"Ich war schon ein bisschen aufgeregt, viel mehr als sonst" erzählt Sina* von ihrer ersten Telefon-Therapiestunde. Sina macht eine Psychoanalyse, die klassische Variante: So richtig mit Couch. Während der Sitzung ist Sinas Therapeut außerhalb ihres Sichtfeldes. "So viel anders war es dann auch gar nicht, da ich ihn während unserer Stunden sowieso nicht sehe."

Mehr als 1,5 Millionen Kassenpatient*innen sind in Deutschland pro Quartal bei niedergelassenen Psychotherapeut*innen in Behandlung, hinzu kommen Privatpatient*innen und Selbstzahler*innen. Viele Menschen also, deren gewohnte Face-to-Face-Behandlung derzeit durch eine andere Form der Begegnung ersetzt wird – durch das Telefon, wie bei Sina, oder durch Videotelefonie.

Verständlich, dass diese ungewohnte Behandlung zunächst ein wenig Unsicherheit auslöst. Schließlich gewährt man durch Videotelefonie – die meisten von uns kennen das Gefühl aus der Schalte mit den Kolleg*innen – auch private Einblicke, die sich ein kleines bisschen zu intim anfühlen können. Plötzlich schauen dein*e Kolleg*in oder dein*e Therapeut*in zu, wie du in deiner Küche Kaffee trinkst, aus der Tasse, die du bei dem Hipster-Kaffeeladen ums Eck stibitzt hast.

Das Gefühl von Sicherheit ist für eine erfolgreiche Psychotherapie essentiell. Einblicke in die eigenen vier Wände können dabei stören, eine angemessene Vorbereitung der Sitzungen aber helfen.

Ich erlebe, dass die Patient*innen sich teilweise sogar mehr öffnen und sich sicherer geben.
Anke Glaßmeyer

Anke Glaßmeyer ist Psychotherapeutin mit eigener Praxis und bietet ihre Sitzungen derzeit ausschließlich per Video oder, wenn die Internetverbindung es nicht hergibt, per Telefon an. Sie hat dabei sehr positive Erfahrungen gemacht: "Ich erlebe, dass die Patient*innen sich teilweise sogar mehr öffnen und sich sicherer geben. Sie sind dabei in ihrer gewohnten Umgebung, ihrem geschützten Rahmen und müssen auch das Haus vorher nicht verlassen, was bei einigen Patient*innen auch Stress bedeuten kann."

Suche dir einen geschützten Ort, an dem niemand zuhören kann

Die Vorbereitung für eine therapeutische Sitzung ist im Prinzip ganz ähnlich, wie wir sie auch für ein Meeting im Arbeitskontext treffen würden. Es gilt, ein möglichst störungsfreies Ambiente zu schaffen. Wir alle kennen vermutlich die Videos, bei denen Expert*innen fürs Fernsehen interviewt wurden und im Hintergrund lief plötzlich ein Kind fröhlich durch das Zimmer. Im Fernsehen vielleicht lustig, in einer Therapiesitzung definitiv unangebracht. "Man braucht auf jeden Fall einen geschützten Raum, wo niemand zuhören kann, damit man sich auch öffnen kann", erklärt Glaßmeyer.

Also vorab Mitbewohner*innen bitten, nicht zu klopfen oder in der Zeit einen Spaziergang zu machen, und den Hintergrund des Bildes so wählen, dass nichts zu sehen ist, was man lieber nicht teilen möchte. Auch wichtig: die Technik im Vorfeld einmal prüfen. Liegen das Headset oder die Kopfhörer parat, funktioniert das WLAN? Auch die Beleuchtung sollte hinreichend sein: "Es sollte kein ganz dunkler Raum sein, damit man Patient oder Patientin auch sehen kann", sagt Glaßmeyer. Was auch noch helfen kann: sich etwas Gemütliches anziehen. Bei einer Therapiestunde sollte man sich nicht auch noch mit engen Hosenbünden rumschlagen müssen.

Wer eine Psychotherapie macht, hat schon Krisen mitgemacht und so auch eher das Handwerkszeug, um mit einer neuen Krise wie Corona umgehen zu können.
Anke Glaßmeyer

Ansonsten, so Glaßmeyer, sollten sich Patient*innen vom ungewohnten Format nicht zu sehr beeindrucken lassen: "Bei einer Video- oder Telefonsitzung ist der Ablauf der gleiche. Ich mache keinen Unterschied in den Sitzungen. Ob wir 50 Minuten bei mir in der Praxis sitzen, oder jeweils zu Hause, es bleiben die gleichen Themen."

Wenn dich dein eigenes Bild in der Ecke deines Bildschirms ablenkt, kleb es zu

Glaßmeyer selbst nutzt einen zertifizierten Onlineservice für ihre Videositzungen. Der Service ist datenschutzrechtlich geprüft, sodass man keine Sorge haben muss, dass etwas aufgezeichnet werden könnte. Es gibt eine ganze Reihe solcher von Krankenkassen zertifizierter Tools. Wer dem Tool seiner*s Therapeut*in aus datenschutzrechtlichen Gründen skeptisch gegenübersteht, sollte das ansprechen, nicht alle Onlinetools, wie wir sie für Chats mit Freund*innen nutzen, sind auch für eine Therapie geeignet.

Ein anderer Aspekt, den wir wohl alle aus Videocalls kennen, ist der verflixte kleine Kasten, in dem man das eigene Bild sieht. Es kann ganz schön ablenken, wenn man aus dem Augenwinkel eine verrutschte Haarsträhne entdeckt oder einfach zu denjenigen gehört, die sich mit ihrem eigenen Bild unwohl fühlen. Glaßmeyer empfiehlt, diesen Kasten entweder – falls möglich – auszublenden oder mit einem Zettel abzudecken. Wer sich zu viel selbst beobachtet oder bewertet, kann sich damit sonst bei der Sitzung ablenken.

Anke Glaßmeyer berichtet von sehr guten Erfahrungen mit der Videosprechstunde: "Ich bin positiv begeistert." Und sie beobachtet auch, dass es vielen ihrer Patient*innen sogar verhältnismäßig gut geht gerade. Belastungen aus dem direkten Arbeitsumfeld oder der Uni seien weggefallen; so gebe es auch Entlastung: "Wer eine Psychotherapie macht, hat schon Krisen mitgemacht und so auch eher das Handwerkszeug, wie sie mit einer neuen Krise wie Corona umgehen können."

Und wer eine Onlinesitzung mitgemacht hat, sollte sich im Anschluss auch so verhalten wie nach einer Face-to-Face-Stunde: Einmal kurz durchatmen, nicht umgehend zurück an den Schreibtisch wetzen und zum Hörer greifen, sondern die Sitzung gedanklich eine Runde nachklingen lassen. Auf dem Sofa, bei einem Spaziergang oder einfach beim Starren aus dem Fenster.

*Name von der Redaktion geändert

Außerdem auf ze.tt: Diese Cartoons zeigen, dass Lachen die beste Therapie ist