Man stelle sich vor, Lara Croft wäre nie erfunden worden. Die weiblichen Figuren in Videospielen wären womöglich weiterhin wehrlose Prinzessinnen ("Super Mario") oder weinerliche Mütter ("Pokémon"): nette Weibchen, die gerettet oder besänftigt werden müssen. Nicht mehr als freundliche Sidekicks – und ganz sicher keine Hauptcharaktere mit Tiefgang. Nur allzu gerne wurden bis 1996 weibliche Figuren in Videospielen mit Schleifchen ("Ms. Pacman") und pinker Kleidung dargestellt.

Glücklicherweise erblickte vor genau 20 Jahren, am 25. Oktober 1996, Lara das Licht der Welt. An diesem Tag erschien das Abenteuerspiel "Tomb Raider" mit ihr in der Hauptrolle. Gewöhnlich an Lara war, dass sie sehr weit springen und gut klettern konnte.

Ungewöhnlich für eine weibliche Spielfigur war, dass sie kämpfte – bisher wurde ja vorwiegend um Frauen gekämpft. Außerdem bekam sie eine umfangreiche Hintergrundgeschichte spendiert; eine wohlhabend britische Erbin mit Promotion in Archäologie. Und noch etwas war neu in der Spielebranche – was ihre Persönlichkeit verdrängte: Laras Sexiness. Sie erschien in Hotpants und mit Riesenbrüsten auf der Bildfläche.

Als Toby Gard Lara Croft erfand, wollte er eine weibliche Version von Indiana Jones schaffen. Eine toughe Abenteurerin, die durch die Grabkammern dieser Welt kriecht und Schätze entdeckt. Dass sie riesige Polygonen-Brüste bekam, bezeichnet man beim Entwickler Core Design bis heute als Versehen. Man könnte auch unterstellen: Es war wirtschaftliches Kalkül. Denn trotz der hakeligen Steuerung verkauften sich vom ersten "Tomb Raider" laut Angaben des Entwicklerstudios sieben Millionen Kopien – nicht zuletzt, weil die Hauptfigur in Spielmagazinen so sexy dargestellt wurde.

Das machte Lara Croft zu einem popkulturellen Phänomen – und die Spielereihe "Tomb Raider" zu einem der bekanntesten Spielefranchises. Es folgten Verfilmungen, literarische Begleitwerke, 1998 war Lara Croft Teil des Musikvideos zu "Männer sind Schweine" von den Ärzten.

Lara befeuerte einen Diskurs über das Rollenbild von Frauen in Videospielen

Mit Hotpants und Doppel-D schaffte sie es in den Mainstream. Je mehr Aufmerksamkeit Lara bekam, desto energischer wurde auch über sie diskutiert. Und auch über die Darstellung von weiblichen Spielfiguren im Allgemeinen. Lara sei altbacken und habe mit dem Bild einer modernen Frau nichts zu tun, sagten Kritiker*innen. Sie sei Sinnbild dessen, was in der medialen Darstellung falsch laufe. Dadurch wurde ein Diskurs nicht nur in der Spielbranche, sondern auch darüber hinaus möglich.

Einer Jill Valentine ("Resident Evil"), einer Samus Aran ("Metroid") oder Zelda hatte es dafür an Strahlkraft gemangelt. Es hatte Lara Croft als übersexualisierte Figur gebraucht, um die Diskussion über Sexismus in der Gamer-Welt zu befeuern.

Die Diskussionen fruchteten, das kann man inzwischen sagen. Die (Gamer-)Gesellschaft hat sich gewandelt – und dafür ist Lara Croft der beste Beweis. Wenn man so will, ist Lara heute nämlich das, was sie damals hätte sein sollen: eine unabhängige Frau, mit Persönlichkeit und Geschichte. Und seit dem Reboot der "Tomb Raider"-Reihe 2013 hat Lara die Hotpants gegen lange Hosen eingetauscht. Ihre Brüste sind auf eine realistischere Größe geschrumpft.

Man spielt eine junge Frau, die versucht, in einer düsteren Welt zu bestehen, die mit sich selbst hadert, die Gewalt hinterfragt. Lara Croft steht heute stellvertretend für ein differenzierteres Frauenbild in der Spielebranche.