Tarab ist arabisch und bedeutet: musikalische Begeisterung, Verzückung, Ekstase. Auf den ersten Blick ist davon nicht viel zu sehen. Sänger Abdallah Rahhal tobt nicht über die Bühne, er ist kein exaltierter Tänzer. In seinem dunklen Samtanzug mit dem Revers aus Satin sieht er eher aus wie einer vom Rat Pack. Manchmal klatscht er ein wenig, dann wieder holt er mit den Armen aus, lässt sie kreisen.

Um sein Publikum anzuspornen, reicht es eigentlich nicht. Und trotzdem jubeln die Menschen ihm zu. Sie singen lauthals, hüpfen, lassen die Hüften kreisen und die Arme wirbeln. Da ist sie, die Ekstase. Abdallahs Augen blitzen, er strahlt, man hört die Freude in seiner Stimme.

"Wenn ich auf der Bühne stehe, fühle ich mich, als wäre ich im Himmel. Als würde ich fliegen, ohne zu wissen, wohin."

Die Musik war es auch, die ihm vor über einem Jahr half, die gefährliche Flucht von Syrien nach Deutschland zu überstehen. Er sang, um sich und den anderen Geflüchteten Hoffnung zu geben.[Außerdem auf ze.tt: Aus dem Flüchtlingslager zu den Olympischen Spielen: Yusra Mardini schwimmt in Rio]

Der Start von Musiqana

Kaum war er in Berlin angekommen, luden Freunde Abdallah ein, bei "Refugees in Concert" zu singen, wo Laien und Profis auftreten durften. Bei dem Konzertabend im Januar 2016 traf der 28-Jährige auf Alaa Zaitouna, der Oud spielt, eine Art Laute, die im Nahen Osten verbreitet ist. "Ich fragte ihn, ob er auch allein nach Berlin gekommen sei und er sagte ja. Und dann beschlossen wir, etwas zusammen zu machen", erinnert sich Abdallah. "Wir spielten einen Song und es war wirklich gut. Als würden wir seit Monaten zusammenspielen."

Der nächste Schritt: Klar, sie gründeten eine Band. Nach und nach kamen weitere Musiker dazu. Heute sind sie zu sechst und nennen sich Musiqana. Auf deutsch heißt das "unsere Musik". Die möchten sie den Deutschen näher bringen.

Ein Stück Aleppo in Berlin

Die hellen Töne einer Qanun, einer Art Zither, klingen durch den denkmalgeschützten Saal des Stummfilmtheaters Delphi in Berlin, vermischen sich mit den Rhythmen der Trommeln von Serdar Saydan und dem an- und abschwellenden Gesang von Abdallah. Es ist der Sound von Aleppo: Die Stadt wird auch Mutter des Tarab genannt. Sie ist auch Abdallahs Heimatstadt.

"Tarab ist sehr kompliziert zu lernen, aber es ist großartig, wenn man es hört – und fühlt."

Tarab ist eine Art Chanson, bei dem sich orientalische und europäische Musik mischen. Das zeigt sich auch auf der Bühne: Zwischen Alaa an der Oud und Hazem Nassreddine an der Qanun sitzen Gitarrist Adel Sabaawi und Bassist Bilal Hammour. In Zukunft möchten die Musiker die Kulturen noch mehr vermischen. "Wir lernen gerade viel über europäische Musik und möchten gern mit anderen Musikern zusammen proben oder Konzerte geben", sagt der Sänger.

Wie Syrien tanzt

Wer an Aleppo denkt, dem fallen zuerst die furchtbaren Nachrichten über die eingekesselte Stadt ein, von zerbombten Straßenzügen, Krankenhäusern ohne Verbandszeug, traumatisierten Kindern ohne Eltern.[Außerdem auf ze.tt: "Apocalypse, that’s how it felt" – Whatsapp-Interview mit einem Flüchtling aus Aleppo]

Doch Musiqana möchte zeigen, dass Syrien mehr ist als Krieg und Gewalt. Wer die Konzerte besucht, erlebt, wie die Menschen in Syrien feiern, wie sie tanzen und was sie lieben. Das scheint zu funktionieren: Anfangs trat die Band zwar vor allem bei Benefiz-Konzerten für andere Flüchtlinge auf. Inzwischen hat sich das geändert. Etwa die Hälfte des Publikums komme aus Deutschland, berichtet Abdallah. Mehr als 20 Konzerte haben die Musiker gegeben, eines davon in der Berliner Philharmonie. Im Dezember veröffentlichten sie ihr erstes Album "El Helwa Di", das schöne Wesen.

"2016 war ein großer Schritt für uns", sagt Abdallah. "Aber gleichzeitig war es auch schrecklich. Wir hören ja die Nachrichten aus Syrien, von den Menschen, die getötet werden."

Zumindest für kurze Zeit können alle, die im Konzertsaal zusammengekommen sind, diese Nachrichten vergessen. Sie singen und lachen und tanzen zusammen. Begeistert. Verzückt. Ekstatisch. Eben Tarab.