wer jetzt noch auf den Witz wartet, wird ihn nicht mehr bekommen. Denn das war schon die Pointe. Als Frauen verkleidete Männer in Komödien haben eine lange Tradition. Die Netflix-Dokumentation Disclosure arbeitet auf, warum das für trans Menschen problematisch ist. Und warum es auf einem ganzen Jahrhundert transphober Film- und Fernsehgeschichte aufbaut, die sich nur langsam ändert. Der letzte Teil der Big Momma’s House-Trilogie zum Beispiel stammt aus dem Jahr 2011. Disclosure führt durch die Geschichte von trans Repräsentation in den Medien und seziert sie in 100 Minuten.

Zu Wort kommen dabei ausschließlich trans Autor*innen, Schauspieler*innen, Filmemacher*innen und Wissenschaftler*innen. Orange Is The New Black-Star und trans Aktivistin Laverne Cox hat die Dokumentation mitproduziert, auch Regisseur Sam Feder ist trans, ebenso wie viele Menschen, die am Set gearbeitet haben. In einem Interview erzählt Feder, dass alle nicht-trans Menschen, die für das Set von Disclosure engagiert wurden, zustimmen mussten, Mentor*in eines*einer trans Arbeitskolleg*in zu werden und sie zu unterstützen. Es ist das wahrscheinlich Wertvollste an der Dokumentation: Sie erzählt nicht nur die Geschichte von trans Menschen, sie erzählt sie aus der Perspektive von trans Menschen.

Schon in den allerersten Bewegtbildaufnahmen wurde mit Geschlechterrollen gespielt

So erinnern sich Laverne Cox, Alexandra Billing, Jamie Clayton und viele weitere im Interview an monumentale Filme und Serien aus ihrer Jugendzeit und erzählen, wie bestimmte Szenen damals auf sie gewirkt haben. Gepaart wird das in der Dokumentation mit Ausschnitten von eben diesen Filmen und Serien. Bemerkenswert: Tatsächlich gibt es schon zu Beginn des 20. Jahrhundert trans Repräsentation in den Medien.

"Trans und Film sind miteinander aufgewachsen. Wir waren schon immer präsent auf dem Bildschirm", sagt die Sozialwissenschaftlerin und Filmemacherin Susan Stryker und meint damit Beispiele wie den Stummfilm Old Maid Having Her Picture Taken (1901), The Masquerader (1914) oder Judith of Bethulia (1914) von D.W. Griffith, dem berühmten und heute unter anderem für sein offen rassistisches Werk The Birth of a Nation (1915) zunehmend kritisierten amerikanischen Filmregisseur. In der Netflix-Dokumentation Disclosure werden Szenen all dieser und vieler weiterer Filme gezeigt, in denen Cross-Dressing oder gender non-konforme Charaktere auftreten.

Diese frühe und bis heute anhaltende Präsenz von trans Menschen in Film und Fernsehen wird in Disclosure als eine Art Paradoxon dargestellt: Mit den Jahrzehnten, in denen die Repräsentation von trans Menschen in den Medien wuchs, stieg auch die Gewalt gegen sie an. Die Dokumentation stellt das in einen direkten Zusammenhang. Denn mehr als 80 Prozent der Amerikaner*innen, so eine Studie der Allianz von Schwulen und Lesben gegen Diffamierung (GLAAD) von 2015, haben keine persönlichen Berührungspunkte mit trans Menschen. Und so lernen sie den Großteil ihres Wissens durch die Medien. "Das Gleiche gilt für trans Menschen: Auch wir kennen meistens niemanden in unserem Umfeld und schauen Fernsehen, um herauszufinden, wer wir sind", sagt Nick Adams, GLAAD-Direktor für trans Media und Representation.

Trans Menschen werden oft als Witz oder abstoßend dargestellt – das ist problematisch

Die Dokumentation arbeitet Punkt für Punkt die Art und Weise auf, wie trans Menschen über die Jahrzehnte dargestellt wurden: Anfangs oft in Zusammenhang mit Cross-Dressing und gepaart mit Rassismus. So sei es kein Zufall, dass oft Schwarze Männer wie Martin Lawrence in Big Momma’s House in die Rolle der Frau schlüpfen: Es solle den Schwarzen Mann, der in der amerikanischen Geschichte oft als gefährlich und beängstigend dargestellt wurde, entmannen und lächerlich machen. Aber auch generell wurde das Bild von trans Menschen, besonders trans Frauen, oft als Witz verpackt. Big Momma ist nur ein Beispiel von vielen, die Disclosure zeigt.

Oft ist ein Teil der Narrative auch die Reaktion von cis Männern auf trans Frauen und ihre Genitalien: Als Jim Carrey in Ace Ventura Ein tierischer Detektiv (1994) klar wird, dass er einen Kuss mit einer trans Frau ausgetauscht hat, putzt er sich mit einer ganzen Tube Zahnpasta die Zähne, verbrennt seine Kleidung und erbricht sich ins Klo. Auch Stan in Hangover 2 (2011) reagierte mit Würgen auf den nackten Körper einer trans Frau, mit der er in der Nacht davor betrunken Sex hatte. Disclosure zeigt eine ganze Zusammenstellung solcher Kotzszenen.

Disclosure lässt einige lieb gewonnene Klassiker in neuem Licht erscheinen

Weitere Narrative sind die Darstellung von trans Menschen oder gender non-konformen Charakteren als Psychopath*innen und Mörder*innen, wie Buffalo Bill in Das Schweigen der Lämmer (1991) oder Norman Bates in Alfred Hitchcocks Psycho (1960), oder trans Menschen in der Opferrolle. Aber es gibt durchaus auch positive Beispiele, die die Interviewten in Disclosure Revue passieren lassen. Doch auch einige von ihnen haben ein Problem: cis Casting für trans Rollen. Eddie Redmayne in The Danish Girl (2016), Cillian Murphy in Breakfast on Pluto (2006), Hilary Swank in Boys Don’t Cry (1999).

"Wenn ich einen trans Charakter verkörpere, muss ich den trans Teil des Parts nicht spielen", gibt Drehbuchautorin, Produzentin und Schauspielerin Jen Richards zu bedenken. "Wenn jemand wie Eddie Redmayne eine zugegeben bemerkenswerte Performance als trans Frau gibt, ist das Bemerkenswerte daran, wie er es geschafft hat, seine femininen Seiten in einer überzeugenden trans Performance zu manifestieren. Es reduziert die Person, die in diesem Fall eine echte Person war, darauf, dass sie trans ist." Die Netflix-Dokumentation bringt auch einem*einer außenstehenden Zuschauer*in diesen Gedanken nahe und lässt altbekannte und lieb gewonnene Filmklassiker in neuem Licht erscheinen.

Die Doku arbeitet eine Narrative auf, die bisher hauptsächlich von cis Menschen erzählt wird

Richards geht in Disclosure sogar so weit, darüber nachzudenken, ob ihr Leben und ihre Selbstwahrnehmung als trans Frau heute ohne all diese falsche Repräsentation, ohne jegliche Repräsentation in den Medien, besser wäre. "Auf der einen Seite hätte ich dann vielleicht nie das Gefühl internalisiert, ein Monster zu sein, Angst vor Enthüllung zu haben, mich als etwas Verabscheuungswürdiges zu sehen – oder als Punchline, als Witz. Vielleicht könnte ich dann auf ein Date mit einem Mann gehen, ohne dabei das Bild kotzender Männer im Kopf zu haben", sagt sie. "Auf der anderen Seite: Wüsste ich überhaupt, dass ich trans bin, wenn ich nie irgendeine Art von Gendervarianz auf dem Bildschirm gesehen hätte?"

Die Repräsentation von trans Menschen, wie von jeder marginalisierten Gruppe, ist wichtig. Denn sie sind Teil unserer Gesellschaft. Sie weckt Empathie in denen, die sonst keine Berührungspunkte haben und Sympathie in denen, die ihnen angehören. Die Doku deckt auf, wie viel in der Vergangenheit dabei allerdings schiefgelaufen ist – selbst bei den Filmen und Serien, die es eigentlich gerade gut gemeint haben. Mittlerweile gibt es viele gute Beispiele für die Repräsentation von trans Menschen: Pose zum Beispiel, Transparent, I am Cait oder Sense8.

Und gerade weil bis heute die meisten Menschen nur über die Medien Wissen zu trans Menschen ansammeln können, wie die Zahlen von GLAAD belegen, die hierzulande wahrscheinlich nicht viel höher ausfallen, ist es wichtig, sich die Geschichte dieser medialen Repräsentation anzuschauen. Denn sie prägt maßgeblich, wie die Gesellschaft trans Menschen sieht. Und es ist eine Narrative, die bis vor wenigen Jahren fast ausschließlich von cis Menschen geprägt wurde. Disclosure leistet hier Aufklärungsarbeit durch die Brille von trans Menschen. Und markiert damit hoffentlich einen Richtungswechsel für ihre Präsenz in den Medien.