Umut V.* arbeitet als Redakteur bei einem türkischen Internetportal, das über Politik in der Türkei und im Nahen Osten berichtet, Nachrichten anderer Medien sammelt und teilt. Dabei gibt es derzeit wirklich angenehmere Jobs in der Türkei. Um ihn nicht in Gefahr zu bringen, muss Umuts Identität für diesen Beitrag anonym bleiben.

Gut bestellt war es um die Pressefreiheit in der Türkei noch nie, doch seit mehreren Jahren werden die Bedingungen für Journalist*innen zusehends schwieriger. Das zeigt auch der jüngste Fall des deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel, der seit Februar in Istanbul in Untersuchungshaft sitzt, die bis zu fünf Jahre dauern kann.

Umut hat sich mit dem Druck, unter dem Journalist*innen in der Türkei arbeiten, gezwungenermaßen abgefunden: "Es ist in der Türkei nichts Neues, dass Journalisten inhaftiert, mundtot oder sogar ermordet werden. Das ist schon seit Jahren so", sagt er und zündet sich eine Zigarette an. Der Mittzwanziger scheint nervös, raucht eine nach der anderen und trinkt schwarzen Tee, während wir uns in seiner kleinen Istanbuler Wohnung unterhalten. Er ist von schlaksiger Statur, hat die Haare hochgesteckt und Tattoos am Arm.

Umut studiert Geschichte und schreibt nebenbei News, nachts. Vor einiger Zeit kam ein Freund und heutiger Kollege auf ihn zu und bot ihm bei einem regierungskritischen Nachrichtenportal einen Job ab. Dass er dafür die ganze Nacht arbeiten sollte, störte ihn nicht. Während die meisten Kolleg*innen schlafen, sitzt er vor seinem Laptop, durchforstet Nacht um Nacht die Nachrichtenkanäle und sozialen Netzwerke der Türkei.

Es reicht schon, kein Anhänger der Regierung zu sein. Viele von uns landen dann einfach im Knast."

Als Nachtredakteur verfolgt er die Berichterstattung anderer Medien, sortiert, was relevant ist, repostet und fasst Nachrichten für fast 700.000 türkische Follower*innen auf Facebook zusammen. Das Onlineportal wird stündlich aktualisiert. Menschen in der Türkei sind noch verrückter nach Sozialen Medien als in anderen Ländern, das weiß auch Umut. Es gibt kaum junge Türk*innen ohne Account auf einer der einschlägigen Plattformen. Facebook, Twitter und Instagram sind allgegenwärtig und auch für Umut und seine Arbeit nicht mehr wegzudenken.

Viele Seiten, die vom Netz genommen werden, gehen in anderer Form wieder online

Besonders nachdem die Gezi-Proteste 2013 das Land aufrüttelten, wurden etliche von Umuts Kolleg*innen, die sich kritisch äußerten, auf Druck der Regierung entlassen. Seiner Ansicht nach wurde die Lage für Journalist*innen in den letzten Jahren immer schwieriger. Den Putschversuch im Sommer 2016 bezeichnet er als eine weitere "Haltestelle auf dem Weg in die Diktatur", danach habe sich die Situation für die türkische Presse noch mal extrem verschärft. Dabei kann sogar schon ein einzelner Tweet negative Konsequenzen haben und verhängnisvoll sein. "Um als Journalist verfolgt zu werden, muss man nicht mal zur Opposition gehören. Es reicht schon, kein Anhänger der Regierung zu sein. Viele von uns landen dann einfach im Knast", erzählt er nüchtern.

Noch können Umut und seine Kolleg*innen, die sich kritisch mit den politischen Entwicklungen im Land auseinandersetzen, weiterarbeiten. Aber: Nach fast jedem Terroranschlag der vergangenen Monate wurden umgehend Nachrichtensperren verhängt und Soziale Medien im ganzen Land gesperrt. Umuts Redaktion hat den Zorn der Regierung um Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan bereits zu spüren bekommen.

Gegen den Betreiber ihrer Seite läuft ein Verfahren, wie Umut erzählt. "Er hat jetzt eine Ausreisesperre bekommen und muss sich jede Woche in einem Polizeiabschnitt melden. Wir haben einfach sehr oft Nachrichten geteilt, die nicht auf Regierungslinie sind." Mehrfach wurde ihr Portal schon geschlossen und dann doch wieder von der Redaktion in Betrieb genommen. In der Praxis eröffnen viele geschlossene oder vom Verbot betroffene türkische Medien ihr Medium in ähnlicher Form neu wieder. Gegen Umuts ehemaligen Chefredakteur lief sogar bereits ein Prozess. "Deshalb hat er sich ins europäische Ausland abgesetzt."

Besonders seit dem Putschversuch holt die türkische Regierung zu einem beispiellosen Schlag gegen regierungskritische und unabhängige Medien aus; allein seit Juli 2016 wurden über 100 Medieninstitutionen geschlossen. Laut der Organisation Reporter ohne Grenzen ist die Türkei sogar das Land mit den meisten inhaftierten Journalist*innen. Das Ziel der Regierung? Das Schaffen einer Medienlandschaft, in der die Opposition keine Stimme mehr hat. Auf der Rangliste der Pressefreiheit für 2016 belegt die Türkei den Platz 151 von insgesamt 180 Plätzen – hinter Staaten wie Pakistan oder Afghanistan. "Auch in den 1990er Jahren war die Situation schlimm, Journalist*innen wurden verhaftet oder ermordet", sagt Umut. "Heute ist es fast wieder wie in den 90ern."

"Der Druck ist schon so enorm, dass es keinen Unterschied mehr macht"

Vor der Volksabstimmung über die Einführung eines Präsidialsystems am 16. April ist Kritik an den Mächtigen besonders ungern gesehen. Die freie Presse wird Schritt für Schritt ausgeschaltet. Die zukünftige Situation für Journalist*innen im Falle eines für die Regierung erfolgreichen Referendums sieht Umut trotzdem eher pragmatisch. "Für das ganze Land könnte sich natürlich sehr viel ändern. Aber der Druck, unter dem wir Journalisten stehen, ist bereits so enorm, dass es kaum einen Unterschied mehr machen wird." Auch für den Fall, dass die türkische Bevölkerung die Verfassungsänderung ablehnen wird, ist er wenig optimistisch. "Wenn das Nein-Lager gewinnt, wird der andauernde Ausnahmezustand dafür sorgen, dass sich trotzdem nichts verbessern wird."

Es scheint eine Atmosphäre der Angst zu herrschen unter Journalist*innen, aber extrem vorsichtig wirkt Umut bei seiner Arbeit nicht. Das Berufsrisiko als Journalist*in in der Türkei ist dem Mittzwanziger bewusst. "Wer in der Türkei als Journalist oder Journalistin arbeitet, weiß, dass jeder Zeit die Möglichkeit besteht, den Job zu verlieren, eine Geldstrafe zu erhalten oder sogar verhaftet zu werden." Als Journalist*in in der Türkei kritisch zu berichten, gleicht einem Spiel mit dem Feuer, aber damit scheint Umut sich arrangiert zu haben. "Meine Familie macht sich eigentlich mehr Sorgen als ich und hat Angst, dass ich verhaftet werde", sagt er und zündet sich die nächste Zigarette an. "Schon dieses Interview zu geben, könnte dazu führen, dass meine Situation heikel wird."

"Es ist wichtig, dass wir nicht aufgeben"

Ehemalige Kolleg*innen Umuts haben den Beruf aufgrund der Situation der Presse im Land aufgegeben. Andere haben nach einer auferlegten Kündigung oft keine Chance mehr auf eine neue Stelle, erklärt er. Auch Selbstzensur aus Angst vor Konsequenzen ist eine Folge der anhaltenden Repressionen von Journalist*innen, Autor*innen oder Künstler*innen. "Aber es ist wichtig, dass wir nicht aufgeben und uns nicht zensieren lassen – weder von anderen, noch durch uns selbst", betont er. Optimistisch stimmt ihn, dass sich einige türkische Journalist*innen ins Exil begeben und versuchen, zum Beispiel in Deutschland oppositionelle Medien aufzubauen. Denn die Türkei brauche die Solidarität aus dem Ausland, wie Umut meint. "Ich denke, jeder Journalist würde mir zustimmen, dass uns das Hoffnung gibt."

Die Festnahme Deniz Yücels hat gezeigt, dass es mittlerweile auch trügerisch wäre, sich noch als Korrespondent*in aus dem Ausland in der Türkei sicher zu fühlen. Ob sich die Lage für Journalist*innen in der Zukunft wieder bessern könnten, lässt sich für Umut nicht vorhersehen: "Hier ändert sich alles so schnell. Aber natürlich habe ich den Wunsch, dass dieser Druck, den wir erleben, die Verhaftungen und die Morde eines Tages kein Problem mehr sein werden".

*Die Namen des Protagonists, der beiden Redakteure und der Fotografin sind der Redaktion bekannt, werden aber zum Schutze dieser hier gar nicht bzw. als Pseudonym angegeben.