Als Imad von Aachen nach Duisburg kam, um Elektrotechnik zu studieren, suchte er eine Wohnung. Zufällig entdeckte er einen Aushang eines Projekts, das interessant klang. "Tausche Bildung für Wohnen" stand auf dem Zettel. Die Idee dahinter: Studierende oder Bundesfreiwilligendienstleistende dürfen kostenlos in einer WG im Stadtteil Marxloh wohnen und engagieren sich dafür sozial – als Bildungspat*innen für Kinder aus einem Stadtteil, der in den Medien regelmäßig als Problemviertel dargestellt wird. Die Initiative, die durch die Gründer*innen Christine Bleks und Mustafa Tazeoğlu entstand, gewann erst kürzlich den Deutschen Nachbarschaftspreis. Ab Dezember wird es auch in Gelsenkirchen angeboten. Danach soll Dortmund folgen, wie die dpa berichtet.

"Das Projekt hat mich direkt interessiert und man will ja auch mal was Gutes tun" sagt Imad. Wenig später zog er in eine der zwei Dreier-WGs ein, die es seit 2014 gibt. Ungefähr zwölf Quadratmeter haben die Zimmer, die man so lange kostenlos bewohnen darf, bis man mit dem Studium fertig ist oder den Bundesfreiwilligendienst beendet hat. Mindestens sollte man jedoch ein Jahr bleiben.

Nachhilfe fürs Leben

Im Tausch dafür geben die Bildungspat*innen pro Woche den ungefähr 80 angemeldeten Kindern aus dem Stadtteil regelmäßig Nachhilfe. Die Kinder sind zwischen sechs und 14 Jahre alt. Wer den Kindern gegen ein kleines Taschengeld mehr Nachhilfestunden geben möchte, kann auch das tun. Finanziert wird das Projekt durch Spenden, Preisgelder und Förder*innen.

Seit 2016 wohnt Imad nun in der Wohnung und ist damit der WG-Älteste. Die neuen Mitbewohnerinnen kennt er noch nicht so gut, die beiden Frauen sind vor Kurzem erst eingezogen. "Wir müssen uns erst mal richtig kennenlernen. Aber mit den alten Mitbewohnern haben wir immer viel zusammen gemacht", sagt Imad. Der Masterstudent mag sein Leben in der Dreier-WG und auch in Marxloh, dem Stadtteil mit "Industrieromantik", wie Imad es beschreibt.

Was er aber besonders mag, ist seine Arbeit mit den Kindern. Sie werden von den Eltern bei dem Projekt angemeldet oder gelangen in seltenen Fällen auch durch Bedarfsmeldungen ihrer Lehrer*innen zu den Nachhilfestunden. Hier wird nicht einfach nur das unterrichtet, was die Kinder in der Schule nicht verstanden haben, Imad und die anderen wollen den Kindern mehr mit auf den Weg geben, eine Art "Nachhilfe fürs Leben. Das Wichtigste ist, dass wir den Kindern Selbstvertrauen und Mut geben. Für mich sind sie ein bisschen wie kleinere Geschwister – man hat Verantwortung für sie als großer Bruder", sagt er.

Für mich sind sie ein bisschen wie kleinere Geschwister.
Bildungspate Imad

Damit die Möglichkeit besteht, eine Beziehung zu den Jüngeren aufzubauen, werden die Pat*innen festen Kindern zugeordnet, die sie jede Woche unterrichten. Viele der Schulkinder kommen aus bildungsfernen Schichten, haben Probleme mit den Grundlagen, was das Selbstbewusstsein nicht gerade fördert. "Wir versuchen, die Persönlichkeit der Kinder zu stärken und ihr Potenzial zu fördern." Das sei wie ein Porschemotor ohne Reifen – das Potenzial habe jedes Kind, aber nicht jedes Kind hat das Umfeld, das Potenzial auszuschöpfen.

Der Unterricht findet in der sogenannten Tauschbar statt. In dem Altbaugebäude, das mit den hohen Decken und Sofa im Flur so gar nicht an Schule oder Arbeit erinnert, hat jetzt jede*r Bildungspat*in anderthalb Stunden Zeit und kann die Nachhilfestunde ganz persönlich gestalten. Die einzige Regel: Freizeit gehört auch dazu, wie Standortleiterin Anne Hippke sagt.

"Spielen wir jetzt Uno?"

Um 14 Uhr beginnt die Nachhilfe und die ersten Kinder kommen durch die große Eingangstür des Altbaugebäudes. Imad ist heute für Ali zuständig. Der Achtklässler kramt seine Schulsachen raus und los geht's. Mathe und Deutsch stehen heute auf dem Plan und auch wenn man Ali anmerkt, dass die Lust auf Kopfrechnen und Texte lesen eher gering ist, schafft Imad es, ihn zu motivieren und die Stunde geht schnell um. "Spielen wir jetzt Uno?" ist direkt die erste Frage, nachdem das Deutschbuch wieder im Schulranzen verschwunden ist.

Was man mitbringen sollte, um in der kostenlosen WG zu wohnen? "Viel Geduld und Durchhaltevermögen", sagt Imad, denn "manchmal sind die Kinder eben wie ein Sack Flöhe." Aber daran würde man sich gewöhnen. "Begeisterungsfähigkeit und Lust auf das Ganze ist das Einzige, was man von Anfang an mitbringen sollte", sagt er. Es ist vor allem die Lust darauf, Kindern eine Perspektive zu geben und gleichzeitig in einer kostenlosen Studierenden-WG zu wohnen, die mehr als nur ein Dach über dem Kopf ist.