Was ist, wenn am Ende des Lebens das Leiden so groß ist, dass es alles an Lebensfreude überwiegt? Wenn keine Aussicht darauf besteht, dass dieses Leiden abnimmt, und man wieder zu einem selbstbestimmten Leben zurückkehren kann? Hat man die Freiheit, über den eigenen Tod zu bestimmen? Oder ist man dazu verdammt, auf den Tod zu warten?

Suizid zu begehen, ist in Deutschland nicht strafbar. Laut dem Bundesverwaltungsgericht gehört zu den allgemeinen Persönlichkeitsrechten, dass eine schwer und unheilbar erkrankte Person darüber entscheiden kann, wie und wann sie ihr Leben beenden möchte. Ebenfalls nicht strafbar sollte es sein, einer solchen Person bei ihrem ausdrücklichen Wunsch zu helfen – etwa, indem man ihr eine tödliche Dosis an Medikamenten bereitstellt, sodass sie nicht gezwungen ist, sich selbst Gewalt anzutun.

Ärzt*innen dürfen jedoch genau dies seit 2015 in Deutschland nicht mehr tun. Bis 2015 war die Beihilfe zum Suizid straffrei. Seitdem stellt der Paragraf 217 im Strafgesetzbuch die geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung unter Strafe. Bis zu drei Jahren Gefängnis droht Sterbehelfenden. Gegen diesen Paragrafen legten Ärzt*innen, Sterbehilfe-Vereine und todkranke Patient*innen, die Sterbehilfe in Anspruch nehmen wollen, eine Verfassungsbeschwerde ein. Diesen Dienstag und Mittwoch wird das Bundesverfassungsgericht sich mit der Klage befassen.

Dienstag und Mittwoch verhandelt das Bundesverfassungsgericht über den Paragrafen 217

Die Klagenden fordern, dass der assistierte Suizid straffrei gestaltet wird. Ärzt*innen und Vereine berufen sich dabei auf ihr Gewissen. Der Arzt und Mitkläger Michael de Ridder schreibt

in der ZEIT: "Es gibt nach meiner Auffassung Leidenskonstellationen – mögen sie auch selten sein –, in denen Suizidbeihilfe nicht nur gerechtfertigt, sondern geboten sein kann." Als Arzt hätte er die Möglichkeit, diesen Menschen zu helfen. Und in seinen Augen sei es unethisch, diese Hilfe zu verbieten. Die Patient*innen berufen sich auf ihre Persönlichkeitsrechte und die Menschenwürde. In ihren Augen ergibt das Recht auf selbstbestimmtes Sterben nur dann Sinn, wenn professionelle Helfende nicht bestraft werden.

Assistierter Suizid bedeutet: Jemand hilft einer schwer und unheilbar erkrankten Person beim Suizid zum Beispiel dadurch, dass er*sie ihr Medikamente in tödlicher Dosierung bereitstellt. Wichtig ist: Die erkrankte Person nimmt diese Medikamente selbst ein. Würde ein*e Ärzt*in auf Bitten einer erkrankten Person selbst die tödliche Dosis verabreichen, würde es sich um aktive Sterbehilfe handeln – die soll weiterhin verboten sein.

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Kritiker*innen einer Lockerung des Paragrafen 217 wie der Erzbischof Heiner Koch sagen, sie sehen die Gefahr, "dass Menschen gedrängt werden oder sich gedrängt fühlen, von solchen Optionen auch Gebrauch zu machen". Dies wäre jedoch ein nicht freiverantwortlicher Suizid – Hilfe dazu ist und soll auch weiterhin verboten bleiben. Niemand soll sich aufgrund eines gesellschaftlichen oder ökonomischen Drucks für den Selbsttod entscheiden – gleichzeitig sollte auch niemand zum Weiterleben gezwungen werden, der*die dies nicht möchte.

Sterbehilfe für alle?

Es kann auch keine Rede davon sein, dass der assistierte Suizid die neue Regel wird. In der aktuellen Ausgabe der ZEIT dokumentiert de Ridder einen Fall, bei dem er bei einer Selbsttötung assistierte. Das war 2015, vor der Änderung des Paragrafen 217. Zwischen der ersten Kontaktaufnahme bis zur Übergabe der Tabletten lag beinahe ein Jahr. Dazwischen lagen unzählige Besuche, Gespräche und Untersuchungen.

Es geht nicht darum, Massen an kranken Menschen tödliche Dosen an Medikamenten bereitzustellen. Es geht darum, dass Ärzt*innen in Einzelsituationen nach bestem Wissen und Gewissen schwer und unheilbar erkrankten Menschen straffrei dabei helfen können, ihrem leidvollen Leben ein Ende zu setzen – wenn diese das möchten. Bislang gibt es für Menschen, die sich krankheitsbedingt für ein selbstbestimmtes Sterben entscheiden, zwei Wege: Ins Ausland gehen, beispielsweise in die Schweiz, wo assistierte Sterbehilfe erlaubt ist. Oder nach Belgien, Luxemburg oder Holland, wo aktive Sterbehilfe legal ist. Oder der Suizid, bei dem sich Betroffene selbst Gewalt antun, der sogenannte harte Suizid.

Humanes Sterben ermöglichen

Hans-Jürgen Brennecke erkrankte an einer lebensbedrohenden Krebsform. Er besiegte die Krankheit, doch seitdem weiß er, dass er selbst über seinen Tod bestimmen möchte. Deutschlandfunk Kultur erklärte er, warum er sich gegen den harten Suizid entschied: "Wenn ich mir vorstelle, mein Vater hat sich aufgehängt, dieses Bild ist ja, selbst, wenn ich es nicht gesehen habe, für immer in meinem Kopf. Was das für eine Belastung ist, so überflüssig, wenn es auch andere Wege gibt. Das möchte ich keinem zumuten."

Festzuhalten ist: Bei der Klage gegen den Paragrafen 217 geht es nicht darum, durch assistierte Selbsttötung die Palliativmedizin zu ersetzen. Es geht darum, dass Menschen, die sich krankheitsbedingt für die Selbsttötung entscheiden, eine Möglichkeit gegeben wird, dies auf humane und menschenwürdige Art und Weise zu tun. Ein selbstbestimmtes Leben führen zu können, gehört in den westlichen Gesellschaften zu den wichtigsten gesellschaftlichen Werten. Es wird Zeit, dass wir das Recht auf selbstbestimmtes Sterben genauso ernst nehmen.

Hilfe holen

Falls du unter Depressionen leidest und dich Suizidgedanken plagen, findest du bei der Telefonseelsorge online oder telefonisch unter den kostenlosen Hotlines 0800-1110111 und 0800-1110222 rund um die Uhr Hilfe. Du kannst dich dort anonym und vertraulich beraten lassen.

Angehörige, die eine nahestehende Person durch Suizid verloren haben, können sich an den AGUS-Verein wenden. Der Verein bietet Beratung und Informationen an und organisiert bundesweite Selbsthilfegruppen.