Plötzlich hing ein Mobile über dem Bett meiner Großmutter. Ihr Blick war stets starr darauf gerichtet, auf ihrem Gesicht gab es nach außen keine Mimik mehr und, wie ich mir immer vorstellte, auch kein Leben mehr im Inneren. Wieso? Demenz. Sechs Buchstaben, ein Wort, eine Diagnose, die nicht nur für die Betroffenen, sondern auch ihre Angehörigen einen niederschmetternden Beigeschmack hat. Ich hatte ihn mir selbst schon auf der Zunge zergehen lassen müssen. Als ich für mein Studium von zu Hause wegzog, traten die Symptome bei meiner Großmutter immer deutlicher zum Vorschein. Sie musste in ein Pflegeheim umziehen.

Meine Mutter war mit der Situation auf sich allein gestellt. Sie hatte nicht nur verkraften müssen, dass sie das Leben ihrer eigenen Mutter nach und nach ausmisten musste, sondern auch, dass diese Mutter uns alle Stück für Stück vergaß. Damit umzugehen war schwer, für sie natürlich noch mehr als für mich. In dem Pflegeheim, das wir für meine Oma ausgesucht hatten, traten mit der Zeit immer größere Pflegemängel auf. So groß, dass selbst in den Medien darüber berichtet wurde und das Heim kurz vor der Schließung stand. Zwar konnten wir sie rechtzeitig in ein besseres Heim versetzen lassen, doch ihr Gesundheitszustand hatte sich bereits drastisch verschlechtert. Dass in der Pflege oft aus diversen Gründen Dinge falsch laufen, zeigt auch dieser Artikel. Umso wichtiger ist es, den Problemen etwas Positives entgegen zu setzen. Dies ist kein Text über Pflegeskandale und politische Versäumnisse, sondern eine von vielen Antwortmöglichkeiten auf die Frage: Was kann man ändern?

Selbst aktiv in der Pflege werden

In der Heimzeit meiner Großmutter habe ich mich immer gefragt, was ich als Enkelin hätte besser machen können, um ihr zu helfen. Welche Unterstützung hätte uns als Familie geholfen? Meine Antwort war: Menschen von außen, Entlastung. Durch eine Freundin, die sich bereits ehrenamtlich engagierte, wusste ich, dass es diese Hilfsangebote gibt. Bereits zu Schulzeiten hatte wiederum eine andere Freundin wochenends einen Mann im Heim besucht und mit ihm Schach gespielt. Das hatte mir imponiert, doch wenn ich ehrlich bin, hatte ich ihr Handeln damals gar nicht richtig verstanden. Das Wort Ehrenamt war für mich früher immer mit Kirche und zu großem Zeiteinsatz behaftet.

Meine Freundinnen als Vorbilder und die eigene Erfahrung lösten dann Jahre später in mir den Wunsch aus, selbst aktiv zu werden. Die Person zu sein, die uns damals geholfen hätte. Ich wollte irgendetwas tun, da ich meiner eigenen Familie durch mein Studium in einer anderen Stadt nicht helfen konnte. Deshalb beschloss ich, selbst ein Ehrenamt zu beginnen.

Wie ich zu meinem Ehrenamt in der Pflege fand

Der Entschluss stand und die Idee, welches Ehrenamt ich gerne machen würde, auch. Ich hatte mal von diesen Demenz-WGs gehört, in denen eine kleine Gruppe von Menschen, die daran erkrankt ist, zusammenlebt und betreut wird. Die Idee gefiel mir, besonders nach den schlechten Erfahrungen im Pflegeheim. Für mich stand fest: Ich möchte den persönlichen Bezug zu einer Person suchen, die ich intensiv betreuen kann. Mein Wunsch war es, den erkrankten Menschen etwas zu geben und vor allem, Angehörige zu entlasten.

Ich recherchierte Träger, bei denen ich als Ehrenamtliche beginnen konnte. Dabei stieß ich auf diverse Einrichtungen wie die Johanniter, den Verein Selbstbestimmtes Wohnen im Alter und das Projekt Haltestelle der Diakonie, an das ich mich dann letztlich wandte. Das Projekt möchte Menschen, vor allem mit Demenz, im Alltag für ein paar Stunden unterstützen. Ich erklärte also mein Interesse, Teil des Ehrenamt-Teams zu werden und traf die damalige Leiterin des Stadtteils, in dem ich tätig sein wollte, zum ersten Gespräch.

Ins Ehrenamt in der Pflege einsteigen

Dort lernte ich schnell: So einfach ins kalte Wasser springen – das geht nicht. Zunächst durfte ich einen Ehrenamtskurs absolvieren, der mir finanziert wurde und den ich für sehr wichtig halte. Denn um mit Menschen mit Demenz umgehen zu können, benötigt man viel Wissen um das Krankheitsbild, den Umgang und die rechtlichen Grundlagen, die man als Ehrenamtler*in hat. Nachdem ich ihn abgeschlossen hatte, ging alles sehr schnell und ich bekam meinen ersten Besuchsdienst zugeteilt: Mira.

Für kurze Zeit besuchte ich sie einmal wöchentlich in ihrem kleinen Zuhause. An solchen Tagen unterhielt ich mich mit ihr, hörte zu. Sie zeigte mir Bilder aus ihrer Kindheit in Polen, erzählte von den verschiedenen Berufen, die sie damals ausübte. Einmal lasen wir uns zusammen aus einem Buch mit polnisch-deutscher Übersetzung vor. Ich die deutschen, Mira die polnischen Passagen. Das waren sehr schöne Momente, doch lange konnte ich sie nicht besuchen, da auch sie in ein Pflegeheim ziehen musste. Mira war nicht nur eine wunderbare Frau, sondern auch eine wichtige Lektion für mein Ehrenamt. Plötzlich erinnerte mich alles, was mit ihr passierte, an meine Großmutter. Ich verstand: Emotional an die Sache heranzugehen ist wichtig, aber auch, dabei die nötige Distanz zu wahren. Denn den erkrankten Menschen helfen und ihnen etwas geben kann man nur, wenn man selbst nicht zu sehr belastet ist.

Emotional an die Sache heranzugehen ist wichtig, aber auch, dabei die nötige Distanz zu wahren."

Nachdem ich noch ein paar Besuche bei anderen Klient*innen absolviert und weitere Erfahrungen gesammelt hatte, wuchs in mir der Wunsch, mein anfängliches Ziel doch noch mal zu verfolgen. Ich wechselte von den Hausbesuchen zu einer Demenz-WG, die ohnehin schon in unserem Projekt involviert war.

Projekt Demenz-WG

Dort bekam ich die Möglichkeit, eine Dame, Frau A., im Wohnprojekt zu besuchen. Das mache ich auch heute noch ab und zu. Das Haus, in dem die WG sitzt und der intime Rahmen gefallen mir sehr. So etwas hätte ich mir für meine Großmutter auch gewünscht.

Das selbstbestimmte Wohnen wird hier groß geschrieben, es herrscht eine familiäre Atmosphäre. Selbst wenn es hier sicherlich ab und an zu Unterbesetzungen kommt, hatte ich bisher immer das Gefühl, dass die Pflegekräfte gezielter mit ihren Bewohner*innen umgehen können und somit eine direktere Betreuung stattfindet.

So etwas hätte ich mir für meine Großmutter auch gewünscht."

Das liegt vor allem auch daran, dass so viele Ehrenamtliche hierher kommen. Sie können sich in ihrer Besuchszeit darauf konzentrieren, schöne Dinge mit den Bewohner*innen zu machen, für die in der alltäglichen Pflege keine Zeit bleibt. Das heißt: mit ihnen spazieren zu gehen, kognitive Angebote anzubieten; zu spielen, singen, vorzulesen, zu basteln, Gedächtnistraining zu absolvieren.

Dass das wichtig ist, bestätigt mir auch die 24-jährige Elena bei meinem letzten Besuch. Sie befindet sich im zweiten Lehrjahr ihrer Ausbildung zur Altenpflegerin und absolviert derzeit ein Praktikum in der Demenz-WG. Da Elena normalerweise stationär arbeitet, sieht auch sie Unterschiede zum selbstbestimmten Wohnen: "Bei uns auf Station sehe ich kaum Ehrenamtliche, was sehr schade ist, da wir teilweise zu dritt zuständig für 28 Bewohner*innen sind. Da bleibt keine Zeit zum Spielen. Hier in der WG sind wir am Morgen vier Leute auf elf Bewohner*innen. Das ist ein ganz anderes Arbeiten als das stationäre."

Ich frage sie, wie sie die Arbeit von Ehrenamtlichen einschätzt: "Die Hilfe von Ehrenamtler*innen ist sehr wichtig. Wir Pflegekräfte haben nicht immer die Zeit, zum Beispiel mit den Bewohner*innen spazieren zu gehen. Deswegen ist es wichtig, dass sich Leute ehrenamtlich engagieren. Nicht nur für uns, auch die Menschen freuen sich über einen Tapetenwechsel und darüber, mal ins Café gehen zu können. "

Und das stimmt. Es ist kein Klischee, zu sagen, dass man im Ehrenamt etwas zurückbekommt. Bei all meinen Besuchen bei Frau A. hat mir ein Lächeln, ein Lachen, eine positive Reaktion mit ihr gereicht, um zu wissen, dass das, was ich tue, Sinn macht und hilft. Auch Elena findet, dass die schönsten Momente die sind, wenn man den Menschen ein Lächeln ins Gesicht zaubern kann. Und wenn ich mich erinnere, wie Frau A. laut gejubelt hat bei einem unserer Spaziergänge oder plötzlich wieder ganz lebendig wurde, wenn sie draußen Kinder lachen hörte und Hunde bellen, dann weiß ich, dass es diese kleinen Momente sind, die mein Handeln bestärken.

Sich in einem Ehrenamt zu engagieren, lohnt sich. Vor allem als junger Mensch, für den es weniger anstrengend ist, einen schweren Rollstuhl zu schieben oder neben dem Studium ein kleines Zeitfenster für andere Menschen zu finden. Denn die meisten Ehrenamtler*innen in meinem Team sind deutlich älter als ich und ich denke, dass, selbst wenn man sich nicht gerne mit der Thematik Alter beschäftigt, es uns doch alle verbindet.

Wenn ihr also auch schon mal die Idee hattet, schaut es euch an, werdet aktiv. Es gibt unzählige Möglichkeiten, sich für Menschen im Alter einzusetzen. Und das Schönste: Es wird eigentlich immer mit tiefer Dankbarkeit belohnt.

Noch ein Doku-Tipp: Bei 3sat gibt es eine schöne Dokumentation über verschiedene Einrichtungen, die alternative Projekte für Menschen mit Demenz vorstellt

Filmtipp: Vergiss mein Nicht von David Sieveking