Das erste Mal, als der Herr Nikolaus zu mir nach Hause kam, war ich nicht da. Oder besser gesagt, ich wollte nicht da sein. Ich hatte in der Grundschule wochenlang ein Gedicht auswendig gelernt, freute mich auf die Süßigkeiten, die mich als Belohnung dafür vom Nikolaus erwarteten. Als er dann an der Tür klingelte, entschied ich mich jedoch anders und versteckte mich unter dem Tisch.

Meine Geschwister und Mitschüler*innen hatten mir bereits vom Krampus erzählt, der den Nikolaus begleitet. Der Name leitet sich vom mittelhochdeutschen Wort Krampen, also Kralle, oder bayrisch Krampn, etwas Lebloses, Vertrocknetes, Verblühtes oder Verdorrtes ab. Genauso sieht er auch aus: Ein wildes Tier mit Hörnern, abstehender Mähne, Krallen, Weidenruten und Glocken in der Hand und einer furchterregenden Fratze. Die Gestalt des Krampus stammt ursprünglich aus der vorchristlichen Zeit.

Gute Kinder bekommen Süßes, böse nimmt der Krampus mit

Kramperl, Bartl, Knecht Ruprecht oder Herr Percht genannt, erledigt die schmutzige Arbeit für den Nikolaus zumindest in der Theorie. Je nachdem, ob man ein braves oder schlimmes Kind war, bekommt man entweder ein Sackerl (österreichisch für Tüte) voll mit Süßigkeiten und Mandarinen vom Nikolaus oder wird vom Krampus mitgenommen oder bestraft. Die teuflische Tiergestalt zieht am Tag vor dem Nikolaus durch die Straßen und begleitet am 6. Dezember den Nikolaus – in manchen Regionen auch schon am Tag zuvor.

Ich wollte die Beurteilung meines Verhaltens damals auf keinen Fall dem Nikolaus überlassen und versteckte mich präventiv. Als die beiden längst zu den Nachbarskindern weitergezogen waren, konnte mich meine Mutter überzeugen, wieder rauszukommen. Im Jahr darauf wiederholte sich das Spiel: Dieses Mal nahm ich all meinen Mut zusammen und versteckte mich nicht. Als ich brav mein Nikolausgedicht vor ihm aufsagte, verhaspelte ich mich immer wieder. Er kam mir so wahnsinnig groß vor – mit seiner spitzen Mütze und seinem weißen Rauschbart. Magisch und mächtig, ja wie Gandalf. Der Krampus hingegen wirkte auf mich wie ein Ork.

Der Nikolaus weiß alles

Er wusste von jeder Sünde, die ich mir in diesem Jahr geleistet hatte, von jedem Kreischanfall im Supermarkt und jedem Stück Schokolade vor dem Essen, davon war ich überzeugt. Als er so groß und mächtig vor mir stand, fragte er mich, ob ich auch ein braves Kind gewesen sei, ich nickte, was sollte ich auch anderes tun. Auch meine Eltern nickten, wofür ich ihnen sehr dankbar war. Dann zählte er noch Situationen auf, in denen ich mich besser verhalten könnte. Aber der Krampus musste zum Glück draußen vor der Tür bleiben. Ich hörte seine Glocken läuten und die Rute auf den Boden schlagen – wie ein wildes Tier. Selbst als ich mir die hart verdienten Süßigkeiten in den Mund schob, war ich noch nervös, hatte Angst, dass der Krampus zurückkommt, ohne den Nikolaus, und mich doch mitnimmt. Auch meine Schwester hatte ihre halbe Kindheit Angst vor dem Nikolaus und seinem Begleiter, vielleicht prägte mich das auch.

Heute weiß ich, dass meine Eltern in der Pfarre, also der Kirche im Dorf, jedes Jahr ein Formular ausfüllten und mich für den Nikolaus anmeldeten. Schließlich lieben Kinder den Nikolaus. Zumindest viele. Auch ich fand in den folgenden Jahren Gefallen am Nikolaus, aber den Krampus hasste ich mein Leben lang. Auch heute noch.

Auch wenn mir mittlerweile klar ist, dass der Mann hinter dem Nikolaus-Kostüm abwechselnd ein Freund der Familie und mein Nachbar war – beide weder besonders groß noch furchterregend – wer im Krampus-Kostüm steckte, weiß ich bis heute nicht. Obwohl der Brauch des Nikolaus und des Krampus problematische Pädagogik bedient, ist es in Österreich immer noch weit verbreitet. Auch heute am Nikolaustag besucht das Gut-Böse-Paar wieder viele Kinder in Österreich und Deutschland.

Selbst Erwachsene betrifft das Thema noch. Denn die sogenannten Krampus- oder Perchtenläufe, wo vor allem Männer, aber auch Frauen, Krampus-Masken tragen und durch Dörfer laufen, haben Tradition und sind weit verbreitet. Zu den größten Umzügen mit über tausend Krampussen gehören der Lauf in St. Johann im Pongau sowie in Klagenfurt. Brauchtum, Zeitpunkt und Art variieren dabei stark nach Region. Umzüge finden von November bis Januar statt.

In den vergangenen Jahren haben diese Läufe extremen Zuwachs erlebt und sind immer wieder ausgeartet. Die als Krampusse verkleideten verhielten sich aggressiv und verletzten immer wieder Menschen. Seither herrscht auf vielen Krampusläufen mittlerweile ein Alkoholverbot. Auch dieses Jahr kam es zu Schlägereien und Sachbeschädigung. Menschen wurden bei einem Perchtenlauf in Kärnten verletzt. Im Burgenland wurde ein 11-jähriger Junge bei einem Perchtenlauf von einem Zuschauer getreten.

Unter der Maske wird oft ein toxisches Männlichkeitsbild ausgelebt

Gerade junge Männer leben unter der Maske ein toxisches Bild von Männlichkeit aus, das beschreibt Magdalena Berger für VICE. "Es sind vor allem weiße, männliche Jugendliche aus dem Mittelstand im ländlichen oder vorstädtischen Raum, die sich die Masken und Schafspelze aufsetzen. (...) Wenn es abends früh dunkel wird, herrscht unter den Jüngeren in den Schulen oft Krampus-Ausnahmezustand." Die Autorin ist ebenfalls in Österreich aufgewachsen und erzählt von Abenden, wo sie das Haus nicht verlassen wollte, weil Krampusse um die Häuser zogen.

Ich kenne viele Geschichten über Krampus und Nikolaus, manche berichten von regelrechten Traumata. Ein Freundin erzählte mir, dass  sie vor lauter Angst am Nikolaustag jedes Jahr mit ihren Schwestern die Gardinen zuzog, das Licht ausmachte und sich versteckte. Eine andere, dass ihr heute noch bei jeder Glocke, auch im Sommer auf der Alm, Angst und Bange würde, weil es sie wieder an den Krampus erinnert.

Natürlich haben nicht alle Kinder Angst vorm Nikolaus oder vorm Krampus. Es gibt auch Familien, die das Fest ganz anders lösen und sich alle gemeinsam verkleiden und es allen Spaß macht. Der Nikolaus ist eine schöne Tradition, den Krampus braucht aber wirklich niemand.

"Was geht mit Österreich?" Mit dieser Frage beschäftigt sich unsere Korrespondentin und Exil-Österreicherin Eva Reisinger in ihrer Serie. Sie lebt halb in Berlin und halb in Wien und erzählt euch, was ihr jeden Monat über Österreich mitbekommen müsst, worüber das Land streitet oder was typisch österreichisch ist. Wenn du unseren Österreich-Newsletter abonnierst, bekommst du ihn alle zwei Wochen in dein Postfach.