Kurz das Handy gezückt, einen Barcode gescannt und zack – schon ist ein kleiner Betrag an eine bedürftige Person überwiesen. So funktioniert Greater Change, eine App, die gerade im britischen Oxford getestet wird und die die Hemmschwelle senken soll, Obdachlosen Geld zu spenden. Doch was sich anfangs noch wie eine bargeldlose Möglichkeit der Obdachlosenhilfe anhört, wirkt bei näherer Betrachtung einfach nur perfide.

Denn die Menschen, die um Spenden bitten, müssen einen Ausweis mit Barcode um den Hals tragen, der bei Interesse von App-Besitzer*innen gescannt werden kann. Mit dem Smartphone lässt sich dann die Biografie der Person einsehen, genauso wie das Ziel, auf das gespart wird. Zum Beispiel die Kaution für eine Wohnung oder eine Winterjacke. Damit soll sichergestellt werden, dass die Person wirklich bedürftig und auf das Geld angewiesen ist – und es nicht in Alkohol oder Drogen investiert.

Denn diese Befürchtungen würden viele Menschen vom Spenden abhalten, meint Greater Change-Co-Gründer Alex McCallion. Der 23-Jährige hat in Oxford Wirtschaft und Management studiert und die Entwicklung der App gemeinsam mit der Obdachlosenhilfe vorangetrieben. "Die Leute zögern zu spenden, weil sie sich nicht sicher sind, was die Obdachlosen mit dem Geld machen", sagte McCallion gegenüber Deutschlandfunk Nova. Gerade die Angst, das Geld könne in Suchtmittel fließen, würde viele Menschen vom Spenden abhalten.

Damit stigmatisiert McCallion Suchterkrankungen und macht Obdachlose zu gläsernen Menschen, die ihr Innerstes offenlegen müssen, um das Recht, unterstützt zu werden, zu erhalten. Greater Change macht Obdachlose damit zu Crowdfunding-Projekten: Die Person mit dem nobelsten Sparziel möge vortreten und erhält als Belohnung einen Taler in den Becher – oder auf's zweckgebundene Konto. Damit werden die Machtverhältnisse zwischen obdachlosen Bittsteller*innen und Spendenden weiter zementiert und Betroffene gegeneinander ausgespielt.

Sucht ist keine Entscheidung

Es gibt die unterschiedlichsten Gründe, warum Menschen in Armut leben, ihre Wohnung verlieren oder obdachlos werden. Eine Suchterkrankung kann ein Faktor sein, der diese Prozesse auslöst oder beschleunigt. Ist jemand einmal an einer Sucht erkrankt, ist es sehr schwierig, diese zu überwinden – insbesondere dann, wenn man unter prekärsten Umständen lebt. Die Beschaffung des Suchtmittels ist in diesem Moment keine Entscheidung mehr, über die abgewogen wird, wenn die Grundbedürfnisse gedeckt sind. Nein, sie wird selbst zum Grundbedürfnis und für die erkrankte Person lebenswichtig, in manchen Fällen sogar überlebenswichtig. Denn ein kalter Entzug ohne Betreuung kann mitunter tödlich enden.

Der Zwang, seine Kaufentscheidungen offen zu legen, untergräbt die Idee des Spendens als eine bedingungslose Geste der Menschlichkeit. Wer genug hat, gibt jemand anderem, der*die es braucht, etwas davon ab. Doch der Akt des Spendens, insbesondere von kleinen Beträgen, berechtigt nicht dazu, zu erfahren, wofür die Person das Geld ausgeben möchte. Wer einer obdachlosen Person ein paar Euro in den Becher wirft – oder überweist – kann nicht erwarten, über die Verwendung des Geldes informiert zu werden. Denn so werden Betroffene gezwungen, private Informationen offenzulegen, die nur sie selbst etwas angehen.