Der erste Angehörige der Hisbollah, dem ich in meinem Leben begegne, serviert mir köstlichen Tee mit viel zu viel Zucker. Ich schätze ihn auf Mitte 50, und weder seine zierliche Gestalt, noch seine schüchterne Art wollen so recht zum Bild des abgehärteten Gotteskriegers passen, das ich mit seinem Arbeitgeber verbinde.

Es ist ein schöner Tag, und die Herbstsonne taucht die Hügel des Südlibanons in ein weiches, friedliches Licht. Auch jenen, auf dem das Monument des Widerstandes thront, diese außergewöhnliche und weltweit wohl einmalige Attraktion bei Mleeta, für die ich extra aus Beirut angereist bin.

Abel, mein Fahrer, kommt aus der Gegend, und während ich meinen Tee schlürfe, redet er in schnellem Arabisch mit dem Hisbollah-Mann, der allein in seinem kleinen Torhäuschen sitzt und Tickets verkauft. Oder auch nicht. Denn außer uns ist weit und breit keine Menschenseele zu sehen.

Freier Eintritt für Deutsche

Ein paar Minuten plaudern die beiden miteinander, dann wendet sich Abel um und bedeutet mir, meine bereits gezückte Brieftasche wegzupacken. Er hat dem Torwächter erzählt, dass ich aus Deutschland komme – was mir die knapp zwei Euro Eintrittspreis erspart. Warum, darüber kann ich bis heute nur spekulieren. Leider scheint mir nach wie vor die deutsche Geschichte zwischen 1933 und 1945 der wahrscheinlichste Grund zu sein. Immerhin befand ich mich an einem Ort, der einzig und allein den Kampf gegen Israel verherrlichen soll.

Wir folgten einer asphaltierten Straße, bis wir an einem überaus gepflegten Brunnenplatz ankamen, umgeben von mehreren einstöckigen Gebäuden. Ich war beeindruckt von der modernen Architektur: Dieser Komplex hätte mit seinen schnörkellosen Kanten und schrägen Flächen ohne weiteres zu einem modernen Kunstmuseum in London, Paris oder Berlin gehören können. Ob die Erbauer*innen wohl den (jüdischen) Architekten Daniel Libeskind kannten?

Ansprache vom Terrorführer

Abel entscheidet sich, auf einer Parkbank zu warten. Ich beginne meine Tour im eigens zur Begrüßung der Gäste errichteten Kinosaal. Eine kurze Doku erzählt die Geschichte des Ortes und seiner Erbauer*innen. Zumindest eine Version der Geschichte.

1982 marschiert Israel in den benachbarten Libanon ein, um Jassir Arafats PLO, sowie Truppen des syrischen Machthabers Hafiz al-Assad, zu vertreiben. Im Anschluss besetzen israelische Truppen gemeinsam mit ihren libanesischen Verbündeten den Süden des Zedernstaates. In dieser Zeit entsteht aus verschiedenen schiitischen Milizen die Hisbollah, die einen Guerillakrieg gegen die Besatzer*innen aufnimmt.

Heute wird die Gruppe in Teilen oder als Ganzes von den meisten westlichen Staaten als Terrororganisation gelistet. Im Libanon ist sie der einflussreichste Machtfaktor, sitzt im Parlament und kontrolliert weite Teile des Landes. Auch soziale Einrichtungen werden von ihr gefördert, was den Rückhalt in der Bevölkerung wachsen lässt. Und mit tausenden von Kämpfer*innen und schweren Waffen, darunter iranische Raketen und russische Raketenwerfer, bildet die Hisbollah einen ernstzunehmenden Gegner für das benachbarte Israel.

Der Film, den ich zu sehen bekomme, ist überaus professionell gemacht. In ihm wird der Konflikt mit Israel zu einem heroischen Kampf zwischen Gut und Böse, eine Geschichte der aufopferungsbereiten libanesischen Jugend, die dem übermächtigen Gegner trotzt – und dafür auch den Märtyrertod in Kauf nimmt. Das Zentrum des Widerstands befand sich genau dort, wo ich mich gerade befinde, ein bewaldeter Hügel, keine 20 Kilometer von der israelischen Grenze entfernt.

Gegen Filmende richtet sogar Hassan Nasrallah das Wort an das Publikum, das heute nur aus mir besteht. Er fühle sich geehrt, die Besucher*innen an diesem Ort willkommen zu heißen. Dann lobt er noch einmal die Tapferkeit der Kämpfer*innen, die hier gefallen sind, untermalt von pathetischer Musik.

Ich verlasse das Kino mit einer Gänsehaut. Auf einer intellektuellen Ebene weiß ich, dass dieses Video einzig den Zweck hat, die Besucher*innen zu manipulieren, sie für die Botschaft seiner Macher*innen empfänglich zu machen. Das ändert aber nichts daran, dass es funktioniert.

Grabstein mit Davidstern

Der nächste Halt ist eine Ausstellungshalle. Hinter Glaswänden werden hier Waffen und Ausrüstungsgegenstände präsentiert, die von den Israelis zurückgelassen wurden. Sturmgewehre, Helme, Raketenwerfer. Doch die Hauptattraktion von Mleeta befindet sich im Freien: Der Abgrund.

Auf 3.500 Quadratmetern verteilt liegen zerstörte Panzer, Trümmerteile und Stacheldraht, umgeben von einem Fußgängersteg, der spiralförmig in die Tiefe führt. Ein Strudel der Zerstörung. Das Kanonenrohr eines der Panzer ist verknotet. In der Mitte der makabren Installation liegt ein Grabstein mit Davidstern.

Der Weg führt mich weg vom besiegten Feind, hin zu den glorreichen Sieger*innen. Ein von Sandsäcken befestigter Gang windet sich durch die bewaldete Flanke des Hügels, von wo aus die Kämpfer*innen der Hisbollah in den 1980ern Raketen auf israelische Truppen und deren Verbündete abfeuerten. Und ich verstehe das Kalkül dahinter: Zwischen den unzähligen Bäumen sind die Raketenwerfer und Kommandoposten auch für mich kaum zu erkennen, obwohl ich direkt an ihnen vorbeilaufe. Mehrmals erschrecke ich, weil ich denke, jemand stünde plötzlich neben mir – doch sind es nur Puppen in Tarnuniformen, die einsam in der Landschaft stehen. Lebendige Menschen habe ich noch immer nicht getroffen.

Toiletten rechts, Schusslinie links

Bevor ich in die unterirdische Bunkerwelt der Gotteskrieger*innen eintrete, stolpere ich über ein Schild, das die Absurdität dieses Ortes symbolisiert wie nichts anderes. Wer in die Schusslinie, die Line of Fire, möchte, halte sich links – wer noch schnell das WC nutzen muss, gehe nach rechts.

In den Gängen der Bunkeranlage überkommt mich zum ersten Mal ein Gefühl der Beklemmung. Es war sicherlich kein angenehmes Leben, zwischen meterdicken Betonwänden unter der Erde auszuharren, rund um die Uhr die Gefahr israelischer Luftschläge im Nacken. In der Kommandozentrale hängen noch Sturmgewehre.

Einen krassen Kontrast zur klaustrophobischen Stimmung der Tunnel bietet die nächste Station: Eine Besucherterrasse, die aus dem dichten Blätterdach des Hügels ausbricht und einen Blick über die wunderschöne Ebene und die umliegende Landschaft bietet. Ich frage mich, ob man von hier aus die israelische Grenze sehen kann. Zwei gigantische Fahnen flattern hinter mir im Wind, die gelbe Flagge der Hisbollah und die Zedernflagge des Staates Libanon.

Exit through the gift shop

Das Ende des Rundgangs führt mich – ich hatte es beinahe schon geahnt – in den Souvenirladen. Hisbollah-Fahnen, T-Shirts (auch in Kindergrößen), Tassen mit dem Gesicht des Generalsekretärs Nasrallah: Wen der Besuch zum Fan der Partei Gottes gemacht hat, der kann sich hier nach Herzenslust mit Merchandise eindecken.

Ich kehre zurück zu der Parkbank, auf der Abel sitzt und eine Zigarette raucht. Neben ihm steht eine Spendenbox, in die die Besucher*innen Münzen und Scheine werfen können. Sie hat die Form einer riesigen Patrone.

Auf der Rückfahrt nach Beirut denke ich viel darüber nach, wie stark unsere persönliche Sichtweise die Art und Weise prägt, wie wir Konflikte wahrnehmen. Letzten Endes unterscheidet sich die Inszenierung, die einem in Mleeta begegnet, nicht großartig von russischen Militärparaden oder patriotischen Kriegsfilmen aus Hollywood. Der Unterschied liegt darin, dass hier eben "die Bösen" die Geschichte erzählen.

Ein Autokonvoi reißt mich aus meinen Gedanken. In Syrien gefallene Hisbollahkämpfer werden nach Hause gebracht. Das Töten und Sterben ist auf einmal ganz nah. Und aus der Nähe sieht das gar nicht so glorreich aus.