Nachdem ich im vergangenen Dezember mein Abschlusszeugnis abgeholt hatte, ging es für mich direkt weiter zur Arbeitsagentur. Weil ich keine Sperrzeiten riskieren wollte, musste ich mich gleich am ersten Tag der Erwerbslosigkeit persönlich arbeitslos melden. Ich saß also im Wartebereich, mit dem Antrag auf Arbeitslosengeld II in der Hand, Beglückwünschungen zum bestandenen Abschluss auf dem Smartphone, und der Sorge, ob ich mit Hartz IV auskommen werde, im Kopf.

Ginge es nach dem neuen Gesundheitsminister Jens Spahn, waren meine Sorgen von damals komplett unbegründet. Die Essener Tafel, welche Kundenkarten ab dem 10. Januar dieses Jahres für einige Zeit nur noch unter Vorlage eines deutschen Ausweisdokuments vergeben hatte, löste vor Kurzem einen Diskurs über Armut in Deutschland aus. Jens Spahn beteiligte sich an der Diskussion und verteidigte die Entscheidung der Tafel mit der Begründung, mit Hartz IV habe "jeder das, was er zum Leben braucht".

Nach mittlerweile vier Monaten Arbeitslosengeld II kann ich mir von dieser Behauptung mein eigenes Bild machen.

Ich bin Jens Spahns nicht repräsentatives Musterbeispiel

Meine Sorgen, dass ich von Hartz IV nicht leben kann, haben sich für mich nicht bestätigt. Die Suche nach einer festen Anstellung stresst mich derzeit mehr als der Geldmangel. Ich habe gerade genug von dem, was ich zum Leben brauche, kann aber keine großen Sprünge machen.

Nichtsdestotrotz halte ich Spahns Aussage schlichtweg für falsch, da sie zu verallgemeinernd ist. Mir ist bewusst, dass viele Hartz-IV-Empfänger*innen mit komplett anderen Lebenssituationen zurechtkommen müssen. Ich muss keine Kinder versorgen. Ich habe bereits eine kleine, billige und eingerichtete Wohnung. Laptop und Smartphone besitze ich noch aus meiner Studienzeit. Mein Leben mit Hartz IV ist dadurch verhältnismäßig einfach. Und ich habe noch einen wichtigen Vorteil: Ich wohne im kostengünstigen Saarbrücken.

Durch meinen Wohnort profitiere ich vom pauschalen Regelsatz

Die Höhe des Hartz-IV-Regelsatzes liegt deutschlandweit seit Januar 2018 bei 416 Euro. Der Bedarf ist nach Einzelposten wie Lebensmittel, Gesundheitspflege und Freizeit aufgeteilt. Für das Jobcenter hat ein Pauschalbetrag klare Vorteile – zum Beispiel sind der Verwaltungsaufwand und die Missbrauchsgefahr geringer.

Für die Empfänger*innen kann dies allerdings deutliche Konsequenzen haben, je nach den Lebenshaltungskosten ihres Wohnortes. Deutschlandweit stehen momentan zum Beispiel 145,04 Euro pro Monat für Nahrungsmittel und alkoholfreie Getränke zur Verfügung. Die Kosten für Lebensmittel schwanken jedoch regional teilweise deutlich.

Als Einwohner von Saarbrücken ohne zusätzlichen Mehrbedarf profitiere ich von dem einheitlichen Regelsatz. Die Lebensmittelpreise sind moderat, die Mieten vergleichsweise preiswert. Von dem Geld, das ich für Essen zur Verfügung habe, kann ich mich tatsächlich zufriedenstellend selbst versorgen. Und mir von meinen 10,35 Euro der Beherbergungs- und Gaststättendienstleistungspauschale zumindest einen Clubeintritt plus zwei bis drei Pils mit Trinkgeld leisten.

In einer teureren Stadt käme ich nicht so leicht über die Runden

In Städten wie Stuttgart, München oder Frankfurt, welche im nationalen Vergleich hingegen weit überdurchschnittliche Lebenshaltungskosten haben, sieht die Situation für Betroffene oftmals anders aus. Die Empfänger*innen werden vor weitere finanzielle Hürden gestellt. Im Kontext der steigenden Mieten ist die Wohnungssuche nach Vorgaben des Jobcenters dort oftmals bereits problematisch, gegebenenfalls muss man vom Regelsatz noch einen Mietzuschuss beisteuern. Zudem reicht der Regelsatz laut Betroffenen und Fachkundigen ohne die Hilfe von sozialen Einrichtungen sowieso nicht auf langer Sicht, um ein menschenwürdiges Leben zu führen.

Deswegen stört mich Jens Spahns Verallgemeinerung, jede*r habe was er*sie zum Leben braucht. Hartz IV ist bereits knapp und, je nach Lebensrealität, falsch bemessen. Es gilt, endlich weitere Aspekte mit in die Debatte einzubeziehen. Hinter jedem Antrag auf Arbeitslosengeld II steckt ein persönliches Schicksal mit individuellen Bedürfnissen. Diese mit einem Pauschalbetrag abzuwürgen, sollte nicht die Antwort eines der "besten Sozialsysteme der Welt" sein, Herr Spahn.

Anmerkung: In einer früheren Version des Artikels haben wir geschrieben, dass die Essener Tafel für kurze Zeit Lebensmittelspenden nur an deutsche Staatsangehörige verteilt hätte. Das ist falsch. Richtig ist, dass die Essener Tafel für kurze Zeit Kundenkarten nur noch unter Vorlage eines deutschen Ausweisdokuments verteilt hatte. Wir haben die Stelle im Text korrigiert.