Aktuell wünscht sich Nina*, dass ihr Tag mehr als 24 Stunden hätte. Füllen könnte sie locker das Doppelte. Um acht Uhr in der Frühe schließt sie das Fitnessstudio auf, in dem sie als Fitnesskauffrau- und Trainerin arbeitet. Wenn sie sich dann gegen 20 Uhr von ihren Kolleg*innen verabschiedet, ist für sie noch lange kein Feierabend in Sicht. Fast drei Stunden arbeitet sie derzeit jeden Abend an ihrer Bachelorarbeit.

Denn anders als in Klausurenphasen, wird ihr dafür in ihrem dualen Studium im Fachbereich Sportökonomie keine arbeitsfreie Zeit eingeräumt. Für die Bearbeitung bleiben ihr wie Vollzeitstudierenden auch nur zwölf Wochen. "Ich habe mal versucht meinen Chef um Rücksicht zu bitten. Seine Antwort lautete, dass ich meine Mittagspause ja dafür nutzen könnte", sagt die 24-Jährige. Nicht zum ersten Mal fühlt sie sich in ihrer dualen Berufsausbildung machtlos, weil es keine Rechte für sie gibt, die sie einklagen kann.

Obwohl sie schon in dem besser organisierten Ausbildungsmodell steckt, dem Blockmodell, gerät sie immer wieder unter Zeitdruck und in Arbeitshetze. "Ich hatte jedes Semester zwölf Wochen Uni, die dann mit einer umfangreichen Abschlussarbeit beendet worden sind", sagt Nina. Um die Klausuren zu bestehen, muss sie in der Praxisphase neben 39 Stunden Arbeit trotzdem noch einen wöchentlichen 30-seitigen Foliensatz durcharbeiten.

Keine*n Ansprechpartner*in im Betrieb

"In der anderen Variante, die sich bei dualen Studiengängen etabliert hat, werden die Lernorte alle drei Tage oder wöchentlich gewechselt, was wiederum einen noch höheren Organisations- und Absprachebedarf erfordert", sagt Sirikit Krone vom Institut für Arbeit und Qualifikation an der Universität Duisburg-Essen, die Strukturen von dualen Studiengängen in einer Studie untersucht hat.

Ich musste einfach funktionieren – auf der Arbeit und in der Uni."
Nina

Aber nicht nur die Verknüpfung der beiden Lernorte sei ein ganze zentrales Qualitätsmerkmal eines dualen Studienganges, auch ob es eine*n Ansprechpartner*in im Betrieb gibt. Diese*r stünde nicht nur für Praxisfragen zur Verfügung, sondern sollte vor allem beim Zeitmanagement unterstützen. "Abgesehen davon, dass ich vollständig auf mich allein gestellt war, gab es nicht mal Rückfragen zu meinen Klausuren. Ich musste einfach funktionieren – auf der Arbeit und in der Uni", sagt Nina.

Normale Azubis werden besser bezahlt

Besonders frustriert habe sie allerdings, dass sie eine andere Vergütung erhält als normale Auszubildende. Der Betrieb übernimmt zwar einen Teil ihrer Studiengebühren, von ihrem Ausbildungsgehalt leben, kann sie aber nicht. "Ich habe 270 Euro netto verdient und nicht mal ein Bahnticket wie Vollzeit-Studis bekommen, geschweige denn irgendeine Form von Preisnachlass." Ohne die Unterstützung ihrer Eltern hätte die Duisburgerin das duale Studium gar nicht antreten können. "Um mir Luxus wie Urlaube leisten zu können, musste ich an den Wochenenden auf Hochzeiten kellnern. Wie ich das alles hinbekommen habe, weiß ich bis heute nicht", erzählt Nina.

In wenigen Wochen ist dann endlich alles vorbei und Nina hält ihr Abschlusszeugnis in der Hand. Da sie nicht in der sogenannten Ausbildungsintegrierten Variante studiert hat, bleibt es auch dabei. Sie erhält keinen offiziellen Nachweis über ihre praktische Arbeit im Fitnesscenter. Obwohl sie dort die gleichen Aufgaben wie angehende Fitnesskaufleute übernommen hat: den Sportbetrieb, Verwaltungs- und Organisationsaufgaben.

"Wenn man als dualer Studierender den üblichen Ausbildungsvertrag des Betriebes unterschreibt, studiert man in der ausbildungsintegrierten Variante, wodurch man dann auch dieselben Rechte wie andere Azubis hat", erklärt Krone und macht darauf aufmerksam, dass man dadurch auch Anspruch auf dieselbe Vergütung hätte. Es sei die sicherste Variante. Gesonderte Verträge nur für duale Studierende würden hingegen oft zum Vorteil der Anbieter*innen ausgelegt werden – und deswegen ein Alarmsignal.

Bessere Konditionen aushandeln?

"Da ich jetzt auf dem Arbeitsmarkt ziemlich gute Chancen habe, bereue ich meine Entscheidung nicht. Wäre ich im Vorfeld über den Ausbildungsweg des dualen Studiums aufgeklärt gewesen, hätte ich bessere Konditionen für mich ausgehandelt." Eine Verantwortung mit der viele duale Berufseinsteiger*innen im Alter von 19 bis 20 Jahren laut Krone überfordert sind und deswegen wie Nina in prekären Beschäftigungsverhältnissen landen: "Da es nicht mal eine feste Definition von dualen Studiengängen in Deutschland gibt, fehlt den jungen Erwachsenen jede Verhandlungsgrundlage. Sie trauen sich dann oft nicht Vertragspassagen kritisch anzusprechen."

Dass gravierende Probleme auftauchen, sei gar nicht so überraschend. "Hier kooperieren zwei völlig voneinander getrennte Bildungssegmente miteinander. Fachhochschulen und Betriebe sind in ihren Abläufen und Prüfungsverfahren unterschiedlich organisiert", sagt Krone. Weshalb man dringend eine Gesetzesgrundlage bräuchte, denn seit bereits 15 Jahren könnte man eine stetige Zunahme beobachten. "Wir prognostizieren auch, dass es so weitergehen wird."

Aktuell gibt es 100.000 duale Studierende und 50.000 Betriebe, die ein Angebot machen. "Mittlerweile gibt es sogar 1.500 duale Studiengänge." Besonders in der Vergangenheit mitgezogen wären die Pflege- und Gesundheitswissenschaften sowie soziale Berufe. Auch Karriereziele wie Erzieher*in oder Hebamme kann man inzwischen dual studieren. "Dominant bleiben mit jeweils etwa 35 Prozent der Angebote solche in den Ingenieur- und Wirtschaftswissenschaften, dicht gefolgt von Informatik mit zwölf Prozent."

Keine Weiterbildung im Master

Die großen Unternehmen hätten deswegen inzwischen genug Erfahrung, um faire Ausbildungsmodelle für duale Studierende in ihren Personalabteilungen zu entwickeln. Kurz: Umso größer der Betrieb, desto wahrscheinlich auch, dass es besser als bei Nina läuft. Eine wesentlich zufriedenere Geschichte, die von einer fairen Vergütung, zuverlässigen Betreuer*innen, erfüllbaren Arbeits- und Lernzeiten handelt, erzählt Mira*.

Sie beginnt vor fünf Jahren ihr duales Studium bei einer Bank. Ihre Ausbildung ist in ihr Studium integriert, weshalb sie heute nicht nur einen Bachelor in Banking and Finance besitzt, sondern auch gelernte Bankkauffrau ist. Der einzige Haken an ihrem Berufsweg: Es gibt danach kein Angebot zur akademischen Weiterbildung. Weshalb sie den Master gerade heimlich an einer Fernuni macht. "Da ich jetzt in den letzten Zügen hänge, werde ich meinen Chef wohl demnächst informieren. Ich rechne aber nicht damit, dass er dann einen angemessenen Job anbietet", sagt Mira.

Duale Masterstudienplätze gibt es kaum. "Wenn doch, bieten Unternehmen ihren Studierenden diese Option in der Regel nur an, um sie als wertvolle Arbeitskräfte nicht zu verlieren", sagt Krone. Da sie an einer Überqualifikation kein Interesse hätten und den fertigen Masterstudierenden keine neue Stelle anbieten können.

* Namen von der Redaktion geändert.