Es macht keinen Sinn. Macht euch am besten gar nicht erst auf den Weg. Wir wollen euch hier nicht. Es dürfte vor allem diese Botschaft sein, die bei all den Menschen, die aus ihrer Heimat flüchten müssen, ab heute ankommen wird. Absender: die Europäische Union.

Die EU-Staaten haben sich in Brüssel auf eine härtere Haltung in der Asylpolitik geeinigt. Sie wollen auf freiwillige Basis geschlossene Asylzentren innerhalb der EU einrichten und bestehende Aufnahmelager für Geflüchtete in Drittstaaten prüfen, steht in der Gipfelerklärung. Bundeskanzlerin Angela Merkel war angesichts des Unionsstreits wichtig, dass sich die 28 EU-Regierungen ausdrücklich dazu bekennen, die sogenannte Sekundärmigration, also die Wanderung registrierter Asylsuchenden innerhalb der EU, zu unterbinden: Geflüchtete sollen in keinem weiteren Land einen Asylantrag stellen dürfen, wenn sie zuvor schon einen in einem anderen Land gestellt haben. Zudem soll die Grenzschutzagentur Frontex mit mehr Personal ausgestattet werden und eine aktivere Rolle bei Abschiebungen aus EU-Ländern spielen. Bislang war ihre Aufgabe vor allem, die Grenzpolizeien der Mitgliedsländer zu koordinieren.

Geflüchtete sollen also stärker denn je schon an Außengrenzen abgefangen und gestoppt werden und von da aus verteilt werden. Oder zurückgeschickt. Das zeigt einmal mehr die enorme Dissonanz europäischer Politiker*innen zu schutzbedürftigen Menschen. Als seien sie das Problem, nicht die Ursache ihrer Flucht. Die EU hat mit ihrer Entscheidung Abschottung und Protektionismus gestärkt, nicht Menschlichkeit.

Wir alle wissen doch längst, wo die Probleme liegen

Hunger. Kriege. Verfolgung aufgrund Sexualität, Religion, Ethnie, politischer Einstellung. Ausbeutung. Korruption. Umweltkatastrophen. Existenznöte. Keine dieser Fluchtursachen wird durch die aktuelle EU-Entscheidung gelöst. Zwar wird mit dem UN-Geflüchtetenwerk UNHCR und der Internationalen Organisation für Migration zusammengearbeitet, damit internationales Recht eingehalten wird und 500 Millionen Euro für den Afrika-Nothilfefond bereitgestellt – doch diese Bemühungen wirken wie ein Tropfen auf den heißen Stein.

Die Priorität der EU liegt tatsächlich woanders: Es werden fragwürdige Deals mit der Türkei ausgehandelt, inoffizielle Grenzen in Afrika gezogen und Entwicklungshilfegelder an die Bedingung geknüpft, Europa bei Grenzkontrollen zu unterstützen. Profiteur*innen dieser Politik sind nicht Entwicklungshilfen, sondern Rüstungs- und Sicherheitsfirmen, die mit Grenztechnologie großes Geschäft machen, wie der Dokumentarfilmer Jan Schäfer recherchierte.

Menschen werden an Außengrenzen durch aufgestockte Kontrollen gestoppt und in Auffangzentren gesammelt. Mitgliedstaaten sollen diese Zentren freiwillig bei sich errichten können. Schutzbedürftige sollen aus diesen Zentren dann ebenfalls freiwillig von Ländern übernommen werden. Wer dafür bereit ist, bleibt unklar. Indem sich Geflüchtete nicht aussuchen können, in welchem Land sie leben wollen und von der EU verteilt werden, wird ihnen zudem ihre Selbstbestimmung, das ist Teil der Menschenwürde, abgesprochen. Und das alles nennt Angela Merkel dann "eine gute Botschaft".

Die Asylpolitik der EU ist nichts dergleichen. Sie ist realitätsfern und unmenschlich. Ein solches Bündnis wie die EU muss in der Lage sein, sich umfassend um existierende, gesamtgesellschaftliche Probleme zu kümmern – statt Alibihilfe zu leisten, aber in Wahrheit sicherzustellen, dass die Seehofers in Europa zufrieden sind.

Wir haben alle Mittel, Fluchtursachen zu bekämpfen

Politische Mittel für die Fluchtursachenbekämpfung gibt es: diplomatischer Druck auf korrupte, repressive Politiker*innen, bedingungslose und gestärkte Entwicklungshilfe. Auch das Know-How dafür gibt es: Unzählige unabhängige Menschenrechtsorganisationen wie etwa Pro Asyl oder Amnesty International beschäftigen sich schon seit Jahren intensiv mit der weltweiten Flucht und ihren Gründen und versuchen, flüchtende Menschen zu unterstützen. Die Arbeit solcher Institutionen mündet nur selten in politische Reaktionen. Im Gegenteil. Sie werden teilweise sogar kriminalisiert, wie aktuell das Beispiel der Seenotrettung Lifeline zeigt.

Sind es nicht eigentlich solche Organisationen, denen vertraut werden sollte, die von oberster Stelle finanziell, personell und emotional gestärkt werden sollten, statt einer Grenzschutzagentur, die immer wieder gegen die Genfer Flüchtlingskonvention verstößt?

Abgesehen davon werden Menschen in Not immer, immer, einen Weg finden, Grenzen zu umgehen. Sie können nicht anders: Menschen auf der Flucht wollen nicht bleiben, wo sie sind, sie wollen nicht umkehren, sie wollen nicht monatelang unwissend ob ihrer Zukunft in Camps verharren. Diese Menschen wollen irgendwo ankommen, wo sie ein Leben in Frieden leben können – wie wir alle. Ob die EU-Spitzen-Politiker*innen das je verstehen werden? Ob sie je lernen werden, dass man mit "starken Grenzen" keine Probleme löst, sondern neue schafft?