Ich hatte mal eine Freundin, die hat sich ihre Freundschaften im Laufe der Jahre zunehmend nach Wichtigkeit ausgesucht. So lange, bis ihre Partys zu reinen Netzwerktreffen wurden. Ich fand das ziemlich anstrengend und unentspannt, aber ihrer Karriere hat es definitiv geholfen.

Strategische Freundschaften im Job – sich also gezielt mit Kolleg*innen, Vorgesetzten und anderen wichtigen Leuten anzufreunden und dabei mit einem Auge auf das eigene berufliche Vorankommen zu schielen – ist das eher mephistophelisch-verwerflich oder doch recht normales Netzwerkverhalten?Karriereberaterin und Führungscoachin Anja Niekerken sagt: "Grundsätzlich würde ich unterscheiden zwischen netzwerken und sich anfreunden. Von außen ist das oft nicht so einfach zu erkennen." Ein Großteil der beruflichen Beziehungen und damit auch Karrieren entstünden nämlich nach der Arbeit, zum Beispiel abends an der Bar.

Mit anderen Worten: Wer mit Vorgesetzten oder anderen wichtigen Personen nach der Arbeit Weinchen trinken geht, tut das nicht unbedingt aus einem Impuls der Freundschaft heraus, sondern bastelt eventuell einfach emsig am Netzwerk. Das ist eine Frage der persönlichen Einstellung, Prioritäten und des eigenen Wertekosmos. Aber wie unterscheidet man dann zwischen Netzwerk knüpfen und aufrichtiger Sympathie?

Freundschaft im Job als Karriere-Booster

Der Übergang ist fließend. Nur, weil man gemeinsam mit jemandem nach Feierabend Kaffee, Cola, oder andere Heiß- oder Kaltgetränke einnimmt, heißt das nicht, dass man im nächsten Schritt Blutsgeschwisterschaft schwören muss. Andererseits können einem Chef*innen und Kolleg*innen auch schon mal so richtig feste ans Herz wachsen – ohne, dass dabei auch nur ein Gedanke an die Karriere verschwendet wird. Dazwischen gibt es etliche Abstufungen. So eine Freundschaft im Job entwickelt sich ja im Laufe der Zeit.

Doch dann gibt es da noch diejenigen, die sich gezielt neue Freund*innen als Karrierebooster suchen. "Wer wirklich eine strategische Freundschaft aufbaut, ist zumindest berechnend", sagt Anja Niekerken und erklärt weiter: "Das muss per se nichts Schlechtes sein, denn so lange das nicht zum Nachteil einer der beiden Parteien wird, ist ja im Grunde nichts Schlimmes passiert."

Bloß bewusst sein sollten sich die Beteiligten dieser Tatsache – beide sollten verstehen, woran sie sind. Sonst besteht die Gefahr, dass der*die eine von dem*der andere*n ausgenutzt wird. "Meiner Ansicht nach muss zwischen Netzwerken und strategischer Freundschaft unterschieden werden. Beide Parteien sollten das gleiche Verständnis von ihrer Beziehung zueinander haben", sagt Niekerken.

Ein entscheidender Hinweis auf die Art und Qualität der Beziehung zeigt sich laut Expertin im weitergefassten Rahmen der Job-Freundschaft: "Besteht sie auch außerhalb des beruflichen Kontextes? Nimmt man den beruflichen Aspekt aus der Freundschaft heraus, ist sie dann noch existent? Wenn ja, kann es durchaus sein, dass aus einer strategischen Freundschaft eine echte Freundschaft geworden ist."

Außerdem sei es hilfreich zu gucken, ob und inwieweit die Beteiligten sich gleichermaßen für die Freundschaft im Job engagieren und sich einbringen. Ein gewisses Gesamtgleichgewicht ist, genau wie auch in nichtberuflichen Beziehungen, ein gutes Zeichen für eine aufrichtige, gesunde, gleichberechtigte Freundschaft. Auch, wenn in der Job-Hierarchie massive Unterschiede bestehen.

Mein Kumpel, der*die Chef*in?

"Natürlich kann man mit Vorgesetzten befreundet sein", meint Anja Niekerken. Berufliches und Privates lässt sich eben nicht immer messerscharf trennen. Doch Freundschaften mit Chef*innen sind aus diversen Gründen nicht unheikel. Selbst, wenn die gegenseitige Sympathie aufrichtig ist, wird es beispielsweise Neider*innen geben, die diese Freundschaft als reine Kosten-Nutzen-Beziehung abwerten und lästern.

Auch zwischen den beiden Beteiligten muss einiges geklärt werden. Das betrifft insbesondere den (Nicht-)Austausch von Informationen. "Vorgesetzte können zum Beispiel den Informationsfluss strikt trennen und eben andere Freunde um Rat fragen, wenn es um berufliche Probleme geht", sagt die Führungscoachin. "Darüber hinaus dürfen Vorgesetzte die Freundschaft nicht ausnutzen, um Informationen aus der Belegschaft zu erhalten. Die Verantwortung hierfür liegt bei den Vorgesetzten."

Wie ist das aber mit Angestellten, die sich gezielt aus karrierestrategischen Gründen an Chef*innen ranwanzen – erkennen Vorgesetzte das nicht direkt? "Ja und nein. Das kommt natürlich darauf an, wie geschickt sich jemand anstellt", sagt Führungscoachin Anja Niekerken. "Vorgesetzte sind auch nur Menschen. Jeder hat schon mal erlebt, dass sich irgendwer aus irgendwelchen Gründen eingeschleimt hat und wir haben es nicht sofort oder vielleicht erst im Nachhinein bemerkt." Sich nicht ausnutzen lassen und gleichzeitig aber das Herz nicht komplett verschließen – gar nicht so einfach oben an der Spitze.

Bringt das überhaupt was?

Doch was nützen strategische Freundschaften im Job tatsächlich? Nicht, dass das ganze Smalltalken und Bierchen trinken am Ende vergeblich ist. "Wer in großen Unternehmen wirklich Karriere machen will, kommt ums Netzwerken nicht herum", meint Beraterin Anja Niekerken. Dieses Prinzip greift nicht nur bei internem Weiterkommen, sondern gilt logischerweise auch in gesamten Branchen.

Ganz ohne Nachteil sind strategische Freundschaften im Job nicht – auch, wenn die unmittelbar Beteiligten wissen, woran sie sind oder aus der ursprünglichen Netzwerk-Beziehung mit der Zeit eine richtige Freundschaft geworden ist. Und zwar in erster Linie für all diejenigen, die statt Social Butterflies eher so introvertierte Motten sind und deshalb trotz guter Qualifikation nicht wirklich weiterkommen.

"Das wird aber auch ohne eine strategische Freundschaft häufig der Fall sein, denn wir Menschen entscheiden unbewusst nach Sympathie und nicht bewusst nach Faktenlage", schränkt Anja Niekerken ein und erklärt: "Wenn Vorgesetzten also ein weniger qualifizierter Kollege sympathischer ist, wird dieser höchstwahrscheinlich bevorzugt." Genau das ist der Mechanismus, der bei strategischen Freundschaften im Job bewusst ausgenutzt wird.

So klappt’s mit Freundschaften im Job

Letztendlich ist es selbstverständlich jeder*m selbst überlassen, ob und inwieweit er*sie Freundschaften im Job schließen möchte oder nicht. Die Motive dafür sind individuell. Einige bauen tatsächlich ihr berufliches Netzwerk gezielt auf, andere lassen lieber ihr Herz sprechen und den Bauch entscheiden. Solange alle wissen, woran sie sind, ist beides okay.

Auf Freundschaften im Job verzichten – weil das zum Beispiel negativ ausgelegt werden könnte – ist also nicht nötig. Das sieht auch Anja Niekerken so: "Freundschaften sind für mich grundsätzlich immer eine gute Idee. Der Arbeitsplatz kommt erst nachgelagert."

Doch es kann nicht schaden, dabei ein paar Dinge zu berücksichtigen, offen miteinander zu reden und sich im Vorfeld schon mal über mögliche Konfliktsituationen Gedanken zu machen – zum Beispiel für den Fall, dass die eine Partei die Information hat, dass der*die andere entlassen werden soll.

"Es ergibt durchaus Sinn, vorher abzuklären, dass diese Information trotz der Freundschaft nicht rausgegeben wird. So kommt es später seltener zu Konfliktsituationen", sagt Anja Niekerken. "Gefühle kann man nicht trennen, aber durchaus den Informationsfluss. Eine echte, gute Freundschaft kann das aushalten."