Manchmal weiß man einfach nicht mehr, wo oben und unten ist. Oder vorne und hinten. Der Fotograf John Dykstra will mit seinen Fotos verwirren.

Die Umrisse eines Hauses sind zu erkennen, weiß, mit Kreide gezeichnet, hebt es sich vom Boden ab, wirkt dreidimensional; ein Apfel scheint in der Luft zu schweben, nur gehalten von einer unsichtbaren Ebene; eine Frau skizziert ihren eigenen Schatten an einer weißen Wand; zwei Menschen verstecken sich in Holzkisten. Betrachtet man die Fotos von John Dykstra zum ersten Mal, versteht man sie vielleicht nicht sofort. Der US-amerikanische Fotograf arbeitet mit Illusionen: "Ich glaube an die Kraft der Perspektive. In meiner Arbeit nutze ich einfache Effekte, um zu zeigen, wie unsere Perspektive auf das Leben unsere Wahrnehmung beeinflusst, sogar unser ganzes Leben beeinflusst", erklärt der 27-Jährige.

Sein Ziel sei es, Bilder zu erschaffen, die mit der Grenze zwischen Abstraktion und Realität spielen, irgendwo zwischen Tageslicht und Tagtraum. Auch wenn es auf den ersten Blick vielleicht nicht so wirkt: John bearbeitet seine Bilder so wenig wie nur möglich. Er nutze kaum Photoshop und nehme auch ansonsten keine großen Manipulationen an seinen Bildern vor, erklärt er. "In der Nachbearbeitung füge ich nichts weiter hinzu und entferne auch kaum etwas, nicht mal einzelne Haare. Alles in dem Bild sieht so aus wie in dem Moment, als ich es durch den Sucher der Kamera gesehen und aufgenommen habe."

Illusionen werden Wirklichkeit

Um seine Illusionen Wirklichkeit werden zu lassen, investiert der Fotograf viel Zeit. Es kann schonmal zehn bis 50 Stunden dauern, bis ein Foto zu Johns vollster Zufriedenheit ist. Alles beginnt mit einer Idee: "Ich setze mich hin, laufe ein Stück oder fahre eine Runde, um darüber nachzudenken, wie es mir in letzter Zeit so ging. Das führt dann meist dazu, dass ich auf ein Thema für ein Foto stoße, mit dem ich ausdrücken kann, wie ich mich fühle und wie ich das Leben so sehe", beschreibt er den Prozess. Seine Inspiration finde er dabei fast überall: in Malereien, Skulpturen, Büchern, in der Philosophie, Theologie, Esoterik, in Kindheitserinnerungen, in der Natur, durch Selbstreflexion und bei nächtlichen Spaziergängen.

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Ist die Idee dann erst mal gefunden, macht er sich einen Plan, versucht, seine Vision zu strukturieren – und dann setzt er die Theorie in die Praxis um. Er geht ins Studio, baut seine Kamera auf und legt los: "Dann skizziere ich Tonnen von Punkten und Linien ins Studio und mache davon dann ein Foto, um zu sehen, wie die Punkte und Linien im Bild aussehen." So kann John herausfinden, was er wohin malen muss, damit die Illusion im fertigen Foto auch perfekt ist. "Zum Schluss kommt dann das Model, aber das dauert meist nur knapp eine Stunde." Auf dem Computer passt John höchstens noch die Farben an – und dann ist das Foto fertig.

Ein Perspektivenwechsel kann der Schlüssel zur Selbstbefreiung sein.
John Dykstra

"Es ist einfach, sich ein Bild anzuschauen und ein voreiliges Urteil zu fällen: Entweder ein Foto ist echt und zeigt, wie etwas aussieht, oder es wurde irgendwie verändert. Auf meine surrealen Bilder trifft beides zu", beschreibt der Künstler seine Arbeit. Zudem betont er nochmals, wie wichtig ihm die Perspektive ist: "Ich arbeite mit den Illusionen der Perspektive als eine Art Symbol für die persönliche Perspektive auf das Leben. Wir alle haben eine bestimmte Perspektive auf die Welt, und abhängig davon, wie gesund diese Perspektive ist, können wir unnötig leiden oder daran wachsen. [...] Ein Perspektivenwechsel kann der Schlüssel zur Selbstbefreiung sein."

Weitere Arbeiten von John Dykstra findet ihr auf seiner Webseite, auf Facebook und auf Instagram