Es ist Samstagabend, mehr als zwanzig Menschen stehen in einem Aufzug am New Yorker Flughafen JFK. Wie in jedem Aufzug schweigen sich die Menschen an. Plötzlich wendet sich ein Mann an seine Freundin: "Mein Rücken ist im Arsch. Nicht so schlimm im Arsch wie unser Land, aber…" Gelächter bricht aus. Die Stimmung ist gut in dieser Nacht, denn heute haben die Leute im Aufzug einen kleinen Sieg gegen dieses Land im Arsch errungen.

Am frühen Nachmittag fangen die Aufrufe über Twitter an: Protest gegen Donald Trumps Einreisepolitik am JFK. Aus einigen Dutzend Tweets werden Hunderte. Nach dem über Monate vorbereiteten Women’s March muss es dieses Mal spontaner gehen. Auf zum Flughafen, um für rund ein Dutzend Reisende zu demonstrieren, die einfach zufällig aus dem falschen Land kommen und laut eines Erlasses von Präsident Trump, dem sogenannten Muslim Ban, hier nicht mehr willkommen sein sollen. Sie haben teils über Jahre als Übersetzer für die USA im Irakkrieg gearbeitet oder wohnen seit Langem in den Vereinigten Staaten. Trotz gültiger Visa und Green Cards stecken sie im Transitbereich fest. An Tag acht der Präsidentschaft von Donald Trump gibt es sichtbare Opfer seiner Politik – und für die soll nun gekämpft werden.

Wer einmal in New York war, der weiß, wie Wochenendfahrpläne und Dauerbaustellen dafür sorgen, dass es aus Manhattans Innenstadt gerne mal zwei Stunden bis zum John F. Kennedy Flughafen dauert. Und trotzdem versammeln sich bis zum Abend weit mehr als tausend Leute am Terminal 4 und zeigen mit ihren Schildern und Sprechchören, dass es ein anderes Amerika gibt. Ausgerechnet die Menschen in der vom islamistischen Terror des 11. Septembers getroffenen Millionenmetropole setzen sich nun besonders lautstark für Toleranz und Offenheit ein. Und sie sind nicht allein: Überall im Land sind Tausende zu den Flughäfen gereist – Demonstrant*innen, Helfer*innen, Anwält*innen.[Auch auf ze.tt: #MuslimBan – Proteste und dramatische Szenen an US-amerikanischen Flughäfen]

Wer hier am Terminal 4 ist, will ein Zeichen setzen. Da sind die sarkastischen Schilder: "First they came for the Muslims – And we said: 'Not today, Motherfucker!'". Da sind die Kanister mit Kaffee von Dunkin’ Donuts, die jemand vorbeigebracht hat, damit sich die Menschen bei Temperaturen knapp über dem Gefrierpunkt aufwärmen können. Da sind die immer neuen Demonstrant*innen, die bis in die Nacht hinein zu den anderen stoßen und Pizza, Wasser und Müsliriegel verteilen. Da ist die Frau, die auf der Straße liegende Protestschilder und Müll einsammelt und in den nächsten Eimer bringt. Da sind die schnell zusammengeschobenen Tische im Terminal. Daran und auf dem Boden davor sitzen mehrere Dutzend Einwanderungsanwält*innen und bieten Angehörigen und Betroffenen kostenlos Rechtshilfe an. Sie schreiben die Anträge, mit denen die Festgehaltenen freikommen sollen.

In New York werden es schließlich so viele, die protestieren wollen, dass die Polizei am frühen Abend die Shuttle-Bahn des Flughafens sperrt. JFK ist ein weitläufiger Airport, von der nächstgelegenen Subway-Station Jamaica sind es acht Kilometer bis zum Terminal 4. Die angereisten Demonstrant*innen aus der Innenstadt stauen sich an den Aufgängen und Rolltreppen der Jamaica-Subway hoch zum Shuttle. Dort wird nur noch durchgelassen, wer ein Ticket hat oder am Flughafen arbeiten muss.

Auch Taxis fallen aus. Die Taxifahrergewerkschaft hat ihre Fahrer*innen für den frühen Abend angewiesen, aus Protest gegen Trumps Erlass keine Reisenden zum Flughafen zu bringen oder von dort abzuholen. Und trotzdem kommen weiter Demonstrant*innen mit Uber und Lyft in die Nähe des Terminals, ihre Ziele klar vor Augen: den Flugverkehr behindern, Ablehnung ausdrücken, "etwas tun, worauf eines Tages die Enkelkinder stolz sein werden", wie einer bei Twitter schreibt.

Im Terminal bricht Jubel aus

Es ist nicht der einzige wichtige Schauplatz dieses Abends. Einige Kilometer weiter kämpfen in einem Gericht in Brooklyn Jurist*innen für einen Stopp der neuen Einreiseregelung. Am Mittag hat die American Civil Liberties Union, eine der renommiertesten Bürgerrechtsorganisationen des Landes, eine Klage eingereicht. Sie wissen, dass sie nicht den kompletten Erlass zurückdrehen können, die es 218 Millionen Menschen weltweit verbietet, in die USA einzureisen. Aber die Richterin in Brooklyn soll veranlassen, dass die Menschen, die schon am Flughafen sind und dort festgehalten werden, nicht sofort in ein anderes Flugzeug gesetzt und deportiert werden dürfen. Es geht um 109 Personen, wie die Heimatschutzbehörde heute bekannt gegeben hat – wenige, aber sie sind ein Symbol.[Auch auf ze.tt: Wie Donald Trump zum Endgegner meiner Generation wurde]

Schließlich fällt das Urteil in Brooklyn. Die Reisenden in den Transitbereichen der USA dürfen vorerst nicht zurückgeschickt werden. Schnell verbreitet sich die Nachricht am Flughafen. Jubel bricht aus. An verschiedenen Stellen zwischen Terminal, Parkhaus und Taxizufahrt werden immer wieder Artikel über das Urteil vorgelesen. Viele Demonstrant*innen machen sich anschließend auf den Weg nach Hause.

Sie spüren, dass ihr kleiner Sieg nicht lange Bestand haben wird. Am heutigen Sonntag erscheinen bereits erste Analysen mit pessimistischem Fazit: Das Chaos an den Flughäfen sei von Trumps rechtem Medienstrategen Steve Bannon kalkuliert gewesen. Die Bilder aus JFK sollen die konservativen Wähler im Mittleren Westen nur noch mehr aufwiegeln gegen Terrorist*innen, Demonstrant*innen und die verhassten Massenmedien. Dauer-Trump-Verteidigerin Kellyanne Conway sitzt in den Polittalkshows und erläutert, dass doch ein wenig "Inconvenience" für 300 Reisende es wert sei, wenn alle Amerikaner dadurch vor Terror geschützt würden.

Und dennoch: An diesem Samstagabend haben die Widerständler ihre Macht gespürt.