Es ist in deinem Pass abgebildet, auf deiner Versicherungskarte, deinem Führerschein. Vielleicht kannst du dein Smartphone damit entsperren oder sogar als Schlüsselersatz die Eingangstür deines Smart Homes auf- und abschließen. Wenn jemand an dich denkt, hat er*sie es vor Augen: dein Gesicht. Es macht dich erkenn- und unverwechselbar, mehr noch als dein Name, deine Körpergröße oder deine Kleidung. Die spezielle Form und Farbe deiner Augen, die große Nase oder die kleinen Ohren, die hohe Stirn oder die vollen Lippen machen dich einzigartig.

Aber ist Einzigartigkeit wirklich möglich? Müsste bei 7,8 Milliarden Menschen auf der Erde nicht eine minimale Wahrscheinlichkeit bestehen, dass sich zwei Menschen, die nicht miteinander verwandt sind, ähnlich sehen?

Ob es Doppelgänger*innen gibt, ist eine Frage der Herangehensweise

Jeder Mensch hat irgendwo auf der Welt eine*n Doppelgänger*in, heißt es im Volksmund. Jemanden, der*die einem zum Verwechseln ähnlich sieht. Die Forschung dazu ist allerdings spärlich und kommt, wenn überhaupt, zu gegenteiligen Ergebnissen. 2015 hat etwa Teghan Lucas, Doktorandin der University of Adelaide School of Medicine, die Gesichtsmerkmale von fast 4.000 Personen verglichen. Sie wollte herausfinden, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass das Aussehen zweier Personen auf Basis dieser Merkmale übereinstimmt.

Das Resultat bringt schlechte Nachrichten für alle auf der Suche nach ihrem Duplikat: Bei acht Gesichtsmerkmalen, etwa der Größe der Ohren oder dem Abstand zwischen den Augen, betrug die Wahrscheinlichkeit, in der Allgemeinbevölkerung zwei Gesichter mit denselben Maßen zu finden, weniger als eine Billion. Mit nur noch sieben Merkmalen konnte Lucas gar keine Übereinstimmungen mehr finden. Die Studie dazu veröffentlichte sie in der Fachzeitschrift Forensic Science International. Demnach seien anthropometrische Gesichtsmessungen genauso präzise wie Fingerabdrücke oder DNA, wenn es darum geht, Kriminelle zu identifizieren.

Die Studie basiert auf exakten Messungen. Beträgt der Abstand der Augen in einem Fall etwa 30 Millimeter, im nächsten Fall aber nur 29, hätte das wahrscheinlich nicht als Übereinstimmung gezählt. Legt man allerdings den Anspruch des haarscharfen Vergleichs ab, achtet man auf Ähnlichkeit statt auf Gleichheit, sieht die Sache anders aus. Wir erkennen und lesen Gesichter in ihrer Gesamtheit, als Summe ihrer einzelnen Merkmale. Millimeterkleine Unterschiede nehmen wir nicht wahr. So gesehen ist die Wahrscheinlichkeit, eine*n Doppelgänger*in zu finden, plötzlich gar nicht mehr so gering.

"Es gibt nur so viele Gene auf der Welt, die die Form des Gesichts bestimmen. Es wird also zwangsläufig dazu kommen", sagte Winrich Freiwald 2016 zur BBC. Er forschte an der Rockefeller-Universität in New York zu Gesichtswahrnehmung. Freiwald meint, dass es ziemlich sicher irgendwo jemanden gäbe, der*die ähnliche Gesichtszüge habe wie du. Oder er. Eben wir alle.

Wie wir Gesichter wahrnehmen, ist letztendlich subjektiv. Ob wir Ähnlichkeiten feststellen, hängt auch von individuellen Erinnerungen ab, vom persönlichen Empfinden und Erwartungen. Manche Menschen sind umgangssprachlich gesichtsblind und können sich das Aussehen von anderen nur schwer merken. Andere erinnern sich über viele Jahre hinweg an das Gesicht einer Person, der sie nur einmal irgendwo begegnet sind. Kommt dir folgende Situation bekannt vor? Eine Freundin zückt ihr Handy und streckt dir ein Foto entgegen: "Schau, das könnte dein Doppelgänger sein!", sagt sie und erzählt, wie begeistert ihre Freund*innen bereits davon sind. Doch du willst einfach keine Ähnlichkeit feststellen. Selbst- und Fremdwahrnehmung können, vor allem was das eigene Aussehen betrifft, weit auseinanderdriften.

Ob du eine Ähnlichkeit erkennst, ist eine Frage der Auffassung

Dieselbe Erfahrung machte François Brunelle. Für sein Projekt I'm not a look-alike! suchte der Fotograf aus Kanada Menschen, die sich so ähnlich sehen, dass sie Zwillinge sein könnten. Die Idee dazu entstand aus eigenen Erlebnissen. Über Jahre hinweg meinten Menschen, dass er wie Mr. Bean aussehen würde, der tollpatschige Charakter aus der gleichnamigen TV-Serie, gespielt von Rowan Atkinson. Es lag für ihn also auf der Hand, das Thema aufzugreifen und als eigenes Projekt weiterzuführen.

"Es gibt zwei Arten von Doppelgängern", sagt Brunelle zu ze.tt, "diejenigen, die sich bereits kennen. Und diejenigen, die sich zum ersten Mal vor meiner Kamera treffen." Bei Ersteren gebe es keine großen Überraschungen. Sie wurden in der Vergangenheit bereits von Lehrer*innen, Mitarbeiter*innen, Klassenkamerad*innen verwechselt und freuen sich, dass ihre Ähnlichkeit auf einem professionellen Foto festgehalten wird. Bei Zweiteren allerdings habe die Reaktion variiert, von (meist glücklicher) Überraschung bis hin zum beinahe schockierten Ausruf "Sehe ich wirklich so aus!". Nicht alle von Brunelles Modellen würden die angedachte Ähnlichkeit akzeptieren können. Diejenigen aber, die das taten, hätten sich sofort blendend verstanden. "Wenn du jemanden triffst, der dir ähnlich sieht, habt ihr eine sofortige Bindung, weil ihr etwas teilt", sagt der 70-jährige Fotograf.

Wenn du jemanden triffst, der dir ähnlich sieht, habt ihr eine sofortige Bindung, weil ihr etwas teilt.

Brunelle veröffentlichte die Fotos mit Absicht in schwarz-weiß. So könnten die Betrachter*innen sich auf die reine Architektur der Gesichter konzentrieren und seien nicht abgelenkt, etwa von rosa Wangen, unterschiedlichen Augenfarben oder verschiedenen Hauttönen.

Ob sich die Doppelgänger*innen tatsächlich ähnlich sehen, sei am Ende trotzdem eine Frage der Betrachter*innen. Von zehn Leuten würde laut Brunelle wohl jede*r Betrachter*in eine unterschiedliche Auffassung haben, ob und wie sehr sich jemand ähnelt. "Ich behaupte nicht, dass die Menschen in meiner Arbeit identisch sind. Ich fotografiere nur Menschen, die von anderen Menschen als solche betrachtet werden." Daher änderte er nach Abschluss seines Projekts dessen ursprünglichen Namen von The look-alikes zu I'm not a look-alike!.

Brunelle versuchte übrigens, Rowan Atkinson für eine persönliche Gegenüberstellung im Rahmen des Fotoprojekts zu gewinnen: vergeblich. Dafür sei er zu schüchtern gewesen.