In Hanau hat die Initiative 19. Februar einen Raum gegen das Vergessen eingerichtet, um die Erinnerung an die Opfer der rassistisch motivierten Anschläge wachzuhalten. Ein Interview mit Newroz Duman

13 Wochen sind die rassistisch motivierten Anschläge in Hanau her. Am 19. Februar 2020 hatte ein 43-jähriger Deutscher neun Menschen ermordet, in einer Shishabar und in einem Kiosk, danach tötete er seine Mutter. Bei den Anschlägen verloren Gökhan Gültekin, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Sedat Gürbüz, Vili Viorel Păun, Fatih Saraçoğlu, Hamza Kurtović, Ferhat Unvar und Kaloyan Velkov ihr Leben. Um ihre Erinnerung zu wahren und den Hinterbliebenen einen Ort zum Trauern und zum Austausch zu bieten, hat die Initiative 19. Februar in Hanau einen Erinnerungsraum eröffnet. Am Heumarkt, unweit der Shishabar, die der Attentäter als Angriffsziel ausgewählt hatte, sollen Menschen zusammenkommen, um sich auszutauschen und gemeinsam Kraft zu schöpfen.

Gleichzeitig soll die 140 Quadratmeter große Gedenkstätte auch eine Form des Widerstands darstellen, gegen den Rassismus in unserer Gesellschaft. Im Interview erklärt Newroz Duman, Mitbegründerin der Initiative 19. Februar, warum die Gedenkstätte im Kampf gegen das Vergessen helfen soll.

ze.tt: Newroz, wie kam es zu der Idee, eine Begegnungsstätte ins Leben zu rufen?

Newroz Duman: Wir sind direkt am Tag nach dem Anschlag in Hanau zusammengekommen, um zu schauen, wie wir die Angehörigen unterstützen können. Jeden Abend haben wir uns an einem anderen Ort getroffen, um über den aktuellen Informationsstand und unser gemeinsames Vorgehen zu sprechen. So ging das Ganze drei Wochen lang jeden Tag. Uns wurde bewusst, dass das, was in Hanau passiert ist, einen Raum braucht. Einen Ort, an dem die Menschen sich weiter vernetzen und austauschen können. Wir haben uns dann einen Raum am ersten Tatort, nämlich am Heumarkt, gesucht und ihn gestern offiziell geöffnet. Der Raum ist schon seit Wochen in Vorbereitung und war auch vorher jeden Tag geöffnet, sodass Menschen vorbeikommen und Einzelgespräche mit uns führen und sich informieren konnten.

Wir sind da und wir werden für Gerechtigkeit kämpfen. Die Namen dürfen nicht vergessen werden.
Newroz Duman

Wie verlief die Eröffnung?

Wir waren gestern bis Mitternacht da. Viele Angehörige sind den ganzen Tag über geblieben. Zu sehen, wie die Betroffenen zusammenkommen, ist sehr beeindruckend. Sie zeigen: Wir sind da und wir werden für Gerechtigkeit kämpfen. Die Namen dürfen nicht vergessen werden. Viele sind sowieso jeden Tag hier, weil das ihr Raum ist. Hier ist die Erinnerung lebendig. Das war gestern sehr stark spürbar. Alle fühlen sich wohl miteinander. Es wurde immer wieder gemeinsam geweint, aber auch über die Ermittlungen gesprochen. In diesem Raum geben wir uns gegenseitig Stärke, um weiterzumachen. Dabei betonen wir immer wieder unsere zwei wichtigsten Forderungen: kein Vergessen und eine lückenlose Aufklärung.

Es ist ein Ort des Zusammenkommens, des Trauerns, aber auch des gemeinsamen Organisierens.
Newroz Duman

Warum ist dieser Raum so wichtig für Hanau?

Dieser Raum ist lebenswichtig, weil wir in Hanau, die Angehörigen, die Betroffenen, die Unterstützer*innen, einen Ort gebraucht haben, der immer geöffnet ist und Unterstützung anbietet. Einen Raum, der versucht, alle zusammenzubringen. Für den keine Termine gemacht werden müssen, wo es keine Warteschlange gibt. Einen Raum als Ort der Erinnerung. Hier wissen die Leute, dass wir uns für eine lückenlose Aufklärung einsetzen. Es ist ein Ort des Zusammenkommens, des Trauerns, aber auch des gemeinsamen Organisierens.

Die Planung für die Begegnungsstätte ist noch nicht abgeschlossen und das soll auch so sein. Der Aufbau ist ein Prozess, der alle Beteiligten noch lange begleiten wird. Der Raum wurde jetzt eröffnet und es ist schon viel gemacht worden. Gemeinsam werden wir ihn weiterentwickeln.

Es geht um Aufklärung und es geht darum, politischen Druck auszuüben und echte Veränderungen anzustoßen.
Newroz Duman

Du sprichst davon, dass der Raum auch zum gemeinsamen Organisieren genutzt werden soll. Ist der Raum auch eine Form von Widerstand im Kampf gegen Rassismus?

Selbstverständlich. Wir bieten hier die Sicherheit und das Vertrauen, über Alltagsrassismus und den institutionellen Rassismus in der Gesellschaft zu sprechen. Es geht dabei ums Erinnern, ums Gedenken. Es geht um Aufklärung und es geht darum, politischen Druck auszuüben und echte Veränderungen anzustoßen.

Es ist wichtig, dass an allen Orten, in allen Städten und Räumen an das Geschehene erinnert wird.
Newroz Duman

Wie kann man euch unterstützen?

Wir haben gestern mit der offiziellen Eröffnung die Spendenkampagne 140 qm gegen das Vergessen gestartet. Als unabhängige Organisation sind wir auf Spenden angewiesen, um den Raum am Leben zu halten. Außerdem wünschen wir uns, dass überall in Deutschland an den Anschlag erinnert wird. Wie die Leute das machen, ob sie Poster aufhängen oder die Namen der Verstorbenen posten, ist egal. Es ist wichtig, dass an allen Orten, in allen Städten und Räumen an das Geschehene erinnert wird.