Springerstiefel, Glatze und Bomberjacke: Ob rechtsextrem oder nicht, war schon mal offensichtlicher, rhetorische Mittel und Ausdrucksformen leichter zu identifizieren. Heute ist das anders. Links und rechts sprechen von Widerstand und Freiräumen, formieren sich im Schwarzen Block, tragen Kapuzenpullis und Sneaker. Dass sich die extreme Rechte in den letzten Jahrzehnten immer mehr an ehemals linken Aktionsformen und Symbolen bedient, ist kein Zufall, sondern Strategie.

So entstand beispielsweise Anfang der Nullerjahre die rechtsextreme Bewegung der sogenannten Autonomen Nationalisten, an der sich auch der heutige Aussteiger Christian Weißgerber beteiligte. "Wir wollten weg vom plumpen Skinhead-Kult, hin zu einer Subkultur, die für junge Menschen ansprechender war", erzählt er, während er für das Video durch seine alte Heimat Eisenach läuft. 

Die linksautonome Szene Berlins war damals das passende Vorbild. Um eine neue Klientel zu erreichen, gaben sich die Rechten fortan ein bisschen hipper, ein bisschen rebellischer und vor allem niedrigschwelliger. Eine Vorgehensweise, die sich heute auch auf andere rechtsextreme Gruppen, wie auf die Nipster der sogenannten Identitären Bewegung, übertragen lässt.

Wie sich die rechtsextreme Szene entwickelt hat, weiß auch der Geschäftsführer Peer Wiechmann vom Verein cultures interactive. Bei seiner Vereinsarbeit versucht er, Vorurteile abzubauen und über ideologie-motivierten Hass aufzuklären.

ze.tt: Herr Wiechmann, ist die rechtsextreme Szene in der Mitte der Gesellschaft angekommen?

Peer Wiechmann: Man kann sagen, dass sich rassistische und völkische Einstellungen heute selbstverständlicher durch Pegida und die AfD in der Mitte der Gesellschaft wiederfinden lassen. Aber zu einer rechtsextremen Szenezugehörigkeit gehört auch, dass die Personen in der Szene tatsächlich organisiert sind. Das ist in der gesellschaftlichen Mitte weniger gegeben. Ganz im Gegenteil: Alle kennen Aussagen wie: "Nein, ich bin kein Nazi, aber …", womit sich die Personen versuchen, zumindest vom neonazistischen Spektrum zu distanzieren, auch wenn Teile ihrer Einstellungen durchaus auf ein rechtsextremes Weltbild hindeuten.

Niemand will öffentlich rechtsextrem sein und trotzdem zeigt der Verfassungsschutzbericht von 2016, dass Gewalt im sogenannten asylfeindlichen Kontext nicht nur von organisierten Neonazis ausgeht. Verschwimmen die Grenzen?

Genau. Um rechtsextrem politisch motiviert und strafrechtlich relevant tätig zu werden, ist die Hemmschwelle niedriger geworden, und es bedarf nicht mehr zwingend einer Unterstützung der rechtsextremen Szene. Man wähnt sich wieder als Vertreter*in des sogenannten Volkswillens. Die Szene hat sich aber auch sehr ausdifferenziert. Wenn wir mit unserem Verein Distanzierungsarbeit mit Jugendlichen leisten – die beispielsweise zum Ausstiegswillen führt – taucht manchmal die Frage auf: Ein Ausstieg woraus eigentlich? Das hängt genau damit zusammen, dass wir es mit Menschen zu tun haben, die sich selbst nicht als rechtsextrem verstehen.

Der Skinhead-Kult scheint vorbei. Treffen stereotype Vorstellungen von Rechtsextremist*innen heute überhaupt noch zu?

Es gibt zwar in manchen Regionen wieder diesen Retro-Chic in rechtsextremen Szenen, mit Glatze und Bomberjacke rumzulaufen, das ist aber eher die Minderheit. Gerade mit aktuellen rechtsextremen Gruppen wie den Identitären haben wir beispielsweise eine rechtsorientierte, völkische Bewegung, die Anschluss an einen zeitgemäßen Lifestyle mit viel Action sucht. Dabei geben sie sich modisch und intellektuell. In ihrer Ausdrucksform und Strategie orientieren sie sich zunehmend an ehemals linken Protestformen, eignen sich Wörter wie Freiheit und Widerstand an und verkaufen diese als positive Eigenschaften ihrer Szene. Dabei ist innerhalb ihrer Ideologie die Vorstellung von Freiheit auf eine ganz bestimmte Gruppe von Menschen begrenzt.

Welche Menschen lassen sich von solchen Ideologien ansprechen?

In unserer Distanzierungs- und Jugendkulturarbeit haben wir die Erfahrung gemacht, dass Hass, Abwertung und Gewalt oft von Menschen angewendet wird, die auch selbst solche Erfahrungen gemacht haben. Insofern sieht es schon so aus, als würden rechsextreme Ideologien Zielgruppen ansprechen, die durch sie Aufwertung und Selbstbewusstsein erfahren. Dabei geht es hauptsächlich um Identitätsbildung. Zudem bewegt sich die Szene außerhalb der Gesamtgesellschaft, in der viele der Protagonist*innen weniger Anerkennung finden. Das heißt, für ein Ansehen in der Szene sind andere Dinge wichtiger als beispielsweise ein guter Schulabschluss. Und dann ist da natürlich noch die Action für den persönlichen Kick in der Gemeinschaft, die für gewisse Jugendliche anziehend sein kann. Im Sinne bester Erlebnispädagogik – etwas provokant gesagt.

Erlebnispädagogik?

Zum Beispiel machen die besagten Identitären aus der menschenverachtenden Einstellung des Rechtsextremismus ein Event. Diese sogenannten Nipster klettern auf das Brandenburger Tor oder pöbeln auf der Frankfurter Buchmesse rum. Sie bieten ein breites Erlebnisangebot, an dem teilgenommen werden kann, seien es Rechtsrockkonzerte, Flashmobs oder Demos – das Angebot wird immer niedrigschwelliger. Ich muss nicht erst in die Schmuddelecke der Neonazis, in der ich mich vielleicht sogar erst noch beweisen muss, bevor ich an den Aktionen teilnehmen kann.